Flüchtlingsunterkünfte:"Uns plagt schon das schlechte Gewissen"

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Die Gemeinde Unterföhring gehört zu den Kommunen im Landkreis München, die ihr Soll bei der Unterbringung von Geflüchteten sogar übererfüllt haben. 2015 wurde dort eine Traglufthalle für bis zu 300 Personen aufgebaut. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Bürgermeister von Baierbrunn, Brunnthal und Neuried räumen ein, dass sie ihren Anteil an der Unterbringung von Schutzsuchenden in der Vergangenheit nicht geleistet haben. Alle geloben Besserung, aber zwei verweisen auch auf besondere Schwierigkeiten.

Von Sabine Wejsada, Landkreis München

Es gibt Dinge, die wirken noch Jahre nach: Als 2015 und 2016 die Flüchtlingszahlen stiegen, zeigten sich massive Unterschiede, was die Aufnahme der vor Krieg und Terror geflohenen Menschen anging. Während mancherorts Traglufthallen aufgestellt oder Sportzentren zu Notunterkünften umfunktioniert wurden, gab es im Landkreis München Kommunen, die sich vornehm zurückhielten, keine Containersiedlungen wollten und lieber auf eine dezentrale Verteilung setzten.

Baierbrunn ist so ein Ort - und der heutige parteilose Bürgermeister Patrick Ott ist sich dessen sehr bewusst, dass seine Gemeinde im Landkreis diesen Ruf weg hat. "Uns wird immer noch nachgesagt, dass wir nicht so recht wollten", sagt Ott, der erst seit der Kommunalwahl 2020 das Rathaus in der Kommune im Isartal führt. Was die erste Flüchtlingswelle angeht, sei das auch richtig, räumt Ott ein und verweist auf ein etwas "unglückliches und kompliziertes" Management seiner Vor-Vorgängerin.

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Nur zwischen zehn und zwölf Geflüchtete aus den Krisenregionen dieser Welt haben in Baierbrunn seitdem eine Heimat gefunden, alle gut integriert, wie der Bürgermeister versichert - was bei der geringen Anzahl nicht wirklich verwundert. "Dieses Verhalten von damals hängt uns bis heute nach." Der Ruf scheint ruiniert.

Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine hat sich die Lage in der Isartalgemeinde laut dem Bürgermeister allerdings entschieden geändert: Baierbrunn habe den Königsteiner Schlüssel, ein Instrument, das die Verteilung der Geflüchteten regelt, übererfüllt. Mitte 2022 seien mehr als 70 Menschen aus der Ukraine im Ort untergekommen; die meisten davon in drei Gebäuden des Wort & Bild Verlags, einige auch in freien Gemeindewohnungen. Da habe man sein Soll erfüllt, sagt Ott und freut sich nach eigenen Angaben darüber, dass dies mittlerweile sogar von Baierbrunn-Kritikern anerkannt werde.

Baierbrunns Bürgermeister Patrick Ott will den schlechten Ruf loswerden. (Foto: Sebastian Gabriel)

Damit das in Zukunft so bleibt, will die Gemeinde fortan ihren Beitrag erhöhen. Angesichts der steigenden Zahl von Schutzsuchenden, die den Landkreis Woche für Woche erreichen, ist das dringend nötig. Der Gemeinderat habe bereits vor anderthalb Jahren einen Beschluss gefasst, wonach Baierbrunn auch für eine Containerlösung zur Unterbringung von Geflüchteten offen sei - geknüpft an die Maßgabe, dass der Anteil von fünf Prozent bezogen auf die Einwohnerzahl von knapp 3500 nicht überschritten werden dürfe, erläutert Ott. Macht also maximal 175 Personen.

Pläne, wo bis 60 Menschen unterkommen könnten, gibt es bereits, wie der Bürgermeister sagt. So habe man dem Landratsamt eine gemeindeeigene Fläche am Sport- und Bürgerzentrum vorgeschlagen, die in Gemeindebesitz sei. Dass diese geeignet sei, hätten Gespräche mit Vertretern der Kreisbehörde gezeigt. Nun müsse der Landkreis die Infrastruktur schaffen, Container oder Module anschaffen sowie die Kosten und Organisation der Unterkunft für 50 plus Geflüchtete übernehmen, sagt Ott.

Während Baierbrunn zumindest über eigenen Grund verfügt, auf dem ein Flüchtlingsheim entstehen könnte, schaut es in Neuried ziemlich düster aus. Auch die Würmtalgemeinde wird gerne von Kritikern angeführt, wenn es um etwaige Ungerechtigkeiten bei der Unterbringung geht. "Wir waren immer bemüht, unseren Beitrag zu leisten, auch 2015/16", betont Bürgermeister Harald Zipfel (SPD). Damals habe man mehr als 50 Menschen aufgenommen und sie dezentral in Häuser und Wohnungen gebracht. Der Plan allerdings, auf einem Grundstück in Privatbesitz Holzbauten zu errichten, scheiterte ein ums andere Mal, wie Zipfel einräumt. Zum Teil auch, weil das Landratsamt andernorts schneller fündig geworden sei und dort größere Unterkünfte möglich gewesen seien. Nach dem Hin und Herr, dem dritten oder vierten Mal sei schließlich der Eigentümer der Fläche abgesprungen, sagt der Neurieder Bürgermeister.

Der Neurieder Bürgermeister Harald Zipfel sieht im Mangel an gemeindeeigenen Grundstücken das größte Problem bei der Unterbringung von Geflüchteten. (Foto: Catherina Hess)

Was die Aufnahme von Ukrainern angeht, hat sich die Würmtalgemeinde laut Zipfel wenig vorzuwerfen. Zu Beginn des Krieges hätten mehr als 100 Menschen Zuflucht bei Privatleuten gefunden, die Gemeinde habe darüber hinaus 83 Personen in Vonovia-Wohnungen untergebracht. Jetzt, da weitere Migranten in den Landkreis München kämen, "sind wir bereit", sagt Zipfel und berichtet davon, dass das Rathaus mit einem anderen Eigentümer einig geworden sei, um auf dessen Grundstück bis zu 80 Menschen in Containern oder Modulen aufzunehmen. Den Landkreis habe man über diese Option informiert, sagt der Neurieder Bürgermeister.

Hält die Kritik der der Kolleginnen und Kollegen an Brunnthal für gerechtfertigt: Rathauschef Stefan Kern. (Foto: Claus Schunk)

Als berechtigt bezeichnet der Brunnthaler Bürgermeister Stefan Kern (CSU) die Kritik mancher seiner Kolleginnen und Kollegen an der bisherigen Flüchtlingspolitik seines Rathauses. "Unsere Erfüllungsquote liegt bei nur zwölf Prozent", räumt Kern ein. Am Ort gebe es nur eine Liegenschaft für 15 Asylbewerber, zudem habe Brunnthal 37 Ukrainer in Gemeindewohnungen aufgenommen, "von denen einige bereits wieder in ihre Heimat zurückgegangen sind." Kern wirkt am Telefon durchaus schuldbewusst, weil die Brunnthaler sich bei der Aufnahme von Geflüchteten nicht besonders hervorgetan haben, sagt aber, dass die Gemeinde das gutzumachen versuche: So habe man Anfang 2023 zwei Grundstücke an den Landkreis gemeldet, auf denen Unterkünfte entstehen könnten, kleinere zwar, eine aber immerhin für 100 Personen.

Über weitere Optionen mit Privateigentümern sei er gerade in Verhandlungen, sagt Kern. "Uns plagt schon das schlechte Gewissen", versichert der Bürgermeister, begründet die Schwierigkeiten der örtlichen Unterbringung allerdings auch mit finanziellen Grenzen vonseiten der Regierung von Oberbayern: Größere Heime kosteten den Staat alles in allem weniger als mehrere kleinere Einheiten in einem Ort, so Kern. Dennoch gelobe man fortan Besserung, sagt der Brunnthaler Bürgermeister. Die Amtskolleginnen und -kollegen aus den anderen Rathäusern im Landkreis dürften dies gern hören.

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