Ausstellungen:Politik und Poesie

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Die Galerien starten mit "Various Others" und "Open Art" in den Kunstherbst. Es gibt viel nachzuholen, es herrscht Aufbruchstimmung - zu Recht?

Von Evelyn Vogel, München

Nachdem das Kunstwochenende "Various Others" mit zahlreichen Galerie- und Museumsausstellungen vor 14 Tagen den Auftakt gemacht hatte, ist nun mit der "Open Art" am vergangenen Wochenende die Kunst in München vollends in die Herbstsaison gestartet. Dabei ist es fast schon ein kleines Wunder, dass im zweiten Corona-Jahr das Angebot so breit wie eh und je ist. Denn im ersten Lockdown waren die Aussichten extrem düster, und viele hatten um ihr Überleben zu kämpfen. Doch die schlimmsten Befürchtungen haben sich nicht bewahrheitet. Ein Galeriensterben hat - jedenfalls in München - nicht stattgefunden.

Das soll nicht beschönigen, dass viele Künstler gelitten haben und oft nicht wussten, wie sie ihre Miete für Wohnung und Atelier aufbringen sollen oder ob sie gar ihr Atelier verlieren würden. Und die privatwirtschaftlich organisierten Galerien gingen durch ein tiefes Tal der Verluste, wie auch der Kunstmarkt insgesamt, weil Messen verschoben oder ganz abgesagt wurden. Abgesehen von den Auktionshäusern, die auf dem neu aufgestellten Geschäftsfeld der Online-Auktionen satte Gewinne erzielen konnten, stimmten in den zurückliegenden 18 Monaten fast alle Beteiligten ein Klagelied an.

Vieles konnte nur realisiert werden dank Fördermitteln aus "Neustart Kultur"

Selbst Museen und vereinsbasierte Kunsträume, die finanziell anders abgesichert sind, litten unter den Lockdowns, den Einschränkungen, dem zusätzlichen Aufwand. Und sie ahnen, es wird noch dicke kommen, wenn dem Bund, den Städten und Gemeinden in Zukunft das Geld fehlen wird, weil es benötigt wurde und wird, um die Folgen der Pandemie in allen Bereichen des Lebens zu bewältigen. Aber: Vieles, was derzeit in Museen, Kunstvereinen und Galerien gezeigt wird, konnte auch nur dank der Fördermittel aus "Neustart Kultur" und "Stiftung Kunstfonds" realisiert werden. Deshalb bleibt abzuwarten, wie es im kommenden Jahr werden wird, wenn diese Förderprogramme auslaufen.

Momentan aber herrscht eine Art Aufbruchstimmung und die Ausstellungsmacher suchen nach Wegen, um ihr zurückgekehrtes Publikum zu interessieren, zu faszinieren - und dazu zu bringen, das eine oder andere Werk zu kaufen. Sei es für eine Museums- oder Privatsammlung, sei es für die eigenen vier Wände. Dass dabei auch auf manch Glattes und Gefälliges und damit auch leicht Verkäufliches gesetzt wird, wie man gerade ziemlich geballt auf der wiederauferstandenen " Art Basel" erleben konnte, entspricht wohl den allgegenwärtigen Marktmechanismen.

Doch nicht alles, was nun neu präsentiert wird, fällt in diese Kategorie. Vieles, was die Münchner Galerien zeigen, ist auch sehr spannend. Kunst, die gesellschaftsrelevante Themen verhandelt, mit der man sich auseinandersetzen kann und soll - und die dennoch durchaus anmutig ist. So wie die poetisch wirkende Skulptur "Kombu Ahtola" von Julia Lohmann in der Boutwell Schabrowsky Gallery. Einen mythischen Unterwasserpalast der Meeresgöttinnen aus Seetang hat Julia Lohmann da geschaffen. Sie, die hier als Solokünstlerin auftritt, hat das "Department of Seaweed" gegründet, in dem sich Künstler, Designer, Wissenschaftler und Meeresliebhaber zusammengefunden haben, um durchaus ernsthaft Seetang als nachhaltigen Baustoff zu entwickeln.

Ihre Anliegen vertritt die deutsche Designerin und Künstlerin nicht nur in der Kunstszene, sondern auch an Orten, an denen die Zukunft der Gesellschaft politisch und finanziell verhandelt wird. So irritierte sie Anfang 2020 die Teilnehmer des Weltwirtschaftsforums in Davos mit einer ähnlichen, aber bewusst multisensorisch angelegten Arbeit aus japanischen Algen, die sie auf Einladung des New Yorker Cooper Hewitt Design-Museums im Davoser Kongresszentrum aufgestellt hatte. Das Exemplar in München duftet zwar nicht, aber ein Erlebnis ist es allemal, kann man doch von unten hineinschlüpfen und sich in dem gelb-braun-opaken Gebilde visuell in Unterwasserwelten träumen. Dafür muss man nicht einmal eine Meeresgöttin sein.

Julia Lohmann: Kombu Ahtola, Galerie Boutwell Schabrowsky, Theresienstraße 48, bis 23. Oktober

Sehr gesellschaftskritisch und teils hochpolitisch geht es zu im Kunstraum Holzstraße und im DG-Kunstraum nahe dem Wittelsbacherplatz. Sie zeigen in Kooperation mit der Galerie "12-14 contemporary" aus Wien die zweiteilige Gruppenausstellung "Trauma - Der Körper vergisst nicht". Dabei sind die Arbeiten im Kunstraum Holzstraße teils etwas abstrakter, aber nicht minder aufschlussreich. Denn Traumata schleppen die Menschen nun wahrlich reichlich mit sich herum. Eindringlich: Minjae Lees Sound- und Lichtinstallation "Schweigeraum" oder die Fotoarbeit "Zwei Eins" von Anneke Marie Huhn aus der Serie "Mädchenzeit II", mit der sie die Geschichte ihrer Familie untersucht.

Nah am Puls der Zeit erwies sich die Motivauswahl von Monika Huber. Ihr Archiv speist sich aus weltweitem Nachrichtenmaterial, das sie teils fotografisch, teils im Videoformat aufarbeitet. Für die Ausstellung in der DG hatte sie Bilder ausgewählt, die die brutal niedergeschlagenen Proteste in Belarus vor einem Jahr zeigen. Ein Motiv der Wandarbeit an der Eingangsfront zeigt die belarussische Oppositionelle Maria Kolesnikowa, am Rand zwar nur, aber doch sehr präsent. Während Huber an der Ausstellung arbeitete, wurde Kolesnikowa in einem Prozess zu elf Jahren Lagerhaft verurteilt. Nun leuchtet deren damals noch weiß-blonder Schopf den Besuchern der DG schon von weitem entgegen.

Trauma - Der Körper vergisst nicht, Kunstraum, Holzstr. 10, DG-Kunstraum, Finkenstraße 4, bis 24. Oktober

Mit dem Thema der künstlichen Intelligenz und den dahinter stehenden Algorithmen beschäftigt sich die deutsche Künstlerin Lilly Lulay in ihrer Ausstellung "Feature Extraction - Photography as Raw Data" in der Galerie Klüser 2, die in Kooperation mit "Kuckei + Kuckei" aus Berlin entstanden ist. Dabei verwendet Lulay durchaus analoges Material, das sie vor dem Hintergrund digitaler Strukturen bearbeitet und - wie beispielsweise in der Serie "The Algorithmic Gaze" - in zeitgenössische, abstrakte Tafelbilder übersetzt. Dem Bogen, den sie dabei über die Jahrhunderte der Kunstgeschichte hinweg schlägt, folgt man gerne in die Zukunft.

Lilly Lulay: Feature Extraction - Photography as Raw Data, Galerie Klüser 2, Türkenstraße 23, bis 30. Oktober

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