Pfingstwunder Mehrsprachigkeit:Ausgesprochen bunt

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Der Landkreis München ist bunt - das hört man an den vielen gesprochenen Sprachen. (Foto: dpa)

Im Landkreis München sind viele Sprachen zu Hause. Das Pfingstfest bietet Gelegenheit, sich der Vielfalt bewusst zu werden. Menschen erzählen von ihren Erfahrungen.

Von Daniela Bode, Angela Boschert, Anna Degenhart, Iris Hilberth, Bernhard Lohr, Gudrun Passarge

Mit Ostern und Weihnachten wissen die meisten etwas anzufangen. Auch wenn sie selten in die Kirche gehen. Doch die Botschaft, die von Pfingsten ausgeht, ist oft gar nicht mehr bekannt. Dabei passt sie in die Zeit, da Menschen aus so vielen unterschiedlichen Kulturen im Landkreis München zusammenleben und so viele Sprachen gesprochen werden wie nie zuvor; ob an Schulen, am Arbeitsplatz oder einfach in der Nachbarschaft. In der Apostelgeschichte wird berichtet, wie einst Jerusalem voll war "mit Menschen aus aller Welt". Und als sich nach dem Tod Jesu dessen Anhänger nicht hinauswagten, soll der Heilige Geist in Form einer Taube erschienen sein, um "die Kraft und die Sprache" zu verleihen, in aller Welt die Frohe Botschaft zu verkünden. Sprachbarrieren waren wie weggeblasen. Die SZ fragte Menschen aus dem Landkreis, was Sprache für sie bedeutet - wo sie Barriere und wo sie Bereicherung ist.

Der Bayer hinter dem Vorhang

Unterhaching - "Sprache ist das A und O", sagt Inci Ahmad, SPD-Gemeinderätin aus Unterhaching. Ihr war damals, 1969, als sie mit 19 Jahren aus der Türkei nach Deutschland kam von vornherein klar: "Ich muss die Sprache beherrschen. Das ist die Hauptsache, das ist der Weg zu Bildung." Leicht wurde es Migranten vor 50 Jahren nicht gemacht, Deutsch zu lernen. "Das war richtig teuer", erinnert sie sich. Ahmad verdiente 500 Mark, davon steckte sie 180 jeden Monat in Sprachkurse. "Deutsch ist eine schwere Sprache", sagt sie, insbesondere die Rechtschreibung sei schwierig. "Im Türkischen haben wir zum Beispiel keinerlei Artikel", so Ahmad.

Auch die Aussprache erfordere viel Übung, zumal anders als in ihrer Muttersprache im Deutschen nicht alles so gesprochen wie geschrieben werde. "Das 'sch' zum Beispiel muss man viel üben", sagt sie, die Satzstellung sei anders, auch gebe es mitten im Satz keine großen Buchstaben. Ihr jüngerer Bruder habe sich wesentlich leichter getan, da er in Deutschland zur Schule gegangen sei. "Er spricht sogar perfekt bairisch", sagt Ahmad, "wenn man ihn hinter eine Gardine stellt und nur reden hört, aber nicht sieht mit seinen schwarzen Haaren, dann glaubt man, da sei ein waschechter Bayer hinter dem Vorhang", ist sie überzeugt. Die deutsche Sprache hat bei ihr persönlich die türkische immer mehr in den Hintergrund gedrängt. Gleichwohl empfindet sie das Türkische als viel gefühlvoller und besser geeignet, um schöne Dinge zu beschreiben. Für manches gibt es einfach keinen deutschen Ausdruck. Wenn man einem Koch, einem Künstler oder auch einem Gärtner seine Werteinschätzung ausdrücken möchte, sage man im Türkischen: "ellerinize saglik". Das heißt in etwa: Ihre Hände sollen gesund bleiben.

30 Synonyme für den Löwen

Neubiberg - Sprache kann Berge versetzen. Das hat Familie Abdulhadi oft erfahren. Vater Abdulmunaam, seine Frau Tahani sowie die vier Kinder sind aus Syrien geflüchtet und leben seit Herbst 2015 in Neubiberg. Sie haben sich, jeder auf seine Weise, mit der neuen Sprache zurechtgefunden. Rama, die älteste Tochter, verständigte sich anfangs auf Englisch, wollte aber schnell Deutsch lernen. "Ich wollte für meine Familie sprechen können", sagt die 19-Jährige. Sie lernte die Sprache im Alltag, in der Schule. Gerd Winter und ein paar andere vom Helferkreis Asyl besuchten die Familie und redeten mit ihnen. Heute spricht Rama so gut, dass sie problemlos vom Deutschen ins Arabische springt, für ihre Mutter übersetzt, die erst spät anfing, deutsch zu lernen, weil sie es zeitlich bei all der Arbeit mit vier Kindern nicht eher schaffte. Rama spricht so gut, dass sie im kommenden Jahr am Gymnasium Neubiberg ihr Abitur macht.

Die Sprache zu lernen, fand sie nicht immer leicht. "Man versteht gar nicht, warum das Verb am Ende kommt. Das ist beim Übersetzen schwierig", sagt sie. Auch mit der Aussprache haderte sie anfangs. Um in die andere Sprache einzutauchen, findet sie ohnehin, dass man "nicht aus der eigenen Sprache übersetzen, sondern komplett deutsch sprechen sollte". Ginge wahrscheinlich anders auch nicht, wenn man bedenkt, welchen Reichtum die arabische Sprache bereithält. In ihrer Muttersprache existierten 30 Begriffe für das Wort Löwe, wie sie erzählt. Ihrer achtjährigen Schwester Lin hat ihre Freundin Ermani im Kindergarten "geholfen, Deutsch zu lernen", sagt sie. Ermani war ein bosnisches Mädchen, das in Deutschland aufgewachsen war. Vater Abdulmunaam besuchte die Volkshochschule Haar und legte dort das B1-Zertifikat ab. Sicher auch wegen seiner guten Deutschkenntnisse hat er seit 2017 eine Arbeit bei dem renommierten Einrichtungshaus Böhmler im Tal. Auch seine Frau findet sich immer mehr in der neuen Sprache zurecht. Zur Not verständigt sie sich auch einmal nicht mit Worten, sondern "mit Händen und Füßen".

Der Tod ist eine Frau

Garching - Als der Astrophysiker Claudio Cumani seinen Job als Ingenieur bei der Europäischen Südsternwarte (Eso) in Garching antrat, musste er erst mal Spanisch lernen, weil er beruflich viel mit Kollegen in Chile zu tun hat. "Aber hier in der Arbeit sprechen wir den ganzen Tag Englisch. Ich träume mittlerweile auch auf Englisch." Seine Deutschkenntnisse dagegen waren anfangs bei Null. "Das war wie ein Fluss von Buchstaben, ohne Sinn", erinnert sich der Italiener an die erste Zeit. Mittlerweile beherrscht er die Sprache sehr gut, er engagiert sich auch politisch und ist Sprecher des Integrationsbeirats in Garching. "Die deutsche Sprache ist faszinierend für mich", betont er. Er schätzt, dass sie so präzise ermöglicht, sich auszudrücken. Auch im Bereich der Emotionen halte die deutsche Sprache viel mehr Worte bereit als etwa die italienische. "Gemütlich" ließe sich nicht übersetzen und beim Gedanken an Gedichte von Rilke gerät er ins Schwärmen, "sie sind Musik". Er findet, Sprache zeige deutlich, wie unterschiedlich man in den Ländern die Welt anschaut. Da ist zum Beispiel der Tod. In Deutschland ein Mann, in Italien eine Frau, "fast wie eine Mutter" werde sie angesehen, vor der man Respekt habe, die aber auch so etwas wie Mitleid ausstrahle und Menschen etwa von ihren Schmerzen befreien könne. Männliche und weibliche Artikel spielen in seiner Muttersprache und im Deutschen eine große Rolle, aber das sei nicht in allen Sprachen so, erzählt er. Ein Freund, sagt Cumani, der Bücher aus dem Finnischen ins Deutsche übersetze, habe ihm erzählt, dort fehle das Geschlecht völlig. Er musste einen Roman übersetzen und wusste bis zum Schluss nicht, ob die Hauptfigur ein Mann oder eine Frau ist. Also rief er den Autor an. Der war erstaunt und teilte ihm mit, darüber habe er nie nachgedacht. Als Astronom fällt Cumani auf, dass in Deutschland die Sonne weiblich und der Mond männlich ist, genau umgekehrt wie in seinem Heimatland und apropos Heimat - es gibt doch etwas, das er ihm an der deutschen Sprache fehlt: "Es gibt keinen Plural von Heimat, dabei kann man auch mehrere Heimaten haben."

Die Muttersprache bleibt

Haar - Als Apostolos Kotsis, 49, vor 27 Jahren nach Deutschland kam, sprach er außer Griechisch noch etwas Englisch, wie er es an der Schule gelernt hatte. Aus dem Deutschen kannte er ein paar Brocken wie "Ich liebe dich" und ähnliches. Kotsis erinnert sich an die erste Zeit. "Sofort habe ich gemerkt, nach dem ersten, zweiten Monat, dass ich die Sprache lernen muss." Er machte einen Aushang an der Universität, und eine Studentin gab ihm ein Jahr lang Privatstunden. "Dann konnte ich gut Deutsch", sagt Kotsis, der heute in Haar lebt und dort der Griechischen Gemeinde vorsteht, die Deutschunterricht für Landsleute organisiert. Das Griechische ist für Kotsis, der sich fließend wie ein in Deutschland geborener unterhält, zentral geblieben. "Ich denke natürlich in Griechisch", sagt er, "das ist die Muttersprache. Da ist die Seele drin." Zwei Sprachen so gut zu beherrschen, bringt Vorteile. Kotsis sagt, auch Griechen mit wenig Deutschkenntnisse kämen beim Arztbesuch zurecht, weil viele Begriffe im Deutschen und speziell aus der Medizin aus dem Griechischen entlehnt seien. Dass sich die Bayern dank der Griechen-Begeisterung ihre Königs Ludwig I. mit "Y" im Namen schreiben, steht für Kotsis sinnbildlich dafür, wie eng die Sprache die Menschen verbindet. Aber es gibt Worte im Griechischen, deren Bedeutung sich nur dem Muttersprachler erschließt. Kotsis fällt der Begriff "filótimo" ein, den der Grieche gebraucht, wenn er jemanden um etwas bittet und an dessen Großzügigkeit appelliert - für Griechen, die auf Zusammenhalt und Freundschaft großen Wert legen, ein wichtiges Wort, wie Kotsis sagt.

Das Bedürfnis mitzureden

Pullach - Rita Pratissoli gefällt an der deutschen Sprache besonders die exakte Struktur der Sätze. Deutsch sei meistens logisch, sagt die 52-Jährige, und an sich mathematisch: "Da sehe ich eine Verbindung zur Musik", sagt die Hobby-Cellistin, die aus beruflichen Gründen 1997 nach Deutschland kam. Sie stammt aus Reggio Emilia im Norden Italiens und hatte als Schülerin ein Jahr Deutschunterricht. Später belegte sie Sprachkurse beim Goethe-Institut in Italien und in Boppard am Rhein. Seit 2001 arbeitet Pratissoli in München, lebt seit zwölf Jahren mit ihrem Mann am Wörthsee und trainiert Taekwondo an der VHS Pullach. Gerade hat sie den Einbürgerungstest mit voller Punktzahl bestanden. Doch sie empfindet noch immer "die Präpositionen und die Deklination der Adjektive als das Schlimmste". Auch sei es schwierig, Substantiven den richtigen Artikel zuzuordnen. Deutsch hat für Pratissoli große Bedeutung, weil sie in italienischen Musikbüchern und in ihren Celloschulen auf viele deutsche Erklärungen stößt. Bach, Mozart, Schubert, Brahms oder Mahler sind ihre Lieblingskomponisten. Aktuell wartet sie auf die Erteilung der deutschen Staatsbürgerschaft: "Hier zahle ich meine Steuern, daher will ich ein Wörtchen mitreden können."

Rita Pratissoli hat ihren Einbürgerungstest mit voller Punktzahl bestanden. (Foto: privat)

Eine Herzenssache

Hannah Lee wollte unbedingt ihre Klassenkameraden verstehen. (Foto: privat)

Gräfelfing - Hannah Lee, 11, aus Südkorea wohnt erst seit einem Jahr in Gräfelfing. Von ihrem ersten Schultag erzählt sie schon auf Deutsch. "Ich konnte damals nur Hallo und Tschüss, außer dem kannte ich keine deutschen Wörter. Ich war wie eingefroren." Das Eis brachen am ersten Tag drei Mädchen aus ihrer Klasse. "Sie haben mich auf Deutsch gefragt, ob ich mit ihnen spielen will. Ich habe sie nicht verstanden, aber meine Lehrerin hat es mir auf Englisch übersetzt." Obwohl sich Hannah anfangs nicht unterhalten konnte, fand sie es cool, mit ihnen zu spielen. Da brauche es wenige Worte. Trotzdem wollte sie ihre Freundinnen besser verstehen, um sie kennen zu lernen. Ihre Mutter schlug ihr vor, deutsche Kinderbücher zu lesen. Sie fand Spaß daran, weil sie vieles gleich im Alltag anwenden konnte. "Ich glaube, wenn man eine Sprache lernt, ist wichtig, dass man es aus dem Herzen will. Ich wollte unbedingt meine deutschen Klassenkameraden und meine Lehrerin verstehen. Deshalb dachte ich, ich muss schneller lernen. Ich wollte es aus dem Herzen, und es hat funktioniert." Wie warmherzig sich Hannah an ihrer neuen Schule empfangen fühlte, zeigen ihre Lieblingswörter: Freude - "weil ich jetzt fröhlich bin", Freunde, Familie, Liebe, Lernen, Spiel und Verstehen.

© SZ vom 08.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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