Prozess:Attacke mit dem Steakmesser

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Ein 26-jähriger Asylbewerber aus Afghanistan steht vor Gericht, weil er in einer Unterkunft in Oberhaching einen Mitbewohner schwer verletzt hat. Die Staatsanwaltschaft sieht in dem Angriff versuchten Mord

Von Bernhard Lohr, München/Oberhaching

Der Mann, der im April in einer Oberhachinger Asylbewerberunterkunft einen Mitbewohner attackierte, war angeblich nicht zu bändigen. Erst schlug er seiner schwangeren Freundin wiederholt mit der flachen Hand ins Gesicht, dann attackierte er einen anderen Flüchtling mit einer Wodkaflasche, kündigte an, diesen zu töten, und stürzte sich mehrmals mit einem Steakmesser auf ihn. Dabei stach er einmal so fest zu, dass das Messer den Unterarm seines Opfers durchbohrte. Seit Mittwoch muss sich der 26-jährige Afghane vor einem Münchner Schwurgericht unter anderem wegen versuchten Mordes verantworten.

Das Erscheinungsbild des jungen Mannes passt so gar nicht zu den erhobenen Vorwürfen in der Anklageschrift: Mit seinem weißen Hemd, der modischen Brille und dem gepflegten Haarschnitt könnte er auch einen Studenten im Auslandssemester an einer Münchner Uni abgeben. In gebrochenem Deutsch beantwortet er die von Richter Norbert Riedmann gestellten Fragen nach Alter, Geburtsort, Familie und Wohnsitz. Schüchtern lächelnd unterhält er sich mit seiner Dolmetscherin.

Erst ohrfeigte er seine Freundin

Doch nach Überzeugung der Anklage hat dieser Mann auch ein anderes Gesicht. Dieses zeigte er, als es in der Flüchtlingsunterkunft an der Oberhachinger Holzstraße im April wieder einmal einen Konflikt gab, weil seine Freundin entgegen der Hausordnung nach 22 Uhr noch auf seinem Zimmer war. Als zwei Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes die Frau entdeckten, forderten sie ihn auf, seine Freundin in den nächsten 20 Minuten nach Hause zu schicken. Daraufhin sei er "unvermittelt verbal aggressiv" geworden, heißt es in der Anklage.

Als der Angeklagte kurz darauf mit seiner Freundin das Haus verlassen wollte, sei er zum ersten Mal gegen seine Freundin handgreiflich geworden. Den Anlass bot, dass einer der Wachmänner versuchte, der Frau auf Russisch die Hausregeln zu erläutern, was wiederum der Angeklagte nicht verstand und was ihn offenbar aggressiv werden ließ. Daraufhin soll er seiner Freundin zweimal mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen haben, was die Staatsanwaltschaft als vorsätzliche Körperverletzung zur Anklage brachte.

Doch die Ereignisse, die ihm den Hauptvorwurf der gefährlichen Körperverletzung und sogar des versuchten Mordes einbrachten, geschahen tags darauf. Da geriet der heute 26-Jährige abends mit seinem Mitbewohner im Zimmer aneinander, weil er diesen verdächtigte, ihn und seine Freundin am Vortag beim Wachpersonal angeschwärzt zu haben. Nach den Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft griff er deshalb zu einer Wodkaflasche und versuchte, mit dieser dem Mitbewohner auf den Kopf zu schlagen. Das Ganze verbunden mit der Aussage, er werde ihn töten. Doch der Mitbewohner wich aus und wehrte den Schlag ab, sodass die Flasche nur dessen Nase traf. Doch damit war nicht Schluss.

Der Angegriffene sucht bei Nachbarn Schutz

Der Angegriffene verließ das Gebäude und floh zu Bekannten, die gegenüber wohnten. Diese versperrten zunächst zur Sicherheit die Wohnungstür. In der Annahme, es könnte zu einer Aussprache kommen, ließen sie den 26-Jährigen schließlich aber doch ein. Dieser stürzte sich nach Darstellung der Staatsanwaltschaft nach dem Öffnen der Tür unvermittelt mit einem Steakmesser bewaffnet auf den Mitbewohner. Dabei soll er wieder gerufen haben, er werde ihn töten. Der Attackierte wehrte die Messerstiche Richtung Hals ab, wobei die Klinge seinen linken Unterarm durchdrang. Viermal soll der Angreifer zugestochen haben, bis die Klinge des Messers brach und ein Freund ihn aus der Wohnung zerrte. Nach Ansicht der Anklage geschah der Angriff in der Absicht, den Mitbewohner zu töten. Später soll der Angeklagte noch einmal zu der erneut versperrten Wohnung gegangen sein, getobt und wieder angedroht haben, den Schwerverletzten umzubringen.

Auch wenn es bei Stichverletzungen an Armen und Beinen blieb und der Verletzte nach drei Tagen in der Klinik wieder weitgehend genesen war, geht die Anklage von einer zumindest "abstrakten Lebensgefahr" aus. Der Täter habe heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen gehandelt. An Zeugen fehlt es für die dem 26-Jährigen vorgeworfenen Attacken nicht. Sein Pflichtverteidiger und die von ihm zugezogene Wahlverteidigerin verzichteten am ersten Verhandlungstag, sich zum Tathergang zu äußern, weil sie bisher noch keine völlige Akteneinsicht gehabt hätten. Der Angeklagte selbst, der seit sieben Monaten in Untersuchungshaft sitzt, kommentierte die Fülle an Vorwürfen, mit denen er per Simultanübersetzung konfrontiert wurde, nicht. Weil ein Zeuge nicht erschien, wurde die Verhandlung vertagt. Weiter geht es am 26. November. Das Urteil wird für Anfang Januar erwartet.

© SZ vom 15.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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