Landtagswahl 2023:Jede Stimme zählt

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Wahlgeheimnis: Wie bei der echten Stimmabgabe wird auch bei der Juniorwahl darauf geachtet, dass die Stimmzettel nicht einsehbar sind. (Foto: Stephan Rumpf)

Beim Projekt "Juniorwahl" simulieren Schüler des Werner-Heisenberg-Gymnasiums in Garching, wie es beim Urnengang zugeht. Das Projekt trägt dazu bei, dass Heranwachsende Demokratie lernen und die Bedeutung des Wahlrechts verstehen.

Von Clara Müller, Garching

Urnengang statt Rundlauf: Im Tischtennisraum des Werner-Heisenberg-Gymnasium (WHG) in Garching wurde an diesem Donnerstag und Freitag nicht Sport getrieben, sondern gewählt. Fünf im Halbkreis platzierte Schultische, der ausgehängte Wahlzettel zur Ansicht, zwei Wahlhelfer und eine Urne. Die auf den Tischen aufgestellte Sichtblenden, die üblicherweise das Abschreiben vom Nachbarn während Prüfungen unterbinden sollen, machen aus den Schulbänken Wahlkabinen. Nach und nach kommen die Schülerinnen und Schüler, weisen sich aus, die Helfer haken im Wählerverzeichnis die Namen ab und schon geht's zum Kreuzchen machen.

Das WHG ist eine von 904 Schulen in Bayern, die an der Juniorwahl zur Landtagswahl 2023 teilnehmen. In einer realitätsnah simulierten Wahl dürfen Zehnt- bis Zwölftklässler wählen gehen. Würde man den meisten Wählern an diesem Vormittag ihr junges Alter nicht ansehen, könnte man meinen, es sei schon Sonntag und man stünde in einem Wahllokal. Gravierender Unterschied zur Landtagswahl: Hier dürfen auch diejenigen abstimmen, die keinen deutschen Pass haben.

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Bernard Flassak unterrichtet am WHG Politik und Gesellschaft, Latein und Katholische Religionslehre. Er organisierte mit drei Kolleginnen und Kollegen die Juniorwahl. Bereits im Juni starteten sie mit den Vorbereitungen: Sie meldeten das Gymnasium an, bestellten Wahlunterlagen und Lehrmaterialien, organisierten einen Raum für die Wahl, stellten einen Plan auf, wann welche Klasse zur Wahl geht, legten Wählerverzeichnisse an - triviale Dinge, sagt Flassak, die aber eine Menge Energie fressen. Dabei lobt er die hervorragende Organisation aus Berlin sowie die qualitativ sehr hochwertigen Materialien, die den Schulen bereitgestellt werden. Die Schule nimmt zum zweiten Mal an einer Juniorwahl teil, die Schüler "wählten" bereits bei der Bundestagswahl 2021. Neben den Lehrkräften unterstützen auch Schüler die Juniorwahl als Wahlhelfer. Ihr soziales und politisches Engagement wird mit einer Urkunde honoriert, die ihnen laut Flassak später bei Bewerbungen beispielsweise an Universitäten oder Stipendien helfen kann.

Durchblick beim ankreuzen: Die Schüler erfahren auch den Unterschied zwischen Erst- und Zweitstimme. (Foto: Stephan Rumpf)

Die demokratische Bildung ist für Flassak neben der Digitalisierung das relevanteste Zukunftsprojekt. Man müsse Schüler dafür sensibilisieren, dass jede und jeder wichtig sei und ihnen die Bedeutung der eigenen Stimme bewusst machen. Die Juniorwahl helfe Schülern zu verdeutlichen, dass Demokratie Partizipation sei - ein Wert, der, so Flassak, kaum zu überschätzen sei.

Kristian Grubisin und Justin Dratwa, beide 17, gehen in die 12. Jahrgangsstufe am WHG. Die Abiturienten halten die Juniorwahl für sehr sinnvoll, denn "wo sollen wir sonst erfahren, wie eine Wahl abläuft, wenn nicht in der Schule", sagt Kristian. "Es ist gut organisiert, man fühlt sich wie in einer echten Wahl."

Demokratie in der Praxis: Was ist die Fünf-Prozent-Hürde und wie geht es beim Wählen zu?

Wie intensiv sich die Schüler im Unterricht mit der Wahl beschäftigen konnten, hing von der zur Verfügung stehenden Stundenzahl ab. Manche Kollegen sähen ihre Klassen nur alle 14 Tage, wenn dann noch ein Feiertag dazwischenkommt, sei oft nur eine Stunde Zeit gewesen. Am besten ließ sich die Vorbereitung auf die Landtagswahl laut Flassak in den Unterricht der 11. Klassen integrieren, denn da stehe der Föderalismus auf dem Lehrplan. Für die Zehntklässler ging es in erster Linie um den Wahlvorgang an sich: Wie unterscheidet sich Erst- und Zweitstimme, was ist die Fünf-Prozent-Hürde und wie geht es im Wahllokal zu? Die diesjährigen Abiturienten hingegen tauchten in die Wahlprogramme der Parteien ein. Auch Kristian und Justin hatten nur eine Unterrichtsstunde zur Wahl. "Das war aber völlig ausreichend", sagt Justin. "Es war mehr eine Auffrischung, das meiste hatten wir in den Jahren davor ja behandelt."

"Sehr sinnvoll" Die Garchinger Schüler Justin Dratwa (links) und Kristian Grubisin halten viel vom Projekt "Juniorwahl". (Foto: Stephan Rumpf)

Seit 1999 organisiert der überparteiliche Verein Kumulus aus Berlin bundesweit zu Europawahlen, Bundestagswahlen und Landtagswahlen für Schüler solche Juniorwahlen. Mit bislang mehr als 3,8 Millionen Teilnehmenden ist es Deutschlands größtes Schulprojekt zur politischen Bildung. Das Projekt wirke sich auch außerhalb des Schulgebäudes positiv aus: Laut eigenen Angaben verdreifacht sich in der Zeit die Zahl der jungen Zeitungsleser und Jugendliche diskutieren innerhalb ihrer Familien mehr über Politik. Wo sich die Kinder mehr mit Politik auseinandersetzen, färbt das Interesse offenbar auch auf die Eltern ab: Die Wahlbeteiligung unter diesen erhöht sich laut Kumulus um durchschnittlich vier Prozent, teilweise um bis zu neun Prozent, vor allem bei sozial benachteiligten Familien.

Die Wahl der Schüler zeigt, dass sie andere Vorstellungen haben als die Politiker

Im Hintergrund hört man einen Jugendlichen fluchen, er hasse wählen. Laut Kristian und Justin nehmen die meisten die Wahl aber ernst. Auch Flassak zeigt sich insgesamt sehr zufrieden mit der Ernsthaftigkeit, mit der die Jugendlichen die Wahl angehen. Er ist sich sicher, dass das politische Interesse nicht geschwunden ist, und freut sich über die breite Akzeptanz des Projekts an seiner Schule. Würden die Schüler jedoch in den Pausen statt in Unterrichtsstunden ins Wahllokal müssen, wäre die Beteiligung wohl niedriger. Darin sind sich sowohl die beiden Schüler als auch der Lehrer einig.

Den ersten Schwung Stimmen hat Flassak mithilfe von Schülern und Lehrern schon ausgezählt. Nach Schließung des Wahllokals am Freitag um 13 Uhr ist die zweite Runde dran. Am Wahlsonntag um 18 Uhr werden parallel zur echten Wahl auch die Juniorwahl-Ergebnisse verkündet. Für Justin und Kristian ist klar: Die jüngere Generation hat andere Vorstellungen als die regierenden Politiker. "Es wäre für die Politiker wichtig, sich unsere Ergebnisse anzuschauen", sagt Justin. "Damit sie einen Eindruck bekommen, was auf sie zukommt."

Wahlergebnisse Juniorwahl zur Bayerischen Landtagswahl 2018

Auch zur vergangenen Landtagswahl 2018 wählten bayerische Schülerinnen und Schüler im Rahmen der Juniorwahl. Bayernweit beteiligten sich 85,8 Prozent der wahlberechtigten Schüler. Die meisten der heute rund 20- bis 25-Jährigen werden bei der Landtagswahl erstmals ihre Stimme abgeben dürfen. Vor fünf Jahren wählten sie die Grünen mit 28,2 Prozent zur stärksten Partei. Die CSU landete bei den jungen Wählern auf dem zweiten Platz (22,8 Prozent), gefolgt von der SPD (10,8 Prozent) und der FDP (8,6 Prozent). Freie Wähler und AfD kamen auf je rund 6 Prozent.

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