Podiumsdiskussion:Gleichstellung als hartes Brett

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Da sind sich die drei einig - in puncto Mutterschutz nach Fehlgeburten und im Kampf gegen häusliche Gewalt muss von Politik und Gesellschaft noch mehr kommen: Romy Stangl, Maria Noichl und Natascha Sagorski (v.l.). (Foto: Stephan Rumpf)

Unter der Maxime "Ein starkes Europa braucht starke Frauen" debattieren die Politikerin Maria Noichl sowie die Aktivistinnen Natascha Sagorski und Romy Stangl auf einer SPD-Veranstaltung in Planegg über den Stand der Frauenrechte. Fazit: Es gibt noch viel zu tun, hierzulande wie auch EU-weit.

Von Laura Geigenberger, Planegg

Fast leer ist der Vortragssaal im Kupferhaus Planegg, nur nach und nach füllen sich die ersten Stuhlreihen. Angesichts der kleinen Runde wird die Podiumsdiskussion, welche der SPD-Unterbezirk München-Land an diesem Samstagabend organisiert hat, spontan nach draußen verlegt; bei Wein und Apfelsaft macht man es sich auf der Terrasse gemütlich. Ihren Anlass bezeichnet Maria Noichl, SPD-Europaabgeordnete und -Spitzenkandidatin für die anstehende Europawahl, hingegen als "ein hartes Brett" - im Gespräch mit den Aktivistinnen Natascha Sagorski und Romy Stangl will sie sich über den Stand der Frauenrechte in Deutschland und der EU austauschen. Die Themen im Fokus: Mutterschutz nach Fehlgeburten und häusliche Gewalt.

Laut dem aktuellen Bericht des UN-Bevölkerungsfonds nimmt die Freiheit von Mädchen und Frauen, selbst über ihren Körper zu bestimmen, weltweit zunehmend ab. Auch auf europäischem Boden habe es Rückschritte beim Zugang zu Verhütung, Schutz vor sexueller Gewalt und sicheren Abtreibungen gegeben, heißt es; zudem werde Frauen in den - weiterhin männlich dominierten - politischen Entscheidungsgremien zu wenig Mitspracherecht eingeräumt. Ein bedenklicher Trend, insbesondere so kurz vor der Europawahl, findet Maria Noichl. "Denn Frauenrechte sind Gesellschaftspolitik - für ein starkes Europa braucht es starke Frauen."

Im EU-Parlament sitzt Noichl für die Fraktion der europäischen Sozialdemokraten im Ausschuss für die Rechte der Frauen und die Gleichstellung der Geschlechter. Somit habe sie in den vergangenen fünf Jahren die europäische Gleichstellungspolitik begleitet, erzählt die Rosenheimerin bei einer Vorstellungsrunde und hebt zunächst positive Entwicklungen aus den zurückliegenden Jahren hervor. Etwa die Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter der EU, mit der europaweit bis 2025 "messbare Fortschritte" bei der Bekämpfung von geschlechterbezogener Gewalt und Unterschieden auf dem Arbeitsmarkt und in der Politik erzielt werden sollen.

Doch auch wenn die Gleichstellung von Männern und Frauen seit 1957 zu den Grundwerten des europäischen Staatenbündnisses zählt, prägen geschlechterspezifische Vorurteile weiterhin die Gesellschaften und Politik der Mitgliedsländer. Der Bundesregierung zufolge hegen 44 Prozent aller Europäer noch immer die Ansicht, dass Frauen sich "hauptsächlich um Haushalt und Familie kümmern" sollen. Somit, sind sich die drei Diskutierenden in Planegg einig, würden Frauen nicht als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft angesehen - und ihre Bedürfnisse und Rechte vernachlässigt.

Die Unterföhringerin Natascha Sagorski engagiert sich für Mütter mit Fehlgeburten

In Deutschland zeige sich das unter anderem an der mangelnden Unterstützung für Frauen, die eine Fehlgeburt erleiden, sagt Natascha Sagorski. Die Unterföhringerin engagiert sich seit Jahren für eine Gesetzesänderung, die allen Frauen in Deutschland nach einer Fehlgeburt das Recht auf eine mehrwöchige Schutzzeit einräumt. "Derzeit ist es so, dass man Mutterschutz in Deutschland erst bei einer Fehlgeburt ab der 24. Woche bekommt, und dann gleich für 18 Wochen", so Sagorski. "Das ist medizinisch sinnfrei und unfair. Nur, Frauen hatten bislang keine eigene Lobby."

Ebenso bemängelt Sagorski das Versäumnis der Bundesregierung, die seit 2022 als EU-Recht geltende "Familienstartzeit" einzuführen. Die Richtlinie gewährt dem zweiten Elternteil bei der Geburt eines Kindes den Anspruch auf eine zehntägige bezahlte Beurlaubung und infolgedessen mehr Entlastung für die Mütter. In Deutschland sind die Verhandlungen über einen Gesetzesentwurf jedoch festgefahren. "Das Problem bei solchen Beschlüssen ist, dass die Finanzierung in den EU-Ländern unterschiedlich läuft und deshalb die Umsetzung oft dauert", gibt Noichl zu.

In Deutschland werde die Istanbul-Konvention vernachlässigt

Romy Stangl, Vorsitzende der Bewegung "One Billion Rising München" und Gleichstellungsbeauftragte der Gemeinde Haar, spricht anschließend zum Thema Gewalt gegen Frauen. Sie, die selbst aus einer gewaltgeprägten Beziehung habe fliehen müssen und seit 2023 mit einer Petition die Berufung eines Betroffenenrates auf Länder- und Bundesebene fordert, sei "enttäuscht und wütend" darüber, wie die sogenannte Istanbul-Konvention, ein völkerrechtliches Abkommen des Europarats, in Deutschland vernachlässigt werde. "Wir sind in vielen Punkten hinten dran", sagt sie.

Hierzulande gilt das Übereinkommen seit 2018; es verpflichtet die Länder Europas dazu, geschlechtsspezifische Gewalt mithilfe koordinierter Maßnahmen zu verhindern und Opfer zu schützen. Stangl sieht jedoch zahlreiche Defizite in der Finanzierung, Infrastruktur und Datenerhebung sowie den Strategien zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt. Auch die Vorgabe der Konvention, Betroffene direkt in die Entwicklung von Hilfesystemen einzubeziehen, werde in Deutschland nicht ausreichend erfüllt. "Man spricht über sie, aber nicht mit ihnen - ihre Expertise wird nicht genutzt", sagt Stangl.

Letztendlich, antwortet die EU-Abgeordnete Maria Noichl, müssten Frauenrechte in den Fokus der Gesellschaft rücken und von allen Geschlechtern mitgetragen werden- auf europäischer sowie auf nationaler Ebene. "Wir können uns die Gesetzmäßigkeiten nicht selber geben." Einige der angesprochenen Lücken sollen sich ihr zufolge in der neuen Wahlperiode aber schließen - so plädiert Noichl etwa dafür, Vergewaltigungsdelikte als europäischen Straftatbestand zu etablieren, eine EU-Sonderbeauftragte für Frauenrechte einzusetzen und eine "Frauen-Charta" zu verfassen, mit europaweit geltenden Mindestrechten. "Wir dürfen das Thema in Europa nicht mehr nur den Ländern überlassen", sagt Noichl. "Bei allem, was derzeit passiert, müssen wir schauen, dass wir die europäischen Werte - Freiheit und Gleichstellung - nicht vergessen."

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