Frauen und Technik:Begehrte Forscherinnen

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Frauen sind in technisch-naturwissenschaftlichen Berufen immer noch klar in der Minderheit. Schulen, Universitäten und der Landkreis bemühen sich, das mit Initiativen zu ändern

Von Iris Hilberth

"Ich liebe die Physik. Es ist eine Art persönlicher Liebe, wie gegen einen Menschen, dem man sehr viel verdankt."

Lise Meitner schrieb diese Zeilen 1915 an ihre Freundin, die Biologin Elisabeth Schiemann. Sie drücken die ganze Leidenschaft der österreichischen Kernphysikerin aus für die Erforschung der Welt, ihre Begeisterung für die unermüdliche Suche nach Erklärungen. Eben das, was die berühmte Naturwissenschaftlerin stets antrieb und ihr half, in eine für eine Frau damals verschlossene Männerwelt einzudringen und sich Respekt und Anerkennung zu verschaffen. An diesem 17. November ist es 140 Jahre her, dass Lise Meitner, die vor 80 Jahren gemeinsam mit Otto Hahn die Kernspaltung entdeckte, in Wien geboren wurde. Der 7. November wird wegen eines falschen Eintrags meist irrtümlich als Geburtsdatum angegeben, richtig ist aber der 17. November 1878.

Seither hat sich für Frauen in der Bildung viel getan, sie haben aufgeholt, auch in den Naturwissenschaften. Es gibt mittlerweile zahlreiche Initiativen, Projekte und Förderungen in diesen Fächern an Schulen und Universitäten. Der Landkreis München hat seit einem Jahr sogar eine eigene Managerin für die Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, kurz Mint, die ein besonderes Augenmerk auf die Frauen legt. An diesem Wochenende präsentiert sich der Landkreis gar als "Mint-Region" auf der Mitmachmesse Forscha im Münchner MOC. Und doch bleiben die Frauen noch immer hinter den Männern zurück.

In Memoriam an Lise Meitner

Das Lise-Meitner-Gymnasium in Unterhaching hat seiner Namensgeberin anlässlich des Geburtstags einen ganzen Schultag gewidmet. Es war eine Gelegenheit für die Schülerinnen und Schüler, an eine große Wissenschaftlerin und eine der ersten Professorinnen in Deutschland zu erinnern und sich Gedanken über eine Frau zu machen, die zur damaligen Zeit nur über den Umweg der externen Matura studieren konnte, die nach ihrer Promotion bei Max Planck um Erlaubnis bitten musste, um als Frau bei ihm die Vorlesung zu besuchen. Die "deutsche Madame Curie", wie Albert Einstein sie nannte, durfte am Institut für Chemie nur die Kellerräume betreten und arbeitete als unbezahlte Kraft.

Wie Charlotte Kerner, die 1986 die erste Biografie veröffentlichte, schreibt, hat Meitner sich lange unter den Kollegen gleichberechtigt gefühlt und erst später bemerkt, "wie irrtümlich diese meine Auffassung war, und wie viel Dank jede in einem geistigen Gebiet tätige Frau den Frauen schuldig ist, die um die Gleichberechtigung kämpfen". In den Fünfzigern soll sie vor Akademikerinnen gesagt haben: "Vorurteile bestehen trotzdem weiter, ganz besonders gegen Frauen in Führungspositionen. Niemand scheint gegen Frauen als Fabrikarbeiterinnen zu protestieren."

Mädchen gegen den Fachkräftemangel

War der Besuch von Hochschulen in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts noch hauptsächlich den Männern vorbehalten, sind mittlerweile in Deutschland etwa die Hälfte der Studierenden Frauen. Die Fächerwahl allerdings ist seit Jahrzehnten geschlechtertypisch. Frauen wählen Sprach-, Kultur- und Sozialwissenschaften und Lehramt, Männer entscheiden sich nach wie vor häufiger für Ingenieur- und Naturwissenschaften.

Das ändert sich nur langsam, wie die Stiftung für Hochschulzulassung feststellt, die regelmäßig gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit hierzu Zahlen veröffentlicht. In den Naturwissenschaften und Mathematik insgesamt ist der weibliche Anteil noch relativ hoch, er stieg von 1986 mit 31,4 Prozent bis zum Jahr 2017 immerhin auf 47,9 Prozent. In der Physik sieht das anders aus: Hier waren vor 30 Jahren nur knapp zehn Prozent der Studienanfänger weiblich, 2017 waren es 28,7 Prozent. Der Nationale Pakt für Frauen in Mint-Berufen ("Komm mach Mint"), der sich seit 2008 zum Ziel gesetzt hat, die Attraktivität für Frauen in diesen Studiengängen zu fördern, spricht von einer positiven Entwicklung. Die Zahl der weiblichen Studienanfänger in Deutschland habe sich in den vergangenen zehn Jahren über alle Mint-Fächer hinweg fast verdoppelt, von knapp 60 000 auf nun 115 000.

Auch die TU Garching fördert Frauen, etwa mit Mentoringprogrammen und Girls' Days. Betrachtet man die wenig geliebte Physik, so meldet die TU auch hier einen Anstieg: 1980 lag der Frauenanteil bei sechs Prozent, im Wintersemester 2017/18 bei 23 Prozent. Auch die Anzahl der Promotionen habe sich in den vergangenen Jahren von zehn auf 20 Prozent verdoppelt. Eine Steigerung gibt es auch bei den Professorinnen. Im Jahr 2000 gab es noch keine einzige, fünf Jahre später waren es zwei, inzwischen sind es neun - allerdings bei insgesamt 45 Professuren.

Erwin Knapek, Ex-Bürgermeister von Unterhaching und Physiker, erinnert sich: "Als ich in Garching 1968 mein Diplom gemacht habe, hatte ich zwei oder drei Kommilitoninnen." Er glaubt sich zu erinnern, dass man damals beim Neubau des Physik-Instituts keine Frauen-Toiletten eingebaut hatte. "Keine stimmt nicht", korrigiert ein TU-Sprecher, "aber zu wenige".

Lust auf Mint

Christine Waltner, Fachbereichsleiterin Physik am Lise-Meitner-Gymnasium, weiß von nur einer Professorin an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) Anfang der 2000er Jahre während ihrer Promotion. An ihrer Schule hingegen herrscht Parität. In dem hohen Frauenanteil sieht sie auch mit einen Grund, warum die Naturwissenschaften am Unterhachinger Gymnasium bei Mädchen ganz gut ankommen. "Wir haben viel investiert", sagt sie mit Blick auf zahlreiche Projekte wie die Lise-Lehrlinge, die Chip-Tage und spezielle Physik-Angebote für Mädchen. "Denen ist das oft zu technisch, aber in Biophysik oder Astrophysik haben wir viele Schülerinnen." Mädchen hätten oft eine andere Herangehensweise an die Naturwissenschaften, "sie wollen Phänomenen auf den Grund gehen". Heutzutage kämen Jungen wie Mädchen mit viel Vorwissen in den Unterricht. "Dazu tragen sicher auch Fernsehsendungen wie Galileo und Willi will's wissen bei", meint Waltner.

Die Kernphysikerin Lise Meitner aus Wien. (Foto: Claus Schunk)

Phänomene hinterfragen und experimentieren können Besucher auch an den Stationen des Landkreises auf der Messe Forscha. Hier präsentieren sich einige Projekte, die Mint-Managerin Renate Heese koordiniert, etwa das Schullabor Photon Lab, das "Frühe Forschen" oder der humanoide Roboter Nao des Grünwalder Gymnasiums. Heese ist angetreten, zunächst einmal die vielen Angebote in den beiden Landkreisen München und Dachau zu vernetzen und mit Blick auf den Fachkräftemangel den Kindern "Lust auf Mint" zu machen. Dass zunehmend kombinierte Studiengänge und Ausbildungen in den Vordergrund rücken, hat der Landkreis längst erkannt. "Es gibt mehr als 200 Mint-Berufe", sagt Heese, doch die meisten seien Schülerinnen nicht bekannt. Ihren Fokus will Heese zukünftig auf Wiedereinsteigerinnen nach der Familienpause legen. Sie setzt auf Frauen um die 30, "die vielleicht sagen: Physik und Mathe habe ich schon immer toll gefunden".

Die meisten Frauen, die sich im Studium für die Naturwissenschaften entscheiden, landen im Lehramt. Lisa Chaudhari ist eher eine Ausnahme. Die 30-Jährige ist im Qualitätsmanagement tätig, hat bei BMW gearbeitet und bald ist sie bei Infineon in Neubiberg beschäftigt. Zu ihrem Job gehört, auch Männern mal zu sagen: "So geht das nicht, wie ihr das gemacht habt." Das sei anfangs nicht leicht gewesen, doch seit sie in den Absender ihrer E-Mails "Master in Physik" geschrieben habe, werde sie als junge Frau respektiert. Dennoch werde sie auch heute noch "mit großen Augen" angeschaut, wenn sie erzähle, dass sie Physik studiert hat. "Aber so schwierig ist das gar nicht", sagt Chaudhari. "Mir liegt das einfach. Ich wollte schon immer verstehen, wie die Welt funktioniert."

© SZ vom 17.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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