Breitensport:Sport muss kein Tort sein

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An der Grundschule Lochham gibt es dank der Initiative der Leichtathleten des TSV Gräfelfing zusätzlichen Sportunterricht. (Foto: Catherina Hess)

Leichtathleten des TSV Gräfelfing haben eine gemeinnützige GmbH gegründet, um Kinder an Schulen in Bewegung zu bringen. Die Zauberworte sind Abwechslung und Mitgestaltung.

Von Annette Jäger, Gräfelfing

Es ist eine Entwicklung, bei der Andreas Krumpholz nicht zusehen kann: Kinder bewegen sich immer schlechter, können kaum noch einen Purzelbaum, geschweige denn ein Seil hochklettern, sind zum Teil übergewichtig und kommen schnell aus der Puste. Obendrein ist der Sportunterricht an Schulen oft das erste, was aufgrund von Lehrermangel vom Stundenplan gestrichen wird. Da kann unter dem Strich nur chronischer, ungesunder Bewegungsmangel herauskommen.

Krumpholz leitet die Leichtathletikabteilung beim TSV Gräfelfing und ist ein Sportidealist. Für ihn ist Sport Gesundheitsprävention und gehört zum guten Lebensgefühl. Gemeinsam mit seiner Vorstandskollegin Susanne Holzmüller hat er jetzt die gemeinnützige GmbH "Ganztag in Bewegung" gegründet, um das Sportangebot an Schulen zu verbessern und Kinder zu mehr körperlicher Aktivität zu animieren.

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Krumpholz und seine Mitstreiter in der Leichtathletikabteilung haben eine "Breitensportvision", wie er es nennt: Alle sollen Sport machen und Freude an Bewegung bekommen, nicht nur jene, die sowieso schon Interesse am Sport haben und in einem Verein aktiv sind. "Wenn wir alle erreichen wollen, müssen wir an die Schulen gehen", hat Krumpholz entdeckt. Dort trifft das Bewegungsdefizit auf Lehrermangel und - vor allem an den Grundschulen - auf eine eher in Sachen Sport dürftig ausgebildete Lehrerschaft.

Die Leichtathletik-Abteilung hat deshalb schon 2021 die Initiative "Schule in Bewegung" gestartet, um ein qualifiziertes Sportangebot in die Schulen zu tragen. Inzwischen kooperieren die Initiatoren mit sieben Schulen, darunter die Grundschulen Gräfelfing und Lochham sowie das Kurt-Huber-Gymnasium in Gräfelfing wie auch die Grundschule Krailling und zwei Schulen in Freiham. "Wir erreichen jede Woche 300 Kinder", sagt Krumpholz. An diesen Schulen bieten die Leichtathleten Sport als Wahlfach am Nachmittag an und auch als Element der Ganztagsbetreuung. "Wir haben gut ausgebildete Trainer und die Schulen haben einen Bedarf", sagt Susanne Holzmüller. Mit dem Anspruch auf Ganztagsbetreuung ab 2026 werde der Bedarf noch steigen.

"Wir wollen gesellschaftlich etwas verändern"

Mit der gemeinnützigen GmbH "Ganztag in Bewegung" soll die Schulkooperationen nun ausgeweitet werden, über das Würmtal hinaus. "Wir sehen uns da in der sozialunternehmerischen Verantwortung", sagt Krumpholz, "wir sind die Match-Maker": Die gemeinnützige GmbH stellt Sportlehrer fest an und vermittelt sie an Schulen, die einen Bedarf haben. Zielgruppe sind Grundschulen und die fünften und sechsten Klassen an weiterführenden Schulen. Es können sich Schulen aus allen Himmelsrichtungen melden, "Ganztag in Bewegung" hat ein maßgeschneidertes Sportprogramm zur Hand, so die Idee. Das Konzept wirkt in zwei Richtungen: Sportlehrer haben eine berufliche Perspektive, Schulen einen verlässlichen Partner. "Wir wollen gesellschaftlich etwas verändern", sagt Holzmüller. Die Kinder sollen "Sport als Lebensaufgabe" erfahren und eine Chance erhalten, in Bewegung zu kommen. "Das ist unser Enthusiasmus", sagt Krumpholz.

Dass Sport zum Alltag gehören kann, dass Bewegung Spaß macht, erfahren nicht alle Kinder. Das Engagement der Gräfelfinger Leichtathleten an den Schulen hat gezeigt, dass es Familien gibt, die weniger sportaffin sind und somit auch ihre Kinder weniger zu Bewegung motivieren. Ebenso sind da Familien mit Migrationshintergrund, die die hiesigen Möglichkeiten in Sportvereinen gar nicht kennen. Clara Mackewicz, verantwortlich für den Kindersport innerhalb der TSV-Leichtathletikabteilung, ist als Übungsleiterin in den Schulen im Einsatz. "Die Kinder sind nicht so fit wie die Kinder im Verein", hat sie festgestellt. Wenn Ausdauerspiele gemacht werden, sind sie schneller erschöpft, öfter fragen sie innerhalb einer 45 Minuten dauernden Sportstunde nach, ob man nicht eine Trinkpause eingelegen kann. Übergewichtige Kinder gibt es in jeder Gruppe.

"Die sind alle total motiviert dabei", sagt Übungsleiterin Clara Mackewicz (vorne). (Foto: Catherina Hess)

Sport hat auch einen sozialen Faktor. "Sport stärkt den Teamgeist, man findet Freunde, gewinnt Selbstbewusstsein und erlebt, was man alles kann", sagt Mackewicz. Es sind die Komponenten am Sport, die auch positiv an Schulen wirken, die als soziale Brennpunkte gelten, wie Holzmüller sagt. Zur Finanzierung des Sportangebots greifen die Initiatoren auf öffentliche Fördermittel zu und Geld aus Fördervereinen der Schulen, auch Elternbeiträge sind eine Säule. In diesem Schuljahr belaufen sich Letztere auf 100 Euro im Jahr für den Sportunterricht im Rahmen der Ganztagsbetreuung. Wer sich das nicht leisten kann, könne eine soziale Förderung erhalten, die viele Gemeinden bereithielten oder die Sponsoren ermöglichten, sagt Holzmüller.

Abwechslung und Mitgestaltung sind die beiden Zauberworte, die auch eher bewegungsmüden Kindern Beine machen. Clara Mackewicz fragt zu Beginn jeder Stunde, worauf die Kinder Lust haben, meist kommen Stationen mit Geräten gut an, die viele vorher noch nie gekannt haben: Balken, Barren, Taue, Ringe, Trampolin. Jede Stunde läuft anders ab, zum Schluss gibt es immer ein Spiel. Es wird viel gelobt, damit auch jeder ein Gefühl für seine Stärken bekommt, so Mackewicz. Dass es sich lohnt, Kindern ein Sporterlebnis zu vermitteln, erfährt die Sportlehrerin jeden Tag. So anstrengend es für den ein oder anderen sei: "Die sind alle total motiviert dabei."

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