Kommentar:Goldmarie und Pechmarie

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"Keine logische Verknüpfung" zwischen Gastronomie und Kultur erkennt die Staatsregierung. Ob das der singende Wirt Alfons Schuhbeck, hier in seiner Dinner-Show, auch so sieht? (Foto: Stephan Rumpf)

Die stiefmütterliche Behandlung der Kultur in der Pandemie offenbart die verquere Logik der bayerischen Staatsregierung.

Von Michael Zirnstein, München

Als in einem SZ-Bericht zur stiefmütterlichen Behandlung der Kultur-Kultur gegenüber der Wirtshaus-Kultur in Bayern über eine Münchner Jazz-Bar stand, sie ermogle sich mit dem Verkauf von Nachos eine volle Gästeanzahl, meldete sich deren Betreiber. Von Durchmogeln, sagte der, könne keine Rede sein. Er bat, den Irrtum aufzuklären, da manche Gäste eh irritiert seien, glaubten sie doch, er müsse momentan wie alle Bars geschlossen haben. Er habe trotz des Namens gar keine Bar, sagte er, und trotz des Jazzens keine kulturelle Spielstätte, er habe eine Gastro-Konzession. Die erlaube es ihm, Genesene und Geimpfte ohne Test- oder Booster-Nachweis und ohne Maske am Tisch zu bewirten, mit Nachos und auch mit Jazz. Ja, alles rechtens.

Aber auch gerecht? "Katastrophal", "unfassbar", "unerträglich", "nicht mehr zu vermitteln", "zuerst das Fressen, dann die Moral", so ächzten Vertreter und Fürsprecher der Kultur Anfang der Woche, als die Staatsregierung die angekündigten Lockerungen erneut aufschob. Man wähnt sich im Märchen von Gastro-Goldmarie und Kultur-Pechmarie; aber: eben nicht "Frau Holle", sondern die echte Hölle. Man solle "nicht der Versuchung erliegen, die einzelnen Bereiche gegeneinander auszuspielen" - so wollte Staatskanzleichef Florian Herrmann den Spieß umdrehen. Und das ist nun wirklich eine Farce. Wer spielt denn seit Beginn der Pandemie die Theater, Kinos und Konzertveranstalter durch früheste Schließungen, späteste Öffnungen und strengste Regeln ins Abseits und treibt so einen Keil zwischen CSU-nahe Wirthaus-Wirtschaft und links gewähnte Kultur-Wirtschaft? Die bayerische Staatsregierung!

Trotz wissenschaftlicher Studien zur relativen Ungefährlichkeit der meist gut gelüfteten Konzertsäle stempelt man diese zum Hochrisikogebiet ab, während das Fehlen von Expertisen in der engen Gastronomie als Argument dient, hier Omikron erst mal auszusitzen bei ein paar Gläsern Chianti. Bevor man in der Kultur auf halbe Auslastung verdopple (in Restaurants gelten 100 Prozent), will Gesundheitsminister Klaus Holetschek noch die Beratungen der nächsten Ministerpräsidentenrunde abwarten - deren aktuellen Beschluss zur Verschärfung durch 2-G-plus in der Gastronomie hat man schlicht ignoriert. Eine Begründung der Ungleichbehandlung? Fehlanzeige. Es gebe "keine logische Verknüpfung zwischen den Bereichen", findet Herrmann. Genau diese Einschätzung offenbart die Un-Logik im von Söder und Wirteminister Hubert Aiwanger dominierten Kabinett. Staatstheater mit Pausenjause, Kleinkunstbühnen mit Speisekarte, Verzehr-Kinos, Dinner-Shows, Techno-Clubs, Gourmet-Restaurants und Jazz-Bars sind alles gleichermaßen existenziell bedrohte und kulturell wertvolle Orte. So sollte Team Söder sie gleichermaßen danach behandeln, wie deren Betreiber dort das Virus im Zaum halten, nicht danach, wen sie wählen und welche Konzession sie haben.

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