Kunst in Zeiten der Pandemie:Theatre of Streams

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Das Kleine Theater Haar ohne Präsenzzuschauer. (Foto: Claus Schunk)

Viele Veranstalter beklagen die Geringschätzung der Kultur durch die Politik. Trotzdem schaffen sie es, unter erschwerten Bedingungen einiges auf die Beine zu stellen

Von Udo Watter

Old Trafford, das legendäre Stadion des englischen Spitzenklubs Manchester United, genießt den schönen Beinamen "Theatre of Dreams": Theater der Träume. Eine nicht ganz so legendäre Institution im Landkreis München wird in diesem Jahr quasi zum "Theatre of Streams" - das Kleine Theater Haar. Der Chef des Hauses, Matthias Riedel-Rüppel, hat mit seinem Team den pandemiebedingten Einschränkungen in vielerlei Hinsicht die Stirn geboten - professionelles Live-Streaming inklusive. Das Angebot des "digitalen Theaters" wird dabei respektabel genutzt, während des kulturellen Shutdowns im November und Dezember gibt es noch einige virtuell gut besuchte Vorstellungen in Haar, für welche die Kulturfreunde eben auch Geld zu zahlen bereit sind. Überhaupt ist das Jugendstil-Haus im Landkreis der Hotspot schlechthin, kultureller Natur selbstverständlich.

Inwieweit das Begriffspaar "Kultur" und "Systemrelevanz" korrespondiert, darüber gibt es unterschiedliche Ansichten. Bei Riedel-Rüppel löst diese Frage, und wie sie in der Politik oft diskutiert wurde, eher das Verlangen nach einem Kübel aus. "Systemrelevanz ist für mich das Unwort des Jahres. Ich finde das wahnsinnig respektlos", sagt er mit Blick auf zahlreiche Schicksale, die mit dem kulturellen Shutdown verflochten sind. "Ich kenne viele Künstlerinnen und Künstler, und teils haben die seit März nichts mehr verdient. Genauso traurig ist die Lage für Techniker, die keine feste Anstellung haben." Riedl-Rüppel hat dieser Zwangspause mit viel Einsatz etwas entgegenzusetzen versucht, auch dazugelernt, was die Umsetzung von Hygienemaßnahmen angeht oder die Digitalisierung, aber natürlich hätte er auf vieles verzichten können. "Es war spannend, es war aber oft auch sehr traurig. Corona hat alles dominiert."

Das Kleine Theater Haar ohne Präsenzzuschauer. (Foto: Claus Schunk)

Sportler wie die in den vergangenen Jahren wenig erfolgreichen Fußballer von Manchester United sollen im Sinne der psychologischen Stärkung ja unangenehme Niederlagen und Rückschläge am besten schnell abhaken: Nicht zurückblicken, nach vorne schauen, sich der eigenen Stärken besinnen, positiv denken. Immer weiter, immer weiter.

Können Künstler und Kulturschaffende das auch? Ein von Corona gekröntes Jahr einfach abhaken, die Schneise, welche die Pandemie gleichsam für ein ganzes Jahr in den Alltag geschlagen hat, ohne Langzeitfolgen überwinden? Nein, natürlich nicht. Wer finanziell ohne größere Dellen durchs Jahr gekommen ist, der wird sich vielleicht tatsächlich über das Phänomen der erzwungenen Entschleunigung gefreut haben, welches terminungebundene Freiheit für kreative Momente schuf, oder er hat den historischen Ausnahmezustand eher als ästhetisches Erlebnis wahrgenommen. Viele andere, vor allem Selbständige, klagten und litten unter den vielen Absagen, damit verbundenen Einbußen und darüber hinaus unter der partiellen Problematik, vom Staat adäquate Unterstützung zu bekommen

Das finale März-Konzert in Grünwald. (Foto: Claus Schunk)

Manche Künstler, die ihr Außenseiterdasein kultivieren, wollen zwar gar nicht systemrelevant sein, andere eher gesellschaftlich orientierte Kulturmacher wie Hannah Stegmayer, Leiterin des Pullacher Bürgerhauses, sagen aber: "Kunst und Kultur sind Lebensmittel." Viele Veranstalter und im Kulturbetrieb arbeitende Menschen ärgern sich über die Schnelligkeit und Strenge, mit der Politiker Theater, Kinos, Museen und Bühnen schlossen - gerade auch im Kulturstaat Bayern. Thomas Gotterbarm, Kulturreferent in Garching, ist auch einer, der jede Chance genutzt hat, Veranstaltungen zu realisieren, darunter auch Open-Air-Vorstellungen im Sommer im Theatron - Michael Altingers zwei Auftritte dort im Juni waren die ersten für den als Rampensau bekannten Kabarettisten nach dem Lockdown und langer Bühnenpause. "Live ist alles besser", sagt Gotterbarm, weiß aber auch: "Kulturveranstaltungen gehören nicht zu den absoluten Notwendigkeiten". Was Wert und Notwendigkeit der Kultur angeht, wurde unterschiedlich umgegangen in den Gemeinden und an den Bürgerhäusern. Vielerorts versuchten die Verantwortlichen, wenn sich die Chance bot, Veranstaltungen zu realisieren - ob in Pullach, Oberhaching, Taufkirchen, Neubiberg, Unterföhring oder anderswo. In Unterschleißheim, wo sich die Sanierung des Bürgerhauses hinzieht, wurde auch eifrig gestreamt - und zudem gelang es, die alljährlichen "Lichtblicke"-Benefizkonzerte erfolgreich nach Garching zu verlegen. In Unterföhring, wo heuer das zehnjährige Bestehen des Bürgerhauses gefeiert wurde, fanden diese Feiern nur eingeschränkt statt: Immerhin gab es im Sommer erfolgreiches Open-Air-Kino und natürlich die Jubiläumstheatervorstellung der Bürgerbühne zum zehnten Geburtstag im Oktober - kurz, bevor die Pforten zum zweiten Mal schließen mussten. Nicht überall genoss die Kultur Priorisierung. In Grünwald, wo im März kurz vor dem ersten Lockdown noch das Duo Runge & Ammon ein bewegendes "Abschieds"-Konzert mit dem Programm "Roll Over Beethoven" gab, war etwa der politische Wille nicht übermäßig groß, die namhaften Reihen "Grünwalder Konzerte" und "Klassik plus" unter neuen, alternativen Bedingungen fortzusetzen.

Jenseits der Diskurse um die Bedeutung und Relevanz von Kultur gab es im Landkreis heuer so manch schönes Ereignis, das auch unter pandemisch bedingten Einschränkungen eine inspirierende, bereichernde Wirkung zeitigte. Die Aktionen des Unterföhringer Vereins "Baum der Hoffnung" um den Künstler Zuheir Darwish, der einen "Zaun der Hoffnung" im Ort anbot, an dem sich Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene kreativ entfalten und Zuversicht versprühen konnten, waren ein schönes, kleines Exempel. In Ottobrunn feierte der örtliche Kunstverein sein 25-Jähriges: mit interessanten Ausstellungen, so gut und so lang es ging - und auch hier waren nicht zuletzt die digital angebotenen Optionen eindrucksvoll. Das Kallmann-Museum in Ismaning vermochte im Sommer und Herbst die spannende, inspirierende Ausstellung "Die Ausweitung der Marktzone" zu zeigen, mit guter Resonanz.

"Ausweitung der Marktzone" im Kallmann-Museum. (Foto: Claus Schunk)

Erwähnenswert wäre noch das Video-begleitete CD-Release-Konzert der Brüder und Leiter der "Ottobrunner Konzerte" Johannes Tonio und Cornelius Claudio Kreusch im Herbst im Wolf-Ferrari-Haus. Ein besonderes Konzert hätte auch der in Riemerling wohnende Jazz-Pianist Bernd Lhotzky in Oberhaching am 11. Dezember gehabt - sein Geburtstagskonzert zum 50. im Bürgersaal beim Forstner. Das fiel natürlich aus. Lhotzky selber fand dieses, von vielen so verfluchte Jahr aber eigentlich ziemlich befruchtend. Er genoss neue, frei gewordene Schöpfungskraft.

Dennoch, bei aller Ambivalenz: Für viele war 2020 ein schwieriges Jahr. Was bleibt? Was kommt? Abwarten und hoffen, dass irgendwann wieder mehr über Dreaming als Streaming gesprochen wird.

© SZ vom 31.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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