Man merkt Natascha Kohnen an, dass sie das Leben genießt, nachdem sie die große Politik hinter sich gelassen hat. Zwei Jahre nach ihrem Rückzug als SPD-Landesvorsitzende infolge der Wahlniederlage von 2018 ist sie 2023 auch aus dem Landtag ausgeschieden. Aktiv ist die Neubibergerin aktuell nur noch im Kreistag des Landkreises München, doch auch dieses Mandat wird die 56-Jährige 2026 auslaufen lassen. Mit ihrer Abgeordnetenpension zur Ruhe setzen will Kohnen sich allerdings nicht. Und so kam die Neubibergerin - gemeinsam mit dem früheren SPD-Landesgeschäftsführer Holger Reise, mit dem sie schon seit 14 Jahren immer wieder zusammenarbeitet - auf die Idee, eine Beratungsagentur für Verbände und Vereine ins Leben zu rufen.
"Blaupuls" nannte das Duo die neu gegründete GmbH. "Es geht darum, diesen Organisationen aufzuzeigen, wie sie ihre Ideen groß werden lassen können und durch den politischen Dschungel bekommen", sagt Kohnen. Dabei gelte es, diese Ansätze so überzeugend zu vertreten, dass die politischen Entscheider dafür offen würden.
"Ich will aus den Erfahrungen in meiner politischen Arbeit berichten und damit Ansatzpunkte demonstrieren." Ein konkretes Beispiel nennt sie aus dem Bereich Sozialpolitik: "Ein großer Sozialverband hat ein Strategiepapier entwickelt, wie wir in Deutschland alle sozialen Themen in den nächsten zehn Jahren weiterentwickeln können. Ich sollte dafür den politischen Blickwinkel einbringen", berichtet Kohnen von dem abgeschlossenen Projekt.
Auch im Bereich Energiewende lägen ihr bereits "schöne Anfragen" vor. "Der Klimawandel ist das Thema Nummer eins, und ich will intensiv dabei sein, wenn Probleme gelöst werden", sagt Kohnen. "Energieunternehmen, die Windräder betreiben wollen, müssen beispielsweise mit Naturschutzverbänden kommunizieren." Genau diese Kommunikation wollen Kohnen und Reise organisieren.
Abgerechnet wird auf Honorarbasis, es sei nicht das Ziel, den Kunden ihre Meinung aufzudrängen. "Viele Verbände und Vereine wollen sich modernisieren, etwas verändern und mehr bewegen", sagt Kohnen. Und gerade kleinere fänden bei großen Agenturen nicht die richtige Beratung. "Sie brauchen Hilfe zur Selbsthilfe statt Abhängigkeit von Dienstleistern."
Kompagnon Holger Reise hat für Kajo Wasserhövel gearbeitet
Es gehe darum, überparteilich zu agieren - das sei ihr schon in der Landtagsarbeit nicht schwergefallen. Und so propagiere sie auch in ihrem neuen Job Offenheit. "Gerade im Bauausschuss des Landtags habe ich mich zum Beispiel auch mit der CSU immer gut ausgetauscht", betont die Sozialdemokratin, die als Expertin für Klimaschutz und Wohnungsbau 2017 zur zwölfköpfigen SPD-Delegation bei den Koalitionsverhandlungen in Berlin gehörte. Jetzt gehe es bei ihrer Arbeit eher um die Bundestagswahl 2025, schließlich hätten einige Verbände ziemlich konkrete Ziele, was sie nach der Bildung einer neuen Regierung erreichen wollten.
Das Portfolio von Blaupuls umfasst neben der strategischen Planung auch Coaching der handelnden Verbandsfunktionäre, Moderationen, um festgefahrene Konflikte innerhalb der Organisationen zu lösen, und das Feld Kommunikation, für das Kohnens Kompagnon Holger Reise prädestiniert ist, wie sie sagt: "Er ist ein begnadeter Texter und recherchiert alles bis ins letzte Detail aus." Reise war fünf Jahre lang in der Strategieberatung Elephant Logic von Kajo Wasserhövel tätig, der um die Jahrtausendwende die Bundestagswahlkämpfe von Gerhard Schröder organisiert hatte. Er hat seinen Lebensmittelpunkt in Berlin, war dort auch schon Büroleiter für Mitglieder des Deutschen Bundestags.
Und ist, ebenso wie Natascha Kohnen, sachverständig auf vielen politischen Feldern. "Man muss fachlich gut sein, sonst kann man den Leuten in Verbänden keinen Mehrwert bieten", sagt sie. Dort säßen schließlich bereits zahlreiche Experten. Aber es seien eben vor allem Praktiker. "Wir versuchen, die politische Komponente und damit einen Erfahrungstransfer in die Debatte hineinzubringen", so Kohnen. Dazu knüpft "Blaupuls" viele Kontakte: "Unser Netzwerk wächst und wächst."
All die politischen Streitigkeiten liegen hinter ihr - jetzt will sie Leute an einen Tisch bringen
Was der früheren SPD-Landesvorsitzenden gutzutun scheint: Der Ärger der vergangenen Jahre liegt hinter ihr, die Streitigkeiten mit den politischen Gegnern, aber auch parteiintern auf Kreis-, Landes- und sogar Bundesebene. Doch nun sieht Natascha Kohnen alles etwas gelassener, auch die viel zitierte Spaltung der Gesellschaft. Sie empfiehlt das Buch "Triggerpunkte" von Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser, in dem aufgezeigt wird, dass die Menschen hierzulande eigentlich gar nicht so grundsätzlich zerstritten sind, wie das oft wirkt, wenn man sich die unsachlichen Debatten in den sozialen Medien vor Augen führt. Und sie sieht auch dieses Thema als Gegenstand ihrer Arbeit. Verbände müssten genau analysieren, welche Einstellungen und Vorbehalte in der eigenen Zielgruppe bestehen und umstrittene Themen so kommunizieren, "dass man Kopf und Bauch der Menschen erreicht", wie sie sagt. "Aus Verantwortung für die eigene Organisation - aber auch für Gesellschaft und Demokratie."