Vogelschutz:Die Naherholung ufert aus

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Für seltene Bodenbrüter sind die Kiesbänke an der Isar nicht zu ersetzen. Doch der Fluss hat durch Wasserkraftwerke an Dynamik eingebüßt. (Foto: Claus Schunk)

Die Isar gilt in weiten Teilen als naturnah. Doch seltene Kiesbrüter finden immer weniger Rückzugsraum. Das hat auch mit dem geänderten Freizeitverhalten durch Corona zu tun.

Von Bernhard Lohr, Baierbrunn/Schäftlarn

Die Tage werden länger, irgendwann scheint auch wieder die Sonne. Und die Menschen zieht es hinaus in die Natur. Doch mit den Spaziergängern, Mountainbikern und auch all jenen, die sich bald mit dem Boot auf die Isar begeben, wächst die Gefahr für seltene Pflanzen und Tiere. Viele Bodenbrüter bauen gerade ihre Nester und brauchen Ruhe. An der Isar gilt das besondere Augenmerk von Ornithologen wie Manfred Siering einem kleinen Vogel mit dünnen langen Beinchen, der beim staksigen Laufen charakteristisch mit den Schwanzfedern wackelt. Der Flussuferläufer ist nach Aussage des Grünwalders hierzulande vom Aussterben bedrohte. Ein regelrechter Schlag für den Artenschutz war seiner Überzeugung nach das veränderte Freizeitverhalten im Zuge der Corona-Pandemie.

Ohne Fernglas begibt sich Siering selten in die Natur. Ihm kommt nicht leicht ein seltener Vogel aus. Und so hat der Vorsitzende der Ornithologischen Gesellschaft in Bayern vor zwei, drei Wochen auch schon den ersten Flussuferläufer am Ismaninger Speichersee entdeckt. Er erzählt, dass die Vögel südlich der Sahara in Afrika überwintern, um im Frühjahr wieder aufzubrechen. "Sie fliegen nach Norden. Sie kommen jetzt gerade an", sagt Siering, um sich in Europa an Wildflüssen niederzulassen, zu brüten und ihren Nachwuchs aufzuziehen. "Der Flussuferläufer ist ein typischer Vogel unserer dealpinen Flüsse", sagt Siering. An Isar, Iller, Lech ist er eigentlich zuhause.

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Doch an diesen Flüssen und vor allem an der Isar findet der Vogel immer weniger geschützte Brutplätze. In Finnland, in Norwegen oder Osteuropa gebe es noch mehr naturbelassene Flüsse und den Flussuferläufer in größerer Zahl, sagt Siering. Aber an Isar gehe die Vogelschutzwarte in Garmisch gerade noch von 100 Paaren aus. Siering vermutet einen Rückgang um 20 Prozent seit der Jahrtausendwende.

Die Flussuferläufer an der Isar sind stark gefährdet. (Foto: Thomas Grüner/oh)

Die Ergebnisse der jüngsten bayernweiten Bestandserfassung klingen sogar noch dramatischer. Die Untere Naturschutzbehörde meldet für 2012 noch einen Bestand in ganz Bayern von rund 150 Brutpaaren, der innerhalb von etwa zehn Jahren bis zum Jahr 2022 auf weniger als 100 Paare zurückgegangen sei. Die Isar sei das wichtigste verbliebene Brutgebiet in Bayern. Könnten die Brutplätze nicht erfolgreich geschützt werden, drohe das Aussterben dieser Charakterart der bayerischen Wildflusslandschaften, warnt die Behörde.

Die Gründe sind vielfältig. Ein gravierender Einschnitt war die Eröffnung des Sylvensteinspeichers im Jahr 1957. In Verbindung mit den zahlreichen Flusskraftwerken verlangsamte sich die Fließgeschwindigkeit. "Uns fehlt die Kiesbankdynamik", sagt Siering und meint damit den über Jahrtausende eingespielten Lauf der Dinge, dass sich der Wildfluss mit seinen Wassermassen immer wieder neue Wege sucht und das Bett neu gestaltete. Kiesbänke verschwanden und entstanden an anderer Stelle. Mittlerweile müssen aber Siering zufolge Bagger Kies oberhalb der Staustufen aus dem Fluss holen und künstlich Kiesbänke aufschütten. Dem Wasser fehle die Kraft, bestehende Kiesbänke noch zu überspülen oder zu verändern. Der natürliche Lebensraum von Kiesbrütern verbusche und wachse mit Silberweiden zu.

Die gelben Warnschilder wurden von der Naturschutzbehörde an Kiesbänken bereits aufgestellt. Sie zeigen den selten gewordenen Flussuferläufer. (Foto: Landratsamt München)

Umso wichtiger ist aus Sicht von Siering, dass bestehende Kiesbänke erhalten und auch für seltene Arten wie speziell den Flussuferläufer geschützt werden. Gebietsbetreuer haben Pflöcke eingeschlagen und Schnüre gespannt. Die Untere Naturschutzbehörde im Landratsamt München hat nach eigenen Angaben geeignete Brutplätze zwischen Kloster Schäftlarn und Buchenhain markiert. Für die abgesperrten Brutbereiche besteht zwischen dem 15. März und dem 10. August 2023 ein absolutes Betretungsverbot. Zwar werde der Isar seit Ende der Achtzigerjahre abschnittsweise wieder mehr Raum gegeben, so die Behörde. Dennoch seien die einst im Überfluss vorhandenen Brutplätze von Flussuferläufer und auch Flussregenpfeifer noch immer äußerst rar. Da letzterer im Gegensatz zum Flussuferläufer auch auf vom Menschen geschaffenen Kiesflächen abseits von Flüssen und Bächen wie in Kiesgruben brüte, sei dessen Situation aber etwas besser.

Manfred Siering hört an den Lauten des Vogels sofort, wenn ein Flussuferläufer aufgeschreckt worden ist. (Foto: Claus Schunk)

Manfred Siering erkennt schnell, wenn ein Flussuferläufer von seinem Nest aufgeschreckt worden ist. Der Vogel baue ganz unscheinbare Nester am Boden, oft unter Weidenbüschen nur mit ein paar Ästen, damit die Eier nicht wegrollten. Sobald er gestört werde, laufe er von dem Nest weg und gebe kräftige Laute von sich, um den Störenfried vom Nest abzulenken und dieses zu schützen, erzählt der Vogelkundler. Doch viele Bootsfahrer etwa, die auf Kiesbänken Halt machten, bemerkten das gar nicht.

Die Naturschutzbehörde weist darauf hin, dass es bei dem störungsanfälligen Vogel schon reiche, wenn sich jemand auf 100 Meter dem Brutplatz nähere. Die gut getarnten Gelege der Kiesbrüter auf dem kiesigen Untergrund seien kaum zu sehen und würden leicht zertreten.

Die Zahl der Erholungssuchenden hat sich verdreifacht

Die Gefahr ist zuletzt gewachsen, dass genau das passiert. Während der Corona-Pandemie haben die Menschen laut Siering gezwungenermaßen die Natur in der näheren Umgebung für sich entdeckt. Der Druck auf die Isarauen sei dadurch deutlich gestiegen. Von Gebietsbetreuern höre er, dass sich die Zahl der Erholungssuchenden verdreifacht oder gar vervierfacht habe. Viele Leute seien mit Hunden unterwegs. Diese durchstöberten dann die Büsche und schreckten die Vögel auf, die "am Spülsaum der Isar" brüteten.

Die abgesperrten Brutplätze dürfen laut der Unteren Naturschutzbehörde weder von Land noch von der Wasserseite aus betreten werden. Erholungssuchende werden auf "ausreichend unkritische Bereiche" entlang der Isar verwiesen. Das Landratsamt München macht vorsorglich darauf aufmerksam, dass bei einer Missachtung des Betretungsverbots empfindliche Geldbußen ausgesprochen werden können.

Informationen rund um das Thema Kiesbrüter und Isar erteilt das Landratsamt München (Telefon 089/62 21 26 37, E-Mail naturschutz@lram.bayern.de ).

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