Abschied vom Amt:Ende einer Geisterfahrt

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Oberschleißheims Bürgermeister Christian Kuchlbauer pflegte eine nonchalante Amtsführung: Begeisterungsfähig für neue Ideen, lustlos in den Mühen des Alltags und oft allein gegen alle. Nach seiner Abwahl geht er "ohne Groll".

Von Klaus Bachhuber, Oberschleißheim

Wenn ein Bürgermeister im Gemeinderat gegen seine eigene Fraktion stimmt, lässt sich das als Ausweis eines kritischen Geistes mit unbeirrbaren Überzeugungen verkaufen. Wenn der Bürgermeister als einziger gegen den geschlossenen Gemeinderat stimmt, erinnert das eher an die Weltsicht eines Geisterfahrers: Alle liegen falsch, nur nicht ich.

Und wenn ein Bürgermeister gegen die Vorschläge stimmt, die von der eigenen Rathausverwaltung vorgelegt wurden, also schlussendlich von ihm selbst als deren Chef - dann muss das schon die Frage aufwerfen, ob er auch immer alle Zusammenhänge seines Handelns durchdringt. Der scheidende Oberschleißheimer Bürgermeister Christian Kuchlbauer (FW) hat all dieses Verhalten nicht nur einmal in seinen sechs Amtsjahren dargeboten und nicht nur in seinen vielleicht unbedarften Anfängen.

Und zwischen diesen Polen, die daran sichtbar werden, spannt sich das ganze Wirken Kuchlbauers: ein sehr legerer Umgang mit den Anforderungen des Amtes, im Spektrum von einer souveränen und unbürokratischen Amtsausübung bis hin zur schlichten Überforderung. "Ich habe mich immer als Bürger-Meister gefühlt", sagt er zu seinem Abschied, "nie als Politiker." Hinzugefügt werden müsste: und nie als Amtsperson.

In seiner Interpretation der Wahlniederlage war "der Haushalt heuer der Knackpunkt schlechthin". Da hatte er einen Etatentwurf vorgelegt, in dem fälschlich gut sechs Millionen Euro auf vier Jahre zu viel an Einnahmen angesetzt waren. Aber noch in der Benennung dieses Lapsus deutete nichts darauf hin, dass er verstehen könnte, was daran seiner Amtsführung zum Vorwurf gemacht wurde. Nicht die falsche Zahl an sich, nicht die dahinterstehende Panne.

Aber was sagt das über die Amtsauffassung, den Fleiß, ja das Interesse des Bürgermeisters an seiner notorisch klammen Gemeinde, wenn er mal eben ein paar Millionen mehr ausgeben kann und gar nicht daraufkommt, das zu hinterfragen? Ehrenamtliche Gemeinderäte waren da sofort verwundert und hatten den Fehler rasch aufgespürt, garniert mit der sarkastischen Frage der SPD: "Was macht unser Bürgermeister eigentlich beruflich?"

Lieber ein Fass anzapfen als Akten wälzen

Kuchlbauer lag mit seiner Auffassung des Bürgermeisteramtes in der Tradition des legendär hemdsärmeligen Hermann Schmid (CSU), Bürgermeister 1976 bis 1996; mit dem ganzen Ort per Du, im Zweifel lieber ein Fass Festbier anzapfen als Aktennotizen wälzen, für jeden immer ansprechbar, auf dem Dienstweg nicht immer trittfest, begeisterungsfähig für Pläne und Ideen, lustlos in den Mühen der Ebene.

"Für die Bevölkerung habe ich viel erreicht in den sechs Jahren", bilanziert Kuchlbauer. In seinen letzten Amtstagen ging er restlos als Corona-Krisenmanager auf, telefonierte quasi mit jedem Verdachtsfall persönlich, kümmerte sich und setzte so Zahlen für Oberschleißheim in Umlauf, von denen auch das Gesundheitsamt nichts wusste.

Bleiben werden von ihm die Feierabendmärkte, die er initiiert hat, das eigene Volkshochschulgebäude, das es in Oberschleißheim zuvor noch nicht gegeben hat, der Neubau des Kinderhorts an der Grundschule Parksiedlung, ein runder Tisch zum Austausch der touristischen Einrichtungen am Ort, den er zur Akzentuierung des Tourismus installiert hat, und der intensive Einstieg in einen Sanierungsstau öffentlicher Gebäude.

Bei den zwei Schwerpunktthemen, mit denen er 2014 angetreten war - die Ausweisung eines Gewerbegebiets und die Verbesserungen der Verkehrssituation - ist die Situation nach sechs Jahren im Amt wenig verändert. Er aber hatte sich zuletzt in einer Parallelwelt eingerichtet und alle diesbezüglichen Absichten und Pläne gleich in seine Erfolgsbilanz mit eingerührt.

So verkündete er im Wahlkampf stereotyp, es sei "viel passiert", ohne irgendetwas real vorweisen zu können. Für ein Gewerbegebiet hat gerade eine neue Standortsuche begonnen, die schon entschieden schien; bei der Straßenunterführung unter die Bahn, die ein Bürgerentscheid durchsetzte und nicht der Bürgermeister, warten die Erfolgsmeldungen Kuchlbauers auch erst noch auf den Realitätscheck 2021ff.

Bewundert in der Facebook-Filterblase

Kommuniziert hat er zuletzt fast ausschließlich über Facebook, wo in der Filterblase seine Erfolgsbilanzen angemessen bewundert wurden. An Debatten im Gemeinderat aber hat sich ausgerechnet der Bürgermeister selten beteiligt, konventionelle Medien ignorierte er weitgehend. Entsprechend hart war die Konfrontation mit der Realität in der Wahlnacht. Sein Gemeinderatsmandat tritt er nun auch nicht an. "Die Bevölkerung wollte einen Neustart haben", sagt er, "dann ist es so."

Zwei Wochen Urlaub hat er sich vor dem Abschied aus dem Amt genehmigt, unter anderem, um seine persönliche Zukunft zu ordnen. Dass er in seinen Job vor der Wahl 2014 bei einer Versicherung zurückkehre, sei noch nicht ausgemacht, deutet er an. In der letzten Aprilwoche will er wieder im Büro sein, Gemeinderats- und Ausschusssitzungen stehen noch an und mit Nachfolger Markus Böck (CSU) will er eine anständige Amtsübergabe absolvieren.

"Eine Enttäuschung ist natürlich da", sagt Kuchlbauer mit etwas Distanz zur Wahlniederlage, "aber ich gehe ohne Groll." Er habe im Amt "viel gelernt", es sei "eine spannende, interessante Zeit" gewesen. Unangenehmste Erinnerung seien "die menschlichen Abgründe, die in der Politik manchmal herrschen".

Das Ortsgeschehen werde er nun "von außen verfolgen", sagt Kuchlbauer. Er wolle zwar "weiterhin aktiv bleiben, aber nicht mehr in der ersten Reihe". Mehr Zeit habe er jetzt wieder für seine privaten Vereinsengagements: "Endlich mal wieder zum Tischtennis gehen!"

© SZ vom 15.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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