München:Der Statist und die Stars

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Wolfgang Maier hat mehr als 140 000 Fotos mit Stars gesammelt. (Foto: Claus Schunk)

Wolfgang Maier hat in 900 Filmen als Komparse mitgewirkt. Vor fast 50 Jahren begann er, Fotos von sich und bekannten Schauspielern zu sammeln. Eine Auswahl ist derzeit in Grünwald zu sehen.

Von Christina Hertel, Grünwald

Wolfgang Maier, 67, sitzt an seinem Esszimmertisch in einem Plattenbau im Münchner Westen und sagt, dass er in seinem Leben mehr erreicht habe, als er sich je erträumte. Dann schiebt er einen Zeitungsartikel über die Tischplatte, ausgeschnitten, kopiert, bestimmt 30 Jahre alt. "Wolfgang Meier aus München ist der Schatten aller Filmstars" ist die Überschrift. Maier hat das e durchgestrichen und ein kleines a daneben gemalt. "Lesen Sie nur mal den ersten Satz", fordert er einen auf. "Wolfgang Meier ist der bekannteste Filmstar Deutschlands", steht da. Und dann: "Zumindest bei seinen Kollegen und Regisseuren." Maier lächelt.

Die meisten Menschen mit einem Fernseher im Wohnzimmer haben Wolfgang Maier wohl schon einmal gesehen, die wenigsten dürften ihn bemerkt haben: Maier spielte nach eigenen Angaben in mehr als 900 Filmen mit - als Postbote, als Schaffner, als Polizist, als Mann, der irgendwo im Hintergrund durch das Bild läuft. Komparse würde man das wohl nennen, doch Maier mag das Wort nicht. Lieber sei ihm Darsteller, auch wenn er selten mehr als ein paar Sätze sprechen durfte. Bei einem seiner ersten Drehs, 1972 zu der Serie "Der Kommissar", knipste Maier ein Erinnerungsfoto: Der Statist Maier neben dem Schauspieler Erik Ode, beide in Trenchcoat. "Und daraus", sagt Maier, "sind dann ein paar mehr Bilder geworden." Mehr als 140 000 Fotos habe er gesammelt - von Schauspielern und Regisseuren, aber auch von Politikern und Sportlern.

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Maier hat sie alle mit einer Analogkamera aufgenommen, er macht immer ein hochformatiges und ein querformatiges Bild - zur Sicherheit. Keines der Fotos ist gekauft oder getauscht. Das wird Maier noch oft betonen, wenn man sich mit ihm über seine Sammlung unterhält. 540 Ordner voller Bilder und Autogramme stehen in seiner Wohnung - in Regalen und Schränken, die Maier einen nach dem anderen öffnet, als wolle er beweisen, dass das, was er erzählt, wirklich stimmt.

Noch bis Ende Oktober hängt in der Kantine der Bavaria-Filmstudios in Grünwald eine Auswahl der Bilder. Man sieht Maier neben Florian Henkel von Donnersmark und neben Veronica Ferres, neben Helmut Dietl und Arnold Schwarzenegger, fast immer im weißen Hemd und mit Schlips. So sei er immer am Set erschienen, bevor er sein Kostüm anzog. Und so gehe er auch heute noch durch München, wenn er sich zwischen dem Hotel Bayerischer Hof und der Maximilianstraße auf die Suche nach berühmten Menschen macht, die er fotografieren kann. "Man muss ja irgendwie seriös wirken", sagt Maier. Er ist einer von den Leuten, die selten "ich" sagen.

Maier wuchs in einem Heim in München auf. 24 Kinder in einem Zimmer, wenn die Erzieherinnen bloß Putzlappen schmissen, sei das ein Glück gewesen. "Ich war nie alleine, selbst beim Duschen kamen die Erzieherinnen ins Bad." Auch dann noch, als er in die Pubertät gekommen sei. Einmal paar Mal habe er versucht abzuhauen, doch die Nächte seien so kalt gewesen, dass er schnell zurück in das Heim kehrte. Seine Ruhe, so erzählt Maier es, hatte er bloß, wenn er sich nach der Schule in den Heizungskeller setzte - mit etwas Brot, Wurst und seiner Taschenlampe. Wer seine Eltern waren, warum sie ihn weggegeben hatten, erfuhr Maier nie. Erst vor zehn Jahren hörte er auf, danach zu forschen, doch die Fragen seien geblieben.

Als Maier von seiner Kindheit in dem Heim erzählt, steht er in seinem Arbeitszimmer mit Regalen voller Aktenordner und Alben. Früher war das das Kinderzimmer seiner Tochter, heute sitzt Maier fast jede Nacht an dem Schreibtisch und klebt Bilder, Autogrammkarten und Zeitungsartikel ein, die er in der U-Bahn findet oder die ihm Nachbarn schenken. Gestern sei er erst um 4 Uhr ins Bett gekommen, sagt Maier in einem Ton, wie Menschen sprechen, die von ihren stressigen Job erzählen. Auf einem kleinen Zettel notiert er, bis wann er nachts an seiner Sammlung arbeitet. Vor eins schläft er demnach nie. "Manchmal tut der Rücken weh", sagt Maier, "oder die Augen." Doch die Arbeit nehme kein Ende - weil eine Berühmtheit stirbt, einen neuen Film macht, sich trennt oder ein Kind bekommt. Wieso tut Maier das? Aus der Küche holt er Zeitungsartikel von Menschen, die Disney-Figuren oder Porzellan sammeln. Irgendwie sucht doch jeder nach einer Aufgabe, die ihn zu etwas Besonderem macht, will er damit vielleicht sagen.

An einem Dienstag Ende September steht Maier an der Pforte der Bavaria Film-Studios. In der Hand hält er einen Jutebeutel voller Pfandflaschen. Eigentlich wollte er sie noch abgeben, aber die Schlange sei so lang gewesen. Maier klimpert beim Gehen. Er trägt eine Cordhose, einen blauen Pullover, sein Haar ist grau und fein, seine Haltung immer ein wenig gebückt. Zwei, drei Mal die Woche besucht er seine Ausstellung in der Kantine, immer gegen 13 oder 14 Uhr, um nach dem Rechten zu sehen und um Leuten Fragen zu beantworten und noch mehr Bilder zu zeigen. In seiner Umhängetasche eingepackt in Klarsichthüllen, die seine Frau gekauft hat, hat Maier immer ein paar Fotos dabei. Sein Lieblingsbild ist das mit dem Schauspieler und Regisseur Klaus Kinski. "Er hat dem, der ihn vor mir angesprochen hat, einen Schuh an den Kopf geworfen." Auf dem Foto hat Kinski den Arm auf Maiers Schulter abgelegt und raucht Zigarette. Maier und er sehen wie alte Freunde aus.

"Ich habe oft gehört, dass ich ein richtiges Beamtengesicht habe."

Am Eingang der Kantine hängt Maiers Model-Setcard. Die Siebziger-Jahre-Version von Maier mit vollem, dunklem Haar, Jeans-Schlaghose, aufgeknöpftem Hemd. "Es war klar, dass das nicht klappt", sagt er. "Ich bin zu klein." Mit 1,75 Meter kann man als Mann kein Model werden, aber Statist - weil man nie zwischen den Schauspielern herausragt. In bestimmt 400 Filmen habe er Polizisten gespielt, Tatort, Derrick, Polizeiruf, Soko. "Ich habe oft gehört, dass ich ein richtiges Beamtengesicht habe." Ob er nie doch heimlich hoffte, entdeckt zu werden? "Ich wollte nicht mehr", antwortet Maier auf diese Frage, die man so oder so ähnlich häufiger stellt. Denn er hängt in der Kantine auch mit Hut auf grünen Wiesen sitzend - als Titelmann von Groschenromanen. "Ich bin kein Schauspieler", sagt Maier trotzdem. "Ich habe das ja nicht gelernt."

Gelernt hat Maier KfZ-Mechaniker, doch bei einem Unfall verletzte er sich so schwer, dass er in dem Beruf nicht mehr arbeiten konnte. Dann machte er Inventur - in Supermärkten, in Baumärkten, irgendwo - um zwischen Drehs ein wenig Geld zu verdienen. Zum ersten Filmjob kam er Anfang der Siebzigerjahre durch Zufall: Er lief an einem Set vorbei, ein Bekannter arbeitete dort und sprach ihn an. Maier, das hört man so heraus, bewunderte die Reichen und die Schönen, diejenigen, die etwas "geschafft" haben in ihrem Leben, schon immer. Die Tankstelle, in der er seine Ausbildung machte, lag an der Grünwalder Straße - dort, wo auch die Trainingsplätze des FC Bayern waren und die Bavaria-Filmstudios.

Inzwischen nehme er nicht mehr jedes Drehangebot an. "Ich bin nicht mehr der Hausl von allen", sagt Maier. Früher habe er oft 150 Mark bekommen, heute manchmal nicht mehr als 30 Euro. Sein letzter Dreh ist schon mehr als zwei Jahre her. Dann kommt ein Mann mit Sakko und Risotto auf dem Tablett auf Maier zu und möchte ein Autogramm. "Sie sind ja eine richtige Persönlichkeit, da kann ich froh sein, dass Sie überhaupt mit mir sprechen", sagt er, ein Tonfall, bei dem man sich nicht sicher sein kann, ob er es ernst meint. Maier schreibt "Für den netten Thomas" in ein Büchlein, das über ihn erschienen ist. Das Titelbild zeigt ihn mit Heike Makatsch. Maier verkauft es dem netten Thomas für fünf Euro. Über Maier gibt es Zeitungsartikel, Fernsehdokumentationen, Ausstellungen, einen Wikipedia-Eintrag. Philipp Lahm habe ihn mal erkannt, erzählt er, und wenn er durch München schlendere, gebe ihm meistens irgendwer ein Bier aus. Maier sagt, es mache ihn stolz, dass er mit seiner Sammlung die Menschen bewegt. Als man ihm an der Pforte des Filmstudios die Hand entgegenstreckt, um sich zu verabschieden, fragt er: "Und nun, was halten Sie von dem, was ich mache?" Er sagt das so, dass man nicht anders kann, als ihn zu loben.

Die Ausstellung in der Kantine der Bavaria-Filmstudios im Grünwalder Gemeindeteil Geiselgasteig läuft bis mindestens Donnerstag, 31. Oktober. Interessierte können sie montags bis freitags von 7.30 bis 16 Uhr besuchen.

© SZ vom 25.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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