Schulanfang:Kraftakt in vielen Klassen

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Auch dank der Luftreinigungsgeräte in den Räumen sieht Susanne Sieben, Rektorin der Grundschule Neubiberg, ihre Schule gut auf eine mögliche Corona-Infektionswelle im Herbst vorbereitet. (Foto: Claus Schunk)

Integration von Flüchtlingskindern, Lehrermangel und Corona: Auch 2022/23 sehen sich die Schulen im Landkreis großen Herausforderungen gegenüber. Kreativität und Anpacken sind gefragt.

Von Daniela Bode und Irmengard Gnau, Neubiberg/Pullach/Garching/Ismaning

Die Sommerferien sind fast rum, am Dienstag startet das neue Schuljahr 2022/23. Ein richtig normales wird es für die Schulen im Landkreis München auch dieses Jahr nicht werden. Vielmehr gilt es, die ukrainischen Kinder, die vor dem Krieg in ihrer Heimat geflüchtet sind, gut in der Schule zu integrieren, sich auf eine mögliche neue Corona-Infektionswelle im Herbst einzustellen und mögliche Lernrückstände auszugleichen. Und das bei einer Personaldecke, die zu großen Teilen auf Kante genäht ist. Unwägbarkeiten gibt es dabei zu Genüge. Trotz dieser großen Herausforderungen sehen sich die Schulleitungen im Großen und Ganzen gut vorbereitet. Doch es ist ein Kraftakt.

Beschulung ukrainischer Kinder

Etwa 1000 Kinder und Jugendliche aus der Ukraine sind laut Schulamtsdirektor Ulrich Barth aktuell an den Schulen im Landkreis für das neue Schuljahr angemeldet. Mit 540 Kindern rechnet man in den 34 Brückenklassen, die an den weiterführenden Schulen im Landkreis gebildet werden - an 13 Gymnasien, vier Realschulen und neun Mittelschulen, mit etwa 460 an den Grundschulen.

An den Grundschulen besuchen die Kinder die Regelklassen und erhalten zusätzlich Deutschunterricht. Die Grundschule Neubiberg hatte bereits voriges Schuljahr zwölf ukrainische Kinder aufgenommen, aktuell ist kein weiteres angemeldet. Rektorin Susanne Sieben rechnet aber im Herbst mit weiteren Kindern, wenn im Oktober das Containerdorf auf der ehemaligen Landebahn mit Platz für bis zu 400 Geflüchtete aus der Ukraine fertiggestellt ist. Auch wenn sie nicht weiß, wie viele Kinder dann noch hinzukommen werden, ist die Rektorin guter Dinge: "Ich habe vom Landratsamt und vom Schulamt die Zusage, dass die Schüler auf meine und die umliegenden Schulen fair aufgeteilt werden". Insgesamt verstrahlt sie Zuversicht. "Wir haben einen Plan", sagt Sieben. Dazu gehört, dass sie eine gebürtige Ukrainerin aus dem Ort gewinnen konnte, die Ukrainisch und Deutsch fließend spricht. Diese hat bei der Regierung von Oberbayern einen Anstellungsvertrag für 15 Stunden abgeschlossen und wird mit den Kindern Deutsch lernen und sie auch sonst unterstützen. Zusätzlich hat Sieben auf eine gemeinsame Idee mit dem örtlichen Helferkreis Asyl hin über das Seniorenzentrum zwölf Seniorinnen und Senioren akquiriert, die mit den Kindern unter anderem Lesen üben werden.

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An der Josef-Breher-Mittelschule in Pullach sieht man sich ebenfalls mit einer gewissen Unsicherheit konfrontiert, aber dennoch ganz gut vorbereitet. Dort werden voraussichtlich etwas mehr als 20 Kinder und Jugendliche in einer Brückenklasse unterrichtet werden, sozusagen der Nachfolger der Willkommensgruppe, die schon im März dort gebildet worden war. "Es wird eine Überraschung sein, wie viele kommen", sagt Schulleiter Harun Lehrer. Für den Pflichtunterricht in Mathe, Deutsch und Englisch ist der Schule eine zusätzliche Lehrkraft zugeteilt worden. Laut Schulamtsdirektor Barth handelt es sich bei diesen Kräften in den Brückenklassen oft um Ukrainerinnen, die in ihrer Heimat Deutsch unterrichtet haben, oder Personen, die ein Fach studiert haben, das einen schulischen Bezug hat wie etwa Germanistik. Rektor Lehrer gefällt das Konzept, dass sich anders als 2016, als viele Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan kamen, diesmal "alle Schularten einbringen". Ob es besser wäre, die jungen Menschen in den Regelklassen unterzubringen, sieht er, der auch Deutsch als Zweitsprache unterrichtet, als "zweischneidiges Schwert". Zwar sei das "Sprachbad", das die Kinder unter deutschen Schülern in der Regelklasse nähmen, sehr hilfreich, aber in der Schule gebe es eben eine Bildungssprache, um überhaupt im Unterricht mitzukommen. "Daher ist es schon gut, den Schwerpunkt erst einmal auf die deutsche Sprache zu legen", sagt er. Zudem sei der Übergang zu den Regelklassen und anderen Schularten fließend. Schon jetzt hätten sie Schüler wechseln lassen, die besonders gut Englisch konnten und sehr clever seien. "Man muss immer vom Kind ausgehen", sagt er.

An der Johann-Andreas-Schmeller-Realschule in Ismaning wird ebenfalls eine ukrainische Lehrerin die Brückenklasse betreuen, den weiteren Kernunterricht decken die Lehrerinnen und Lehrer aus dem Stammkollegium ab. Wo möglich, sollen die ukrainischen Kinder bereits altersgemäß in die Regelklassen integriert werden. Am Werner-Heisenberg-Gymnasium in Garching gibt es in einigen der späteren Klassen Paten aus Schülerkreisen, die selbst Russisch oder Ukrainisch sprechen und den Kindern das Einfinden leichter machen sollen. Auch bei Wandertagen und anderen Veranstaltungen sollen die ukrainischen Kinder mit ihren deutschsprachigen Altersgenossen gemeinsam unterwegs sein. Die Lehrkräfte für den Unterricht der derzeit 16 ukrainischen Kinder der Brückenklasse - deren Zahl mit Bezug der geplanten Wohnunterkunft in Garching rasch um einiges steigen dürfte - zu finden, sei "nicht ganz einfach" gewesen, sagt Schulleiter Armin Eifertinger. Seit Mitte Juli hat sich das Gymnasium bemüht und nun zu Schuljahresbeginn 30 neue Kolleginnen und Kollegen gewonnen; knapp die Hälfte davon sind junge Studierende aus verschiedenen Fachrichtungen. Diese sind eine Stütze, brauchen aber freilich selbst einige Unterstützung der erfahrenen Kollegen, um Unterricht übernehmen zu können. "Das ist natürlich eine größere Belastung für unser Kollegium", sagt Eifertinger.

Corona-Pandemie

Vor einer möglichen nächsten Corona-Welle im Herbst ist den Schulen an sich nicht bange. "Wir haben jetzt so viele Aggregatszustände der Pandemie durchlebt, dass wir, glaube ich, auf alles vorbereitet sind", sagt Schulleiter Stefan Ambrosi von der Realschule Ismaning. Jede Schule hat ihre Hygienemaßnahmen individuell angepasst. Aktuell gibt es weder eine Test- noch eine Maskenpflicht. An der Neubiberger Grundschule wird laut Schulleiterin Sieben dennoch ein großer Teil des Lehrpersonals einschließlich ihr eine Mund-Nasen-Bedeckung tragen. Auch dank der mobilen Luftreinigungsgeräte, die die Gemeinde schon früh für alle Räume der Schule angeschafft hat, fühlt sich Sieben "absolut gut vorbereitet" auf eine mögliche weitere Welle. Sollte Digitalunterricht nötig werden, sieht die Schulleiterin ihre Schule, die schon vor der Pandemie die Digitalisierung vorangetrieben hat, bestens aufgestellt.

Der Pullacher Mittelschulrektor Lehrer sorgt sich wegen der Pandemie ebenso wenig. Man werde die aufgebauten Strukturen, etwa wie der Digitalunterricht funktioniert, beim Schulstart noch einmal "durchzelebrieren", sagt er. Einige Lehrer, auch er, würden "mit gutem Beispiel voran gehen" und Maske tragen. Sollte es neue Richtlinien des Kultusministeriums geben, werde man diese auch kurzfristig umsetzen. Einzig Distanzunterricht und allzu viele Infektionen an der Schule wünscht Lehrer sich nicht mehr. "Das ist immer ein Rausreißen aus dem täglichen Unterricht", sagt er. Mit Selbsttests, die die Schulen noch vorrätig haben, können sich die Schüler und Lehrer in Pullach und Ismaning auf freiwilliger Basis testen. Das regt auch das Garchinger Gymnasium für die ersten beiden Schulwochen an. Mittelfristig will Schulleiter Eifertinger in Garching zudem wieder ein Impfangebot für die Lehrerschaft organisieren.

Lernrückstände

Die Zeit der Lockdowns ist zwar vorbei, Lernrückstände werden aber auch dieses Schuljahr noch ein Thema sein. So hat man an der Grundschule Neubiberg laut Rektorin Sieben zwar schon viel nachgearbeitet, doch es soll Brückenangebote, also eine Intensivierung in gewissen Fächern bei Bedarf, über eine unterstützende Lehrkraft geben. Die Genehmigung für die Lehrkraft stehe zwar seitens der Regierung von Oberbayern noch aus, Sieben ist aber zuversichtlich. An der Pullacher Mittelschule sind Lernlücken bei Schülern ebenfalls Thema. Daher hofft Schulleiter Lehrer, dass es nicht mehr zu Distanzunterricht kommt: "Die Lernrückstände werden immer größer, es wird dann immer schwerer, sie aufzufangen."

Die Schülerinnen und Schüler des Werner-Heisenberg-Gymnasiums, die noch mit größeren Lücken zu kämpfen haben, werden am Nachmittag gezielt Unterstützungskurse bekommen, kündigt Eifertinger an. Zudem hat die Schule während der Pandemie ein Mentorensystem eingeführt, bei dem Schüler aus höheren Klassen Fünft- und Sechstklässlern beim Lernen helfen. Realschulleiter Ambrosi aus Ismaning machen weniger inhaltliche Lernrückstände Sorgen, sondern der sozial-emotionale Bereich. Hier, beobachtet er, fehlten den Jugendlichen aus den vergangenen zwei Jahren Gruppenerlebnisse und Gemeinschaftserfahrungen. Es sei daher wichtig, dass die Schulen wieder vermehrt Angebote wie Ausflüge oder Arbeitsgemeinschaften anbieten.

Lehrermangel

Da aber liegt der Knackpunkt. Denn an ausreichend Lehrerinnen und Lehrern mangelt es in Bayern. Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) kritisiert immer wieder scharf, dass inzwischen sogar - wie in Niederbayern geschehen - Stunden wie Sport zusammengestrichen und wertvolle Zusatzangebote wie Sprachförderung gekappt werden müssen, um den Kernunterricht aufrecht erhalten zu können. So dramatisch stellt sich die Lage im Landkreis München nicht dar, aber auch hier spüren die Schulleitungen, dass die Personaldecke dünn ist.

Im Schulamt ist man sich dessen bewusst und versucht, zusätzliche Lehrkräfte zu akquirieren. Über ein Bewerbungsportal des Kultusministeriums können sich Interessierte bewerben, das Schulamt nimmt dann mit ihnen Kontakt auf. In den vergangenen Wochen "haben wir zahlreiche zusätzliche Lehrkräfte eingestellt", sagt Schulamtsdirektor Barth. Oft sind das Lehramtsstudenten, aber auch Personen, die ein Fach mit schulischem Bezug studiert haben. Auch die Vorgabe des Kultusministeriums, dass Schwangere wegen der Pandemie nicht im Präsenzunterricht eingesetzt werden dürfen, spielt eine Rolle. "Dadurch fallen zahlreiche Personen aus", bestätigt Barth. Allein am Garchinger Gymnasium sind aktuell neun Lehrerinnen schwanger; sie können ihren Unterricht zwar vorbereiten, doch es braucht eine zusätzliche Teamlehrkraft, die diesen dann leitet. "Am Ende wird der ganze Unterricht abgedeckt, aber man spürt schon eine gewisse Unzufriedenheit mit der Situation", sagt Schulleiter Eifertinger. Beschweren mag er sich deshalb indes nicht: "Wir müssen eben zuschauen, dass wir die Bedingungen so schaffen, dass Lernen möglichst gut möglich ist."

Auch die anderen Schulen arrangieren sich mit der suboptimalen Personalsituation. "Wir schöpfen nicht aus dem Vollen, aber den Pflichtunterricht können wir abdecken", sagt der Pullacher Mittelschulrektor Lehrer. Manches wird durch ehrenamtliches Engagement der Lehrer ermöglicht. Er selbst und ein Kollege bieten etwa eine Mountainbike-AG an. Grundschulrektorin Sieben gibt sich genügsam. "Ich komme mit dem Personal aus, das ich habe", sagt sie. Es müsse nichts gestrichen werden. Auch an der Realschule von Stefan Ambrosi ist die Decke dünn, "aber im Moment geht's", erklärt er. Den Schulleiter bedrückt eher, dass aktuell so wenige Referendare nachkommen. "Der Lehrberuf ist offensichtlich nicht so beliebt derzeit", sagt Ambrosi. Richtig nachvollziehen kann er das nicht: "Für mich ist Lehrer nach wie vor der schönste Beruf." Doch auch in Ismaning spürt man eine gewisse Fluktuation im Kollegium. Ein Grund dafür sind die hohen Lebenshaltungskosten in der Region - die mit einem Lehrergehalt zu bestreiten zunehmend schwieriger wird. Der BLLV fordert daher schon lange eine faire Besoldung für alle Schularten. Denn eines scheint bei aller guten Vorbereitung auch im Landkreis München deutlich: "Wenn jemand ausfällt, wird's eng", sagt Eifertinger.

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