Einzelhandel vor dem Lockdown:Letzte Chance

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Vor dem DHL-Shop in der Haarer Leibstraße bilden sich lange Schlangen. Daran wird sich auch in den nächsten Tagen nichts ändern, denn er bleibt im Gegensatz zu den meisten Geschäften offen. (Foto: Angelika Bardehle)

Am Tag vor der Schließung herrscht in vielen Läden Gedränge. Aber sowohl Kunden als auch viele Geschäftsleute äußern Verständnis für die Verschärfung der Maßnahmen.

Von Bernhard Lohr und Martin Mühlfenzl, Unterschleißheim/Ottobrunn

Mit geübten Handgriffen zurrt Julia Friske den gerade erworbenen Weihnachtsbaum auf ihrem Kombi auf dem Parkplatz vor dem Gartencenter Pflanzen Kölle in Unterhaching fest. "Hoffentlich hält der, bis ich zuhause bin", sagt sie und lächelt. Die Münchnerin hat an diesem Dienstagnachmittag einen Grund, trotz des bevorstehenden Lockdowns glücklich zu sein: Sie hat Geburtstag. Und in weiser Voraussicht hat ihr Mann ihr Konzertkarten geschenkt - terminiert auf den Oktober im kommenden Jahr. "Hoffentlich wird der Konzertbesuch dann wieder möglich sein, vielleicht ja mit Maske", sagt Friske.

Dass sie an diesem letzten Tag vor den Verschärfungen der Corona-Maßnahmen ins Gartencenter gefahren ist, ist einem kleinen Missverständnis geschuldet: Die Münchnerin hatte gedacht, auch der Verkauf von Christbäumen werde von diesem Mittwoch an eingestellt. "Das denken ganz viele", sagt ein Mitarbeiter von Kölle lapidar im Vorbeigehen. Tatsächlich aber darf das Gartencenter diesen einen Teilbereich bis Heiligabend weiterbetreiben - der Rest macht dicht.

So auch einige Kilometer weiter der Baumarkt der Familie Rettenberger in Ottobrunn. Dichtes Gedränge herrscht am letzten Verkaufstag in dem Laden, die Verkäufer hinter den Plexiglasscheiben fertigen im Minutentakt Kunden ab, die sich noch einmal mit Heimwerkerbedarf eindecken. "Das ist wie in der Vor-Corona-Zeit", sagt Firmenchef Bernd Rettenberger in einer ruhigen Minute hinter dem Laden. "Die letzten Tage war schon unglaublich viel los." Dass er sein Geschäft erneut zusperren muss, sei notwendig, sagt Rettenberger. "Wir hier im Laden vertreten die Meinung, dass es diese Einschnitte jetzt braucht. Die Menschen müssen jetzt zuhause bleiben."

Und das Weihnachtsgeschäft? Klar werde das fehlen, sagt der Unternehmer, aber sein Baumarkt sei gut durch das Jahr gekommen. "Wir haben sehr treue Kunden, das hat uns geholfen." Auf Nothilfen durch den Staat sei der Baumarkt nicht angewiesen, so der Chef. "Künstler oder die Gastronomie trifft es viel härter." In den kommenden Wochen werde seine Firma eine Art "Notbetrieb" aufrecht erhalten, zwar kein regulärer Bestell- und Abholdienst, aber wenn ein Kunde Probleme habe, dringend ein Wasserhahn gebraucht werde, dann werde auch Hilfe geleistet, versichert der Ottobrunner.

Auch in der Unterschleißheimer Bezirksstraße waren viele Menschen unterwegs. (Foto: Florian Peljak)

Über die Rosenheimer Landstraße in Ottobrunn geht es nur im Stop-and-go-Rhythmus. Die Busse auf der wichtigen Verkehrsader sind gut gefüllt, der Parkplatz vor dem Ikea-Markt im Gewerbegebiet Brunnthal-Nord ebenso. "Im Möbelhaus ist es schon sehr, sehr voll", sagt Andrea Bauer, die gerade ihren Kofferraum einlädt. Einen voll beladenen Einkaufswagen hat sie aus dem Laden herausgeschoben. Geschenke aber etwa für die drei Kinder befinden sich nicht darin. "Ich habe das Allernötigste für die Küche besorgt. Wir sind gerade umgezogen von Schwabing nach Hofolding und die Küche ist noch recht leer", sagt Bauer. Dass dieser Dienstag die letzte Chance darstellt, um noch einmal einkaufen zu können, findet sie richtig. Eigentlich kämen die Maßnahmen viel zu spät, findet die Mutter.

Die wertvollen Stammkunden

In der Bezirksstraße in Unterschleißheim ist von hektischer Torschlusspanik vor dem Lockdown dagegen wenig zu spüren. Der Gehweg ist belebt, vor dem DHL-Shop hat sich eine kurze Schlange mit Menschen gebildet, die Päckchen unterm Arm haben und vor der Korbiniansapotheke steht eine Bude, die man sonst von Adventsmärkten kennt, aus der an Senioren und Personen, die der Risikogruppe angehören, FFP2-Masken ausgegeben werden. Bei Mode Glatzeder verlässt eine Stammkundin gerade den Laden. Eva Glatzeder trägt ein Lächeln im Gesicht. "Galgenhumor", sagt sie, "wir sind schon leiderprobt." Doch es sind tatsächlich die treuen Stammkunden, die sie und ihren Mann Heinz davor bewahren, wegen der angeordneten Schließung in Depressionen zu verfallen. Viele Kunden sagten jetzt, sie wollten nicht in die Münchner Innenstadt fahren und kauften lieber hier ein. "Wenn wir das überstehen", sagt Eva Glatzeder, "dann können wir bestimmt unseren Laden noch ein paar Jahre halten." Das würde das Paar gerne. Seit 32 Jahren existiert das Geschäft für Damenmode.

In einem Laden schräg gegenüber bedient Alexandra Zehentmeier einen Kunden nach dem anderen. Die Geschäftsführerin von "Chocolate & Tea" klagt nicht, im Gegenteil. Das Geschäft laufe sehr gut, sagt sie. Viele Firmen und das Rathaus gäben Bestellungen auf. Weil Weihnachtsfeiern ausfielen, würden die Mitarbeiter reicher beschenkt. Zehentmeier hat sogar noch Personal angestellt. Und sie muss auch - was viele nicht wüssten - nicht schließen. Denn ihr Laden gilt, trotz der Geschenkartikel, die es gibt, als Lebensmittelgeschäft. Ein Schild an der Tür weist jetzt darauf hin: bis 31. Dezember geöffnet.

Eva und Heinz Glatzeder vom gleichnamigen Modegeschäft haben wie viele Geschäftsleute Verständnis für den Lockdown. (Foto: Florian Peljak)

Anders läuft es bei Mathias Willer an der Leibstraße in Haar. Er wird seinen Schreibwarenladen am Dienstagabend dicht machen. Auch an das große Spielwarensortiment kommt dann keiner mehr heran. Es sei nicht immer nachvollziehbar, was als systemrelevant gelte und was nicht, sagt Willerer vor seinem Geschäft. Die Einschränkungen seien jetzt aber schon richtig, um die Pandemie einzudämmen: "Die Zahlen sind so hoch." Er selbst sorge sich auch, wenn zu viele Leute in den Laden kämen. Die Zeit der Schließung will der Ladeninhaber nutzen, das Geschäft umzuräumen und entspannt Inventur zu machen. "Was man sonst an einem Tag macht, das kann man jetzt in Ruhe machen."

Was auf die Menschen in den kommenden Tagen noch zukommen könnte, wird in der Schlange vor dem DHL-Shop in der Leibstraße deutlich. Masken tragen zwar alle vor dem Geschäft, die 1,50 Meter Abstand hält aber kaum jemand ein. Kontaktvermeidung dürfte bis Heiligabend vor den Paketannahmen schwierig werden.

Einen Ansturm hat in den vergangenen Tagen etwa der Buchladen Kempter in Ottobrunn erlebt, auf den letzten Drücker vor Ladenschluss haben Kunden sich hier auf die Suche nach dem passenden Geschenk gemacht. Am Montag aber unter erschwerten Bedingungen, da das EC-Karten-Lesegerät streikte. Dies, so berichtet eine Kundin, habe zu einem regelrechten Exodus aus dem Laden und der sofortigen Rückkehr nach einem Besuch am Bankautomaten geführt. Wie früher: Wer auf Papier lesen will, bezahlt auch analog.

Julia Friske hat in Unterhaching noch schnell einen Weihnachtsbaum gekauft, weil sie dachte, dass sie sonst keinen mehr bekommt. (Foto: Angelika Bardehle)

Im Gartencenter Kölle herrscht am Dienstag dagegen beinahe weihnachtliche Stille. Monika Littmann verlässt gerade mit dem Einkaufswagen den Laden, Blumen, Gestecke und Kerzen hat sie eingekauft. "Alles Geschenke. Nicht nur für Weihnachten, meine beste Freundin hatte gerade Geburtstag."

© SZ vom 16.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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