Zeitgeschichte:Hochburg der Mitläufer

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Taufkirchen unterm Hakenkreuz: Nazi-Aufmarsch in der Tölzer Straße. (Foto: privat)

In Taufkirchen erreichte die NSDAP bei der Reichstagswahl 1933 mehr als 50 Prozent der Stimmen. Dennoch stand die Bevölkerung nach Recherchen von Heimatpfleger Michael Müller dem Regime später zum großen Teil eher distanziert gegenüber. Ein SS-Mann stufte in einem Bericht sogar 80 Prozent als Gegner der NS-Ideologie ein.

Von Patrik Stäbler, Taufkirchen

Da ist zum Beispiel der Bäckermeister Hans Bücherl, der 1935 Bürgermeister von Taufkirchen wurde - zu einer Zeit also, in der solch ein Amt ohne das Wohlwollen der herrschenden Nazis kaum erlangt werden konnte. Tatsächlich war der damals 35-Jährige bereits 1933 in die NSDAP eingetreten und fungierte vor seinem Einzug ins Rathaus als Zellenleiter der Partei - einerseits. Andererseits berichteten Zeitzeugen, dass Bücherl noch 1942 jüdische Familien im Geheimen mit Lebensmitteln versorgte. Und ein SS-Hauptsturmführer kritisierte in seinem Bericht über den Bürgermeister, dass dieser sich nur wenig parteitreu verhalte. Viel stärker sei er vom katholischen Glauben geprägt. So notierte der SS-Mann über Bücherl: "Geht in Uniform mit übergezogenem Zivilmantel in die Kirche, lässt sich dann draußen die Uniformmütze nachbringen."

Jener Hans Bücherl, der später bei der Entnazifizierung als Mitläufer eingestuft wurde, 1000 Reichsmark Sühneleistung zahlen musste und 1952 erneut Bürgermeister von Taufkirchen wurde, pflegte also ein ambivalentes Verhältnis zum NS-Regime. Und damit stand er stellvertretend für weite Teile des Bauerndorfs - so schildert es der gemeindliche Heimatpfleger Michael Müller, der sich mit der Geschichte Taufkirchens in der NS-Zeit auseinandergesetzt hat. "Die historischen Unterlagen und Berichte von Zeitzeugen geben kein einheitliches Bild ab", sagt der Hobby-Historiker. "Ich denke, dass die Mehrheit der Bevölkerung in Taufkirchen nicht himmelhoch begeistert von den Nazis war. Zugleich haben sich viele aber den Gegebenheiten angepasst, auch um keine Nachteile zu haben."

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Für seine Recherchen, deren Ergebnisse Müller an diesem Dienstag in der Volkshochschule präsentiert, hat der Heimatpfleger vor allem die Aufzeichnungen seiner Amtsvorgänger Peter Seebauer und Ernst Kistler ausgewertet. Weiteres Material habe er in den Kirchenbüchern des Pfarrers Max Weidenauer gefunden sowie in einer wissenschaftlichen Studie zu Zwangsarbeit im Landkreis München. Aus diesen Quellen ließen sich widersprüchliche Schlüsse ziehen, sagt Müller.

Einerseits errang die NSDAP bei der Reichstagswahl 1933 in Taufkirchen mehr als 50 Prozent der Stimmen, während sie in den Nachbarorten und im Landkreis noch weit darunter lag. Andererseits hätten Zeitzeugen dem einstigen Heimatpfleger Peter Seebauer berichtet, dass es in der damals 800 Einwohner zählenden Gemeinde kaum überzeugte Nazis gegeben habe. Und auch der SS-Hauptsturmführer stufte bloß fünf Prozent der Bevölkerung als "willig" im Sinne der NS-Ideologie ein - 80 Prozent jedoch als deren Gegner.

Ungeachtet der Beziehungen der Einheimischen zu den Nationalsozialisten habe sich das gesellschaftliche Leben im damals bäuerlich geprägten Taufkirchen nach der Machtübernahme der NSDAP stark verändert, sagt Müller. So war die Partei, deren Büro sich in einer Turnhalle am Standort des heutigen Pfarrheims befand, in der Gemeinde äußerst aktiv. Über die Hitler-Jugend, die NS-Frauenschaft und den Reichsnährstand habe man versucht, die Bevölkerung auf Linie zu bringen. Zudem wurden propagandistische Handzettel verteilt und öffentliche Veranstaltungen organisiert, etwa zum Gedenken an die Weltkriegstoten oder zum Anschluss des Saarlands 1935.

Aktiven Widerstand gab es nicht

Aktiven Widerstand gegen die Nazis habe es in Taufkirchen laut den Überlieferungen nicht gegeben, so der Heimatpfleger. Zwar stoße man in Unterlagen auf "Anhänger der Sozialdemokraten, der Kommunisten oder auch auf praktizierende Katholiken, die sich nicht vereinnahmen ließen und als regimekritisch anzusehen sind". Doch Menschen, die sich der NS-Diktatur wirklich widersetzten, habe er bei seinen Recherchen nicht ausfindig machen können, sagt Müller.

In seinem Vortrag wird der Heimatpfleger auch auf ein besonders dunkles Kapitel der Ortshistorie eingehen - nämlich die Zwangsarbeiter, die in Taufkirchen vorwiegend in der Landwirtschaft eingesetzt wurden. So waren circa 60 Kriegsgefangene aus Frankreich in Baracken hinter der Kirche untergebracht; überdies lebten Zwangsarbeiter direkt auf einzelnen Höfen. Einer von ihnen war der Kroate Jaroslav T., der von 1941 an beim Pächter des Zacherlhofs schuften musste, der ihn regelmäßig drangsalierte und schlug. Als Reaktion ging der 21-Jährige eines Tages mit der Mistgabel auf diesen los und verletzte ihn derart, dass er wenig später starb. Daraufhin wurde Jaroslav T. zum Tode verurteilt und in Stadelheim hingerichtet.

Heimatpfleger Michael Müller hat zur Geschichte Taufkirchens während der NS-Zeit recherchiert. In seinem Vortrag will er auch den Bogen zur Gegenwart schlagen. (Foto: privat)

Mit dieser und weiteren Episoden aus den "düsteren Zeiten" in Taufkirchen wolle er in seinem Vortrag "ein Kaleidoskop der damaligen Verhältnisse" aufzeigen, sagt Müller. Am Ende werde er dabei auch den Bogen ins Hier und Heute schlagen. "Mir ist bewusst, dass dieses Kapitel unserer Geschichte schwerer Stoff ist", erklärt der Heimatpfleger. "Aber gerade angesichts der vielen Krisenherde in der Welt und des Wiedererstarkens rechtsradikaler politischer Kräfte ist die Erinnerungsarbeit aus meiner Sicht dringend erforderlich."

"Düstere Zeiten - Die NS-Zeit in Taufkirchen" heißt der Vortrag von Heimatpfleger Michael Müller am Dienstag, 16. Januar, in den Räumen der Volkshochschule am Ahornring. Beginn ist um 19 Uhr, der Eintritt ist frei. Um Anmeldung unter www.vhs-taufkirchen.de oder Telefon 089/614 51 40 wird gebeten.

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