Kunst und Architektur:Frei und leicht wie ein Vogel

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Die Ausstellung "The Architecture of Confinement" im BNKR erzählt von Themen wie Einschränkungen, Grenzen, Gefangenschaft und Isolation.

Von Evelyn Vogel, München

Es gab in den zurückliegenden Monaten zahlreiche Kunstprojekte zu Themen wie Einschränkungen, Grenzen, Gefangenschaft und Isolation. Projekte, die lange vor Beginn der Corona-Pandemie geplant worden waren, die dann aber durch sie eine neue, veränderte, mitunter auch stärkere Aktualität erhielten. Eines dieser Projekte war und ist die Ausstellung "The Architecture of Confinement" im BNKR in der Ungererstraße. Und angesichts der aktuellen Diskussion über die Aufnahme von Ortskräften aus Afghanistan, die sich aus Angst vor den Taliban und deren radikalen Vorstellungen für die Zukunft des Landes, irgendwo in Kabul verstecken, gewinnt die Ausstellung erneut eine Brisanz, die die beiden Kuratoren Sam Bardaouil und Till Fellrath so wohl nie erwartet hätten.

"The Architecture of Confinement" ist der zweite Teil einer von Bardaouil und Fellrath kuratierten Ausstellungs-Trilogie im BNKR, die künstlerische Positionen in der Verbindung von Kunst und Architektur zeigt. Der erste Teil war, vom Lockdown unterbrochen, zwischen September vergangenen Jahres und April diesen Jahres zu sehen. Der dritte Teil soll im kommenden November folgen. Im Mittelpunkt steht bei allen Teilen die Architektur und die wechselvolle Geschichte des Ausstellungsgebäudes, das 1943 als Schutzbunker im Norden Schwabings errichtet wurde und seit 2013 unter anderem den privaten Ausstellungsraum BNKR beherbergt. Darüber gibt eine zwischen zwei Stockwerken entstandene Archivwand mit historischen Bildern und Dokumenten, beispielsweise einer Einlasskarte im Falle eines Fliegeralarms, Auskunft.

Wie viel Raum ist menschenwürdig?

Der aktuelle Ausstellungsteil "The Architecture of Confinement" nimmt zwar die Nutzung des Gebäudes als Internierungslager während der Entnazifizierungszeit von 1945 bis 1948 zum Ausgangspunkt, geht aber weit darüber hinaus. Etwa wenn Nadia Kaabi-Linke in ihrer ortsspezifischen Installation "Modulor I" mit Hilfe von zarten, auf dem Boden sowie einer Wand aufgebrachten Metallstreifen die Dimensionen von Einzelhaft-Gefängniszellen weltweit nachzeichnet. Bedächtig geht man die Maße ab und stößt schon nach wenigen Schritten an die nächste Begrenzung. Wie viel Raum ist menschenwürdig? Wie eingeengt fühlte man sich selbst während des Lockdowns in den eigenen vier Wänden? Und unter welch beengten Bedingungen müssen Flüchtlinge - nicht nur die afghanischen - oft jahrelang leben?

Um Schutz, Gefangenheit und Einsamkeit geht es auch in der Arbeit von Joanna Piotrowska, deren Fotografien gleich zu Beginn der Ausstellung hängen. Türen, die vor einem halb geöffnet oder halb geschlossen sind, Menschen, die in Kauerhaltung in Wohnungen abgelichtet wurden. Immer stellt Piotrowska Situationen von Gefangenheit und Flucht dar, thematisiert die Beziehung des Körpers zu seinem Umfeld. Das wirkt mitunter spröde und befremdlich, aber es regt zum Nachdenken an.

Auch Annika Kahrs hat wie Nadia Kaabi-Linke ihre Video- und Soundinstallation "our Solo" speziell für die Ausstellung geschaffen. Darin experimentiert sie mit der Wahrnehmung von privater und öffentlich gespielter Musik. Hier geht beim Betrachter sofort das Kopfkino los. Etwa, wenn Musiker einsam in ihren Wohnungen spielen. Wenn man leere Kinoreihen sieht. Oder eine Sängerin einsam und allein auf einer leeren Bühne sitzt. Früher wären solche Situationen nichts besonderes gewesen, Probensituationen eben. Heute denkt man sofort an all die während der Pandemie auftrittslosen Künstler.

Tea for Two? Mona Hatoums Arbeit "T42 (gold)". (Foto: Evelyn Vogel/Courtesy die Künstlerin, Privatsammlung)

Selbst Mona Hatoums Skulptur "T42 (Gold)" gewinnt angesichts von Diskussionen über Übertragungswege von Viren eine neue Bedeutung. Das an sich eher humorvoll anmutende Objekt, das an "Tee for Two" erinnert, besteht aus zwei Tassen, die mittig so miteinander verbunden sind, dass man nur gemeinsam daraus trinken kann, ohne dass irgendwo etwas verschüttet wird. Doch wer möchte schon seine Tasse mit jedem x-beliebigen teilen? Es setzt also eine besondere Nähe von Menschen voraus.

Eine solche Nähe symbolisiert in besonderer Weise Özgür Kars Videoinstallation "It is all in his head". Auf zwei miteinander verbundene Bildschirme ist eine Figur in Embryonalstellung zu sehen. Weil die Figur aber wie in die schwarzen Bildschirme eingezwängt wirkt und diese zudem in eine Raumnische gestellt wurden, löst die Installation beim Betrachter unwillkürlich einen Schutzreflex und einen Wunsch nach Nähe aus.

Die vielleicht poetischste Arbeit ist die des französischen Regisseurs Ramzi Ben Sliman. Sein Kurzfilm "Grand Hôtel Barbès" zeigt einen jungen Tänzer, der durch Paris streift - nachdem er frühmorgens auf die Straße geworfen wurde, weil er die Miete für sein Zimmer nicht zahlen konnte. Als er auf eine Gruppe von Breakdancern trifft, die sich gegen Geld fast machohaft miteinander messen, investiert er seine letzte Münze, um an dem Straßenwettbewerb teilzunehmen - und verzaubert alle mit seinem klassischen Balletttanz zu Musik von Mozart. Wie ein Vogel, so leicht und frei, überwindet er alle sozialen und ethnischen Grenzen und widerlegt mit seinem Tanz die Vorurteile, mit denen die Gruppe ihm begegnet waren. Auch solche Gruppenzugehörigkeiten haben in den zurückliegenden Monaten andere Bedeutungen erhalten.

The Architecture of Confinement, BNKR, Ungererstr. 158, bis 17. Okt., Tickets unter www.bnkr.space ; Paneldiskussion "Verborgene Geschichten / Hidden Narratives" mit Nadia Kaabi-Linke, Felix Kraus (The Swan Collective), Madeleine Freund und Till Fellrath: Sa., 11. Sep., 11 Uhr, Vorhoelzer-Forum der TU, Arcisstraße 51, 5.OG, Anmeldung bis 9. Sep., 12 Uhr unter info@bnkr.space

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