Coronavirus:War da was?

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Nicht wegwerfen: Der Landkreis Ebersberg rät seinen Bürgern, freiwillig weiterhin FFP2-Masken zu tragen. (Foto: Christian Endt)

Die Pandemie ist aus dem öffentlichen Leben weitgehend verschwunden. Doch die Sorge vor dem Herbst ist groß. Und die Vorbereitungen laufen.

Von Bernhard Lohr, Landkreis München

Corona ist gerade sehr weit weg. War es wirklich so, dass Schlangen vor den Supermärkten standen, weil nur eine begrenzte Zahl an Kunden rein durfte? Wurden tatsächlich mal die Handläufe der Einkaufswagen desinfiziert? Beim Besuch in einem Discounter im Gewerbegebiet Brunnthal-Nord zeigt sich nach zwei Jahren Pandemie das Leben fast wie früher. Nach fünf Minuten kommt erstmals eine ältere Frau, die eine FFP2-Maske trägt. Sie bleibt an diesem Vormittag unter der Woche die einzige in diesem Laden, in dem medizinische Masken zum Ladenhüter geworden sind. "Für kurze Zeit" gebe es den Zehnerpack für 2,49 Euro, ist zu lesen. Man fragt sich, wie kurz die Zeit sein wird, bis Masken vielleicht wieder verpflichtend getragen werden.

Beim Einkaufen im Supermarkt tragen nur noch wenige Kunden eine Maske (Foto: Martin Wagner/imago)

Die Zahl der Infizierten und Erkrankten jedenfalls steigt seit kurzem wieder. Die Inzidenz im Landkreis München, die kaum noch jemand beachtet, steigt rasant. Am Dienstag lag der Wert bei 489,6, am Freitag bereits bei 634,0. Eine Frau mit Mitte 70 stirbt diese Woche im Zusammenhang mit einer Covid-Erkrankung. Mittlerweile werden 375 Tote im Landkreis gezählt. Das alles passiert in einer Woche, in der Corona-Bürgertests für die meisten kostenpflichtig werden und über ihre völlige Abschaffung diskutiert wird. Sind wir alle gerade viel zu sorglos?

Die gegenwärtige Entwicklung der Infektionszahlen und die Erfahrungen wiesen darauf hin, dass mit einer Zunahme an Infektionen zu rechnen sei, sagt Gerhard Schmid, der Chef des Gesundheitsamts München-Land. "Eine erneute Verschärfung von Maßnahmen wäre aus infektiologischer Sicht durchaus denkbar." Doch aktuell erleben viele die Sommerwochen als eine Art Zwischenzeit. Es wird nicht nur eingekauft wie früher, ganz ungezwungen, ohne Angst sich anzustecken. Wie selbstverständlich finden wieder Konzerte statt, man sitzt mit Freunden beim Italiener oder feiert abends dicht gedrängt mit vielen Fremden in einer Bar.

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Für viele ist jetzt der Moment, Dinge nachzuholen. Der Philosoph Ernst Bloch prägte den Begriff von der "Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen", um zu beschreiben, dass Menschen zwar im Hier und Jetzt nebeneinander existieren, aber nicht immer dieselbe Wirklichkeit erleben. Für viele ist die Pandemie vorbei, für andere ist sie sehr real. Dass unterschiedliche Realitäten nebeneinander existieren, ist etwa auch in der Jochen-Schweizer-Arena in Taukirchen zu erleben, wo nach wie vor die Drive-through-Teststation aufgebaut ist, an der man sich im Auto sitzend den Abstrich abnehmen lassen konnte. Parallel ist in der Event-Location das pralle Leben zurück.

Event-Manager Jochen Schweizer will seine Drive-through-Teststation in Taufkirchen vorerst weiterbetreiben. Viele Firmen verlangten vor Veranstaltungen Testnachweise. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Zwei Männer mit Surfbrett stehen auf dem Parkplatz und unterhalten sich kurz mit dem Event-Unternehmer Jochen Schweizer, bevor sie zur Surfwelle gehen. "Die Leute sind erlebnishungrig", sagt Schweizer. Ob seine Teststation nicht langsam überflüssig wird? Von wegen, sagt Schweizer. Er blickt wie viele Firmenchefs mit Schrecken zurück auf Monate im Lockdown und mit Sorge nach vorne. So etwas wolle er nicht noch einmal erleben. Er habe das nur Dank seiner Finanzkraft überstehen können. Auch der Verkauf von Gutscheinen habe geholfen. Zu seiner Teststation sagt Schweizer: "Wir wollten einen Beitrag leisten zur Eindämmung des Problems." Nach wie vor werde viel getestet, um Besuchern der Arena ein Gefühl von Sicherheit geben zu können. Auch bei vielen Firmenevents, die jetzt geballt wieder gebucht würden, werde das eingefordert. Das sei auch sinnvoll, sagt Arena-Geschäftsführer Daniel Fröhler: "Die Zahlen gehen wieder hoch."

Es wird wieder mehr gehustet, mehr Personen bekommen Fieber, liegen flach und melden sich krank. Vergangenen Dienstag dokumentierte das Robert-Koch-Institut für den Landkreis München 1712 bestätigte Infektionen innerhalb einer Woche, am Freitag waren es bereits 2217. Gerhard Schmid, der Leiter des Gesundheitsamts, führt das auf die mittlerweile vorherrschenden, sehr infektiösen Omikron-Varianten BA.04 und BA.05 zurück. Er geht von "einer recht hohen Dunkelziffer aus", weil die Krankheitsverläufe in der Regel vergleichsweise mild seien und sich die Menschen seltener testen ließen.

Gerhard Schmid, der Leiter des Gesundheitsamts München-Land, vermutet eine hohe Dunkelziffer an Infizierten. (Foto: Claus Schunk)

Für Unternehmen, Schulen und Kindertagesstätten ist all das ein Balanceakt. Das Gefahren-Bewusstsein ist bei vielen weg. Verlässliche Daten über Infizierte gibt es nicht mehr. Jetzt gilt es, ohne durchsetzbare Maßnahmen durch den Sommer zu kommen. Am Allianz-Standort in Unterföhring arbeiten normalerweise Tausende Beschäftigte, derzeit sind es deutlich weniger. Von der alten Normalität ist man entfernt. Firmen-Sprecher Mario Ghiai sagt, man biete weiter die Möglichkeit, "überwiegend im Homeoffice oder mobil zu arbeiten". Es gälten sogenannte Basisschutzmaßnahmen. So werde empfohlen, die Gebäude nur mit 3G zu betreten und Maske zu tragen. Für Großveranstaltungen ab 100 Personen müssten Genehmigungen eingeholt werden. Wer sich testen will, der kann das am Firmensitz kostenlos tun. Dort werden auch Masken verteilt.

Armin Eifertinger, der Direktor des Werner-Heisenberg-Gymnasiums in Garching, berichtet von nachgeholten Abiturprüfungen für Schüler, die wegen einer Corona-Infektion regulär nicht antreten konnten, und aufwendigen Planungen für Schulfahrten der 10. Klassen, weil ja immer ein Lehrer oder Schüler im Ausland mit positivem Corona-Befund rechnen müsse. Dann müsse im Notfall ein Vertretungslehrer organisiert werden. "Das sind alles Themen, die man sonst nicht hat."

Gerade einmal acht Impfungen werden an einem ganzen Tag in Oberhaching verabreicht - Auffrischungen inklusive

Auch Nikola Kurpas, Rektorin der Mittelschule Taufkirchen, erlebt wieder mehr Krankheitsfälle unter Schülern und ein Kollegium, in dem sich viele fragen, ob nicht mehr zum Schutz getan werden müsste. "Es ist zu einer persönlichen Sache geworden", sagt Kurpas. Aber viele Lehrer wünschten mehr Informationen, etwa zu einer vierten Impfung. Kerstin Onwuama hat als Fachbereichsleiterin im Haarer Rathaus die Kindertagesstätten unter sich und stellt wegen vermehrter Krankheitsfälle eine "angespannte Personalsituation" fest. Die Lage sei im Normalfall schon schwierig, weil das "ganze System" auf Kante genäht sei. Eine Erkältungswelle habe im Frühjahr viele Kinder und Mitarbeiter getroffen. Der Immunschutz sei wegen Masken offenbar nicht so ausgeprägt. Jetzt rücke Corona wieder mehr in den Fokus.

Dabei geht der Blick überall längst schon Richtung Herbst. Die Schulen sondieren, wie viele Schnelltests und Pooltests auf Lager sind. Das Kultusministerium hat dazu aufgefordert. Es wird wieder ernst werden. Aber wie ernst, das hängt laut Amtsarzt Schmid wesentlich davon ab, ob sich neue Virusvarianten durchsetzen. Die gegenwärtige Entwicklung der Infektionszahlen und die Erfahrungen wiesen darauf hin, dass mit einer Zunahme an Infektionen zu rechnen sei. Entscheidend werde wohl sein, ob Krankenhäusern wieder eine Überlastung drohe. Das Landratsamt selbst sieht sich gut vorbereitet. Man habe Personal halten können und Stellen verlängert, sodass die Behörde auf gut eingearbeitete Kräfte setzen könne.

Im Impfzentrum in Oberhaching ist aktuell wenig los. (Foto: Claus Schunk)

Einer der wenigen Orte im Landkreis, an dem noch eine Maskenpflicht gilt, ist das Impfzentrum der Johanniter am Keltenring in Oberhaching. Dabei herrscht dort alles andere als Gedränge. Es ist Mittagszeit, unter der Woche. Eine Mitarbeiterin der Johanniter empfängt freundlich einen Mann an der Tür, der sich einsam in den Warteraum setzt. Eine ältere Frau kommt vorbei, mit Maske im Freien, und bringt den Mitarbeitern eine Schale Erdbeeren vom Erdbeerfeld gegenüber. Es wird kurz geratscht. Es geht um Leute, die Impfungen ablehnen. Jack-Len Weggebaker leitet das Impfzentrum und sagt, man werde den Betrieb solange aufrecht erhalten, wie das politisch gewollt sei. "Wir bereiten uns auf den Herbst vor." So wie die beiden anderen Impfzentren in Haar und Unterschleißheim.

Die derzeit erfolgenden Impfungen tragen allerdings wenig dazu bei, beruhigt in den Herbst zu gehen. Exakt acht Erstimpfungen weist die Statistik des Landratsamts für den Donnerstag im Landkreis aus. 165 Impfungen sind es diese Woche insgesamt gewesen, also Auffrischungen mit eingerechnet. Eine allgemeine Impfpflicht gibt es nicht. Die einrichtungsbezogene Impfpflicht etwa für Personal in der Pflege entwickelt sich zu einer Hängepartie. Dem Landratsamt zufolge wurden mehr als 800 Personen angeschrieben, die keinen Nachweis über den geforderten vollständigen Impfschutz und auch kein ärztliches Attest nachweisen konnten. Als nächstes stehe eine förmliche Aufforderung an, die Nachweise zu liefern. Bußgelder, teilt die Behörde mit, habe man bisher nicht verhängt. Aber das kann noch kommen. So wie der Herbst. Und die nächste Welle.

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