Leihräder:"Wir sind nicht verheiratet mit der MVG"

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Weil sie sich über Strafgebühren der Münchner Verkehrsgesellschaft ärgern, sehen sich einige Kommunen nach anderen Anbietern von Mieträdern um.

Von Bernhard Lohr, Landkreis München

Es war noch nie so leicht, sich im Landkreis aufs Rad zu schwingen. Man muss sein eigenes nicht einmal dabei haben. Wer die App der Münchner Verkehrsgesellschaft auf dem Handy hat, kann spontan von 162 Stationen mit einem MVG-Mietrad losfahren. Doch drei Jahre nach dem Einstieg in die schöne neue Fahrradwelt mit den Münchner Verkehrsbetrieben als Partner läuft das Rad nicht mehr ganz rund. Die Zahl der Ausleihen ist im Corona-Jahr 2020 eingebrochen. In vielen Rathäusern fühlt man sich beim Ausbau des Leihsystems zudem von der MVG ausgebremst. Sogar neue Partner kann man sich mittlerweile vorstellen.

Die Rückgang der Ausleihzahlen in den meisten Kommunen 2020 ist ernüchternd, aber auch zu erklären. Die Menschen saßen im Lockdown zuhause. Sie arbeiteten am Küchentisch und unterrichteten nebenher ihre Kinder, so gut es ging. Wer brauchte da schon ein Leihrad? Auch die Hochschulen in Garching und Neubiberg waren verwaist. So wurden die MVG-Räder im März 2020 nicht öfter ausgeliehen als im März des Vorjahres, obwohl Anfang 2019 nur wenige Stationen aufgebaut waren. Im Juli 2020 verzeichnete man mit 6700 Ausleihen etwa die Hälfte des Vorjahrs. Ähnlich lief es in den trüben Wintermonaten. In Unterschleißheim verzeichnete man übers Jahr gesehen schließlich zehn Prozent weniger Ausleihen, in Ismaning 24 Prozent und in Oberhaching sogar knapp 40 Prozent. Deutliche Ausreißer sind Grünwald, wo die MVG-Räder trotz Corona 25 Prozent mehr genutzt wurden als davor, und in Oberschleißheim mit einem Zuwachs von sogar 70 Prozent.

Die MVG tut sich mit einer Erklärung für diesen Sprung in den beiden Kommunen schwer. In den Rathäusern hat man einige Ideen. So erlebten die Schlössergemeinde im Norden und die Isartalgemeinde im Süden gerade wegen der Pandemie einen Ansturm von Ausflüglern aus München. Der stellvertretende Hauptamtsleiter Rudi Peinelt in Grünwald erinnert sich lebhaft an die überfüllten Isarauen mit Müll und anderen unschönen Auswüchsen. Die Zahl im Jahr 2020 habe auch in die Höhe getrieben, dass die große Leihstation am Derbolfinger Platz 2019 erst im August eröffnet worden sei, erläutert er. Die Oberschleißheimer Rathaussprecherin Doris Rohe verweist darauf, dass 2020 die Ausleihen am Helmholtz-Zentrum nahe der Münchner Stadtgrenze stark zugenommen haben. Für viele Mitarbeiter habe sich wohl angeboten, direkt mit dem Rad zur Arbeit zu kommen. Busse und Bahnen waren aus Infektionsschutzgründen ja auch nicht opportun.

Eigentlich könnte es jetzt bei einer entspannteren Corona-Lage wieder aufwärts gehen mit den MVG-Rädern im Landkreis München. Doch die Stimmung ist getrübt. Denn das Ausleihen ist seit März 2021 deutlich unattraktiver geworden, weil die MVG darauf besteht, dass die Räder wieder an einer Station abgestellt werden. Sonst wird eine Strafgebühr in Höhe von 20 Euro fällig. Die MVG will damit die Ausleiher disziplinieren und Kosten reduzieren, die durch das Einsammeln der Räder entstehen. Ismanings Bürgermeister Alexander Greulich (SPD) erwartet, dass dies den Menschen die Nutzung von Leihrädern vergällt. "Ich habe die Befürchtung, dass das System kaputt geht", sagt er. Wer leihe sich denn noch ein Rad, wenn er zwei Mal mit 20 Euro Strafe belangt worden ist.

Der Erfolg, den sich die MVG erhofft hat, hat sich offenbar schon eingestellt. Es stehen weniger Räder wild herum, hat etwa Günter Rudolf, Kämmerer in Haar, beobachtet, der die ÖPNV-Themen im Rathaus verantwortet. "Man sieht es auf den Straßen", sagt er. Ob das nur der gestiegenen Disziplin geschuldet ist oder die Zahl der Ausleihen seit März 2021, als die Gebühr eingeführt wurde, erneut zurückgegangen ist, lässt sich noch nicht beantworten. Zahlen für dieses Jahr werden in den Rathäusern frühestens Anfang 2022 erwartet.

Einige Bürgermeister wollen aber Fortschritte sehen. Sie pochen auf die Einführung sogenannter geregelter stationsunabhängiger Ausleih- und Abgabemöglichkeiten. Und sie pochen darauf, dass bald auch E-Bikes und Lastenräder in ihren Kommunen auszuleihen sind. Die MVG äußert sich dazu defensiv. Ein Sprecher sagt, man orientiere sich, was eine Weiterentwicklung des Systems im Landkreis angehe, "an den Wünschen und Bedürfnissen der Nutzenden, gleichzeitig aber auch an der Wirtschaftlichkeit". In den Nordkommunen setzt man mittlerweile auf politischen Druck, um die MVG in Bewegung zu bringen. Unterschleißheims Bürgermeister Christoph Böck (SPD) berichtet von entsprechenden Appellen an Münchens OB Dieter Reiter (SPD). Auch haben die Nordkommunen im Landkreis bereits Fühler zu anderen Mobilitätsanbietern ausgestreckt, ob mit diesen eine Zusammenarbeit etwa bei E-Bikes und Lastenrädern möglich wäre. Mit positivem Ergebnis: "Dort scheint manches einfacher zu gehen", sagt Ismanings Bürgermeister Greulich. Böck: "Wir sind nicht verheiratet mit der MVG."

© SZ vom 27.10.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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