Technik:Tollkühn beim Schafkopf

Technik: Über eine künstliche Intelligenz würde sich manch einer beim Kartenspielen freuen. In dem Experiment war die angebliche KI aber ziemlich dumm - trotzdem verließen sich die Probanden auf sie.

Über eine künstliche Intelligenz würde sich manch einer beim Kartenspielen freuen. In dem Experiment war die angebliche KI aber ziemlich dumm - trotzdem verließen sich die Probanden auf sie.

(Foto: Claus Schunk/LKS)

Wer Elektroden am Kopf hat und glaubt, er sei mit künstlicher Intelligenz verbunden, neigt zu riskanterem Verhalten. Wissenschaftler der LMU München haben mit Kartenspielern experimentiert - und ihnen eine wilde Geschichte aufgetischt.

Von Bernd Kramer

Ein Mantel. Eine Glühbirne. Ein Fahrrad. Und ihre Gemeinsamkeit? Der Medientheoretiker Marshall McLuhan hat einmal die vielen technischen Errungenschaften, die der Homo faber hervorgebracht hat, schön über einen Kamm geschert und ihr verbindendes Wesen als "Ausweitung des Menschen" zusammengefasst. Ein Mantel wäre damit so etwas wie die Verlängerung der Haut: Mit einem Mal kann sich das nackte Tier Mensch in Gefilde vorwagen, in denen es sonst gebibbert hätte. Die Glühbirne: eine Ausweitung der Augen auf sonst eher schattige Ecken und Tageszeiten. Das Fahrrad: im Prinzip auch nichts weiter als eine spezielle Form der Beinprothese.

In jüngster Zeit machen die rapiden technischen Erweiterungen diverser Hirnfunktionen von sich reden. Intelligente Programme können mittlerweile Stimmen imitieren oder Lieder in solcher Perfektion komponieren, dass man ganz stumm wird vor Schreck. Sie fälschen auf Verlangen Fotos oder pinseln Gemälde im Stile alter Meister in einer Qualität, dass selbst Botticelli erblassen würde. Lauter wunderbare Hirnerweiterungen. Und was fängt der Mensch damit an?

Er lehnt sich zurück, schaltet gedanklich einen Gang runter und wird überheblich. Das deutet ein Experiment an, das Computerwissenschaftler der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München angestellt haben. Sie baten ihre Probanden, am Bildschirm ein Kartenspiel zu spielen, setzten ihnen Kopfhörer auf, brachten Elektroden auf dem Kopf an und erzählten die folgende wilde Geschichte: Eine kluge Software würde anhand der gemessenen Hirnströme einen nicht vernehmbaren Ton erzeugen, der genauestens abgestimmt auf das Spielgeschehen die kognitiven Fähigkeiten verbessert.

In dem Kartenspiel verhielten sich die Versuchspersonen daraufhin tatsächlich risikobereiter - zumindest wenn sie den Forschern das Märchen abkauften; bei den Skeptikern änderte sich nicht viel. "Wenn Menschen sich viel von einer Technologie versprechen, tendieren sie offenbar dazu, ihre Verantwortung auszulagern", sagt Steeven Villa, Doktorand an der LMU und Erstautor der Studie. Die Ausweitung des Menschen geht mitunter mit einer Ausweitung seiner Selbstüberschätzung einher: Die Maschine macht's ja, da können wir ruhig was wagen.

Und irgendwie meint man ja im Alltag ständig zu beobachten, wie kluge Technik Menschen zur Sorglosigkeit treibt. Seit Textverarbeitungsprogramme eine Fehlerprüfung beinhalten, neigt manch einer zu riskanter Rechtschreibung. Die fortgeschrittene Filterfunktion in Videokonferenzprogrammen ermutigt zu abenteuerlichen Frisuren: Warum sollte man sich morgens für die lieben Kollegen kämmen, wenn man das Zähmen der Haarpracht der Software überantworten kann? Und ein kluger Berater wie Chat-GPT kann einem gestressten Redakteur die Mühe abnehmen, die richtige Schlussfolgerung aus der Forschung zu ziehen: "Aus der Studie lässt sich ableiten, dass es wichtig ist, den Umgang mit Chat-GPT und ähnlichen KI-gesteuerten Systemen kritisch zu betrachten und nicht blindlings auf deren Ratschläge und Antworten zu vertrauen", antwortet, mit den Ergebnissen konfrontiert, das Chat-Programm. Das wiederum ist ein Fazit, das man an dieser Stelle bedenkenlos und ohne größeres Risiko weitergeben kann.

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