Sport im Landkreis München:Die heimlichen Weltmeister

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Gleich zwei Top-Klubs gibt es im Landkreis München: die Grasshoppers Höhenkirchen (dunkle Trikots) und den TSV Grünwald, hier ein Derby ihrer beiden Frauenmannschaften. (Foto: privat/Gabriele Lemmle / oh)

Dass Deutschland den WM-Titel im Hockey gewonnen hat, ist kaum wahrgenommen worden. Dabei boomen die Vereine im Landkreis München schon seit Jahren - trotzdem gibt es etliche Probleme.

Von Stefan Galler, Grünwald/Höhenkirchen-Siegerstbrunn

Die Hockeyspieler des TSV Grünwald haben blitzschnell reagiert: Kaum hatte die deutsche Männer-Nationalmannschaft das Penaltyschießen gegen Olympiasieger Belgien für sich entschieden, feierten die Grünwalder den Erfolg auch schon auf ihrer Facebookseite: "Wir sind Weltmeister", heißt es in dem Beitrag, der vom Deutschen Hockey-Bund (DHB) vergangene Woche gepostet und vom TSV geteilt wurde. Spartenleiter Michael Bork, selbst früher Bundesligaspieler beim mehrfachen Deutschen Meister Rüsselsheim und heute Vorsitzender der DHB-Stiftung, ist begeistert: Etwas "ganz Besonderes" sei dieser WM-Sieg, sagt er. "Alleine die drei Siege im Shootout - das hat wirklich jeden gepackt, der eingeschaltet hat."

Doch die Reaktionen, die sich unterhalb des Facebook-Beitrags sammelten, waren aus einem bestimmten Grund alles andere als euphorisch: Von dem großen sportlichen Erfolg hat die Öffentlichkeit kaum etwas mitbekommen. Lediglich auf einem Bezahl-Streaming-Sender konnte man das in Indien stattfindende Turnier verfolgen, bei ARD und ZDF gab es keine einzige Sendeminute. "Da steht eine deutsche Mannschaft im WM-Hockeyfinale und niemand überträgt es live", schreibt ein User. Viele andere schlagen ähnliche Töne an.

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Gabriele Lemmle ist richtig sauer wegen der stiefmütterlichen Behandlung ihrer Sportart: "Die sehr geringe Medienpräsenz macht es uns nicht so leicht, Kinder für unseren Sport zu begeistern", sagt die Abteilungsleiterin der Hockeysparte bei der Spielvereinigung (SpVgg) Höhenkirchen, die sich selbst "Grasshoppers" nennen. Und Vera Florentz, die beim in Unterföhring ansässigen ASV München die Jugendarbeit mitverantwortet, schlägt in die gleiche Kerbe: Die Tatsache, dass man im Fernsehen ein Nischendasein friste, erschwere vor allem die Gewinnung von Werbepartnern erheblich. "Sponsoring ist praktisch nicht vorhanden", sagt sie.

Dabei brummen die wenigen Hockeyvereine im Landkreis gewaltig. Und das, obwohl es nebenan in der Landeshauptstadt zwei ganz große Klubs gibt: den Herren- und Frauen-Bundesligisten Münchner SC sowie den früheren Deutschen Männer-Meister HLC Rot-Weiß München. Doch die Randsportart Hockey boomt auch im Speckgürtel. Egal, wann man im Frühjahr oder Sommer von Unterföhring nach Ismaning unterwegs ist, auf der Sportanlage am Poschinger Weiher herrscht immer Betrieb, abends auch unter dem gleißenden Flutlicht.

Auf zwei Kunstrasenplätzen üben dort sämtliche Jahrgänge der Hockeyabteilung des ASV, der seit 1969 im Landkreis seine sportliche Heimat hat. Als "Akademischer Sportverein" in Dresden gegründet, hatten sich die Mitglieder nach dem Krieg und der deutschen Teilung 1952 in München im Rahmen einer Neugründung des Klubs mit den Sparten Hockey und Tennis sozusagen wiedervereinigt. Es folgte 2001 eine Fusion mit der Hockeyabteilung von Jahn München. Mittlerweile hat der Akademische Sportverein fast tausend Mitglieder, davon 850 Jugendliche. "Während Corona sind es gerade bei den Kindern sogar mehr geworden, weil wir durchgehend Trainingsangebote gemacht haben", sagt Vera Florentz.

Das kann Gabriele Lemmle auch für ihren Verein anführen: "Wir sind durch Corona nicht geschrumpft", sagt sie. Etwa 250 Mitglieder umfasse die Abteilung, die damit nach den Fußballern zu den größten innerhalb der SpVgg Höhenkirchen zählt. Dabei hatte man kurz nach der Gründung der Sparte 2007 größte Probleme, eine Spielstätte zu finden. Erst nach vielen Jahren wurden die Rufe der Grasshoppers erhört, mittlerweile verfügt man über zwei Kunstrasenplätze. Mit den Fußballern komme man "super gut" aus, erzählt Lemmle. "Auch an Spieltagen ist es sehr harmonisch, wir pflegen ein interessantes Miteinander."

Gabriele Lemmle, Abteilungsleiterin des Hockeyvereins Grasshoppers Höhenkirchen. (Foto: privat/Gabriele Lemmle / oh)

In Unterföhring ist sogar die Erweiterung des Hockeygeländes um einen dritten Trainingsplatz geplant. "Es wird Zuschüsse geben, aber für uns als Verein ist das natürlich eine heftige Belastung", sagt ASV-Jugendleiterin Florentz. Einen zweiten Hockeyrasen wünscht sich auch Spartenleiter Bork in Grünwald. Aktuell hat der TSV einen speziellen Platz für diese Sportart zur Verfügung und nutzt zudem den kaum mehr bespielten Hybridrasen der Fußballer im Freizeitpark. Für die Kicker ist er zu hart geworden. "Wir sind sehr froh, dass uns Bürgermeister Jan Neusiedl immer unterstützt", so Bork, der dementsprechend auf einen festen zweiten Platz hofft.

Argumente für ihre Sportart haben die Hockeyfunktionäre genug: Es handelt sich um eine Ganzjahresdisziplin: Im Winter läuft die Hallensaison, ebenfalls mit Ligabetrieb. Zudem ist die Ausrüstung erschwinglich, bis auf die Schutzpanzer der Torhüter, die aber in der Regel vom Verein bezahlt werden. "Die Sportart ist technisch anspruchsvoll, trotzdem spielt der athletische Faktor eine Rolle und man muss mit Köpfchen spielen", sagt ASV-Funktionärin Florentz. Vor allem für Mädchen ist Hockey eine Freiluftalternative zu Volleyball und Handball. "Und man muss schon sagen, dass es den Teenagerinnen auch gefällt, beim Sport in hübschen Röckchen adrett auszusehen", sagt Florentz augenzwinkernd.

Freude am Hockey: Die Grasshoppers-Männer bejubeln einen Treffer. (Foto: Gabriele Lemmle / oh)

Und doch haben die Hockeyklubs in und um München ein gemeinsames Problem, und das überlagert alles: Es gibt zu wenige zertifizierte Trainer. Bei den Höhenkirchner Grasshoppers haben sie immerhin einen hauptamtlichen Coach, den früheren spanischen Jugendnationalspieler Carlos Escriba Linero. "Aber er braucht dringend Entlastung und die ist hier schwieriger zu finden als in Hockey-Hochburgen wie Hamburg", sagt Gabriele Lemmle. Michael Bork ergänzt, dass die Situation auch bei seinem Klub schwierig sei: "Wir suchen seit zwei Jahren vergeblich, dabei kann ich verraten, dass Grünwald gut zahlt." Das Problem liege auf der Hand, so der frühere Erstligaspieler: "Hockey ist bei weitem nicht so verbreitet wie andere Mannschaftssportarten, deshalb gibt es auch weniger Trainer, die eine spezifische Ausbildung haben."

Ohne entsprechende Übungsleiter in der Jugend ist es zwar schwierig, nach oben zu kommen, zumindest der ASV aber hat Ambitionen höherklassig zu spielen. Die Herrenmannschaft ist jüngst in die Regionalliga, die dritthöchste Spielklasse, aufgestiegen. Es sei aber nicht einfach, die eigenen Topspieler zu halten, da nebenan in München-Lerchenau der Bundesligist Münchner SC zu Hause ist, sagt Vera Florentz. Beim TSV Grünwald mussten sie in der Vergangenheit ihre besten Spieler ebenfalls oft ziehen lassen - oder die Talente hörten in der Pubertät abrupt mit dem Sport auf. "Wir haben 400 Mitglieder in der Abteilung, aber konstant Probleme bei den 15- bis 18-Jährigen", sagt Bork. "Das könnte bei dem ein oder anderen an der Schule liegen, oder auch daran, dass es gerade in Grünwald viele andere Freizeitangebote gibt."

In Höhenkirchen haben sie in allen Jahrgängen ausreichend Aktive, die Jugendteams sind bereits erfolgreich, nun sollen sich auch die Erwachsenen aus der Verbandsliga nach oben spielen. "Wir hatten in der Vergangenheit oft das Problem, dass uns die besten in der Jugend verlassen haben, doch zuletzt kamen immer mal wieder welche zurück", sagt Gabriele Lemmle und meint etwa den früheren U16-Nationalspieler Michael Huber, heute einer der Eckpfeiler der Höhenkirchner Männermannschaft.

Internationaler Sport: In Grünwald sind schon die Auswahlen von Deutschland und Argentinien aufeinander getroffen. (Foto: Claus Schunk)

Wie in allen Sportvereinen wäre auch beim Hockey ohne Ehrenamtliche nichts los. Marketing-Expertin Lemmle hat es mit ihrem Sachverstand vor anderthalb Jahren sogar ins Executive Board der European Hockey Federation (EHF) geschafft. In ihrem Heimatverein legt die Abteilungsleiterin großen Wert auf Integration, erst im Sommer veranstalteten die Grasshoppers einen Hockey-Tag für geistig beeinträchtigte Menschen, auch zwei Flüchtlingsfamilien aus der Ukraine, die dort schon Hockey gespielt haben, waren in Höhenkirchen willkommen. "Sie sind mittlerweile wieder in ihrer Heimat", sagt Lemmle.

Der Grünwalder Bork investiert neben seinem Engagement auch Finanzmittel in den Sport. Er organisierte im Freizeitpark vor den Olympischen Spielen 2016 zwei Frauen-Länderspiele zwischen Deutschland und Spanien. Fast 2000 Zuschauer kamen. Im Vorfeld der WM 2018 machte Bork trotz hoher organisatorischer Anforderungen durch den DHB ein hochkarätig besetztes Vier-Nationen-Turnier möglich.

An den Hockeyvereinen aus dem Landkreis liegt es also nicht, dass der jüngste deutsche WM-Triumph recht geräuschlos an der Öffentlichkeit vorbeigezogen ist. Doch die nächste Chance auf kollektive Begeisterung wartet schon im Sommer: Im August steigt in Mönchengladbach die Europameisterschaft der Männer und Frauen. "Da hoffen wir natürlich auf unser Sommermärchen", sagt Gabriele Lemmle.

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