München vor der Wahl:Wachstum muss man steuern, nicht stoppen

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Baustellen gehören in München zum Stadtbild. (Foto: Stephan Rumpf)

Ein Thema hat den Kommunalwahlkampf in München geprägt: der Wachstumsstress, unter dem die Stadt leidet - und die Frage, wie die Politik diesem begegnen soll.

Kommentar von Dominik Hutter

Das Prinzip der Stadtmauer bestimmt die politische Debatte in München wie in vielen anderen deutschen Großstädten. In jenen, die unter akutem Wachstumsstress leiden. Da liegt es nahe, nach einfachen Lösungen zu rufen - etwa der, den nach wie vor erklecklichen Zuzug in die Metropolen einfach mal eben abzuwürgen. In der Hoffnung, dass dann die vermeintliche Idylle vergangener Tage wieder zurückkehrt.

Im Kommunalwahlkampf in München, der nun seine Schlussphase erreicht, kämpft eine eigens zu diesem Zweck gegründete Gruppierung um Stadtratssitze und damit um politischen Einfluss. Aber auch die ÖDP und die Bayernpartei pflegen die Sehnsucht nach der guten alten Zeit und trommeln dafür, das Wachstum zu drosseln.

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München ist beliebt, doch wo sollen die vielen Zuzügler noch unterkommen? Die Parteien geben unterschiedliche Antworten auf diese emotionale Frage.

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Als ob das so einfach wäre. München und auch andere Großstädte wachsen tatsächlich kontinuierlich weiter, im Vergleich zum Vorjahr sind in Bayerns Hauptstadt erneut rund 18 000 Einwohner dazugekommen. Das ist keineswegs Rekord, in früheren Jahrzehnten war der Zuzug noch deutlich größer. Nur: München füllt seine Verwaltungsgrenzen inzwischen nahezu aus, der Gestaltungsspielraum für Stadterweiterungen wird immer kleiner.

An die eigentlich notwendigen Eingemeindungen traut sich kein Politiker heran. Und natürlich spielt auch der exorbitante Anstieg der Mieten und das noch größere Plus bei den Grundstückspreisen eine wichtige Rolle beim Entstehen des unangenehmen und stets ein wenig diffusen Gefühls, es könne doch so nicht ewig weitergehen. Vor allem, wenn das Einkommen nicht im gleichen Maße mitangestiegen ist.

Da die direkte Abschottung einer Stadt weder verfassungsrechtlich möglich noch politisch en vogue ist, verlegen sich die Wachstumsskeptiker auf die Wirtschaft: Arbeitsplätze haben weiteren Bedarf an Wohnraum zur Folge, lautet die (zweifellos nicht völlig falsche) Logik. Wer also keine neuen Arbeitsplätze schafft und keine Gewerbegebiete mehr ausweist, entlastet den Wohnungsmarkt. Dieses Denken allerdings offenbart ein wirtschaftspolitisches Grundverständnis, bei dem einem das Gruseln kommt. Käseglocke drüber und einfach auf dem Status quo weitermachen?

So funktioniert Wirtschaft nicht, die sich ja schließlich in einem stetigen Wandel befindet. Auch alteingesessene Unternehmen wollen expandieren - und wird ihnen das verwehrt, suchen sie sich einen neuen Standort. Jobs in neuen Branchen entstehen. Und: München wächst auch aus sich selbst heraus, ganz ohne Zuwanderung. Die Zahl der Geburten übersteigt seit Jahren die der Sterbefälle. Auch das löst Bedarf aus: an Wohnungen und an Arbeitsplätzen. Wollen die Münchner wirklich ihren Kindern die Jobs verweigern?

Es ist daher kein Zufall, dass die Parteien, die politische Verantwortung tragen, vor der vermeintlichen Logik der Wachstumsskeptiker warnen. Zumal in München die Fläche für Gewerbe in den vergangenen Jahren sogar zurückgegangen ist, weil es lukrativer war, Wohnungen zu errichten. Eine Kommune mit ihren begrenzten Möglichkeiten kann Wachstum in einer freizügigen Gesellschaft zu gestalten versuchen. Aber nicht bremsen oder gar stoppen.

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Früher galten die Münchner Probleme in Bayern als exotisch - das ist längst nicht mehr so

Etwa, indem man erweiterungswillige Firmen dazu bringt, Werkswohnungen zu bauen. Indem man dafür sorgt, dass nicht nur teure Luxusappartements, sondern auch bezahlbare Wohnungen entstehen. Oder indem man aufpasst, dass der Druck auf dem Wohnungsmarkt nicht die alteingesessenen Bewohner vertreibt. Und das Verkehrsangebot mitwachsen lässt. Kommunen wie München nutzen die Möglichkeiten, die zum eigenen Repertoire gehören. Sie sind halt leider nur sehr begrenzt.

Die deutschen Kommunen warten seit Jahren händeringend darauf, dass endlich der Bund an den entsprechenden Schrauben dreht. Verschärfungen des Mietrechts, eine Deckelung der Spekulationsgewinne bei Grundstücksverkäufen, aber auch die Finanzierung des Nahverkehrs - bei diesen Themen ging in Berlin lange Zeit nichts oder nur sehr wenig voran. Was auch eine Folge des zunehmenden Stadt-Land-Konflikts ist. Während die Menschen in die Großstädte strömen, ringen sich leerende Landkreise um den Erhalt ihrer Schulen, Kliniken oder Buslinien.

Und da das Gros der Bundestagsabgeordneten (wie auch in den Landtagen) nicht aus den Boom-Städten, sondern aus der Provinz stammt, tun sich die Metropolen schwer, ihre Bedürfnisse durchzusetzen. Außerhalb der Städte stehen oft mehr die Interessen der Hauseigentümer als die der Mieter im Vordergrund - ganz einfach, weil dort die Eigentumsquote viel höher ist. München ist es allmählich schon gewohnt, einsam auf weiter Flur zu stehen, weil seine spezifischen Probleme überregional nicht mehrheitsfähig sind.

Einst war es noch schlimmer, da zählte Bayerns Metropole fast zu den einzigen Städten, die ein stabiles Wachstum verzeichneten und deshalb unter Wohnungsnot und Mietenexplosion litten. Derartige Probleme galten in anderen Ecken Deutschlands als exotisches Wohlstandsproblem. Inzwischen ist München in guter Gesellschaft, selbst das einst so alternativ-gemütliche Berlin verzeichnet Engpässe bei der Wohnungssuche.

Den Großstadtbewohnern ist all das nicht immer leicht zu erklären. Die Sehnsucht nach übersichtlichen Lösungen ist naheliegend, aber nicht richtig. Da ein Wachstumsstopp im Repertoire der etablierten größeren Parteien nicht vorkommt, wird die fortgeschrittene Zersplitterung der Parteienlandschaft im Stadtrat wohl noch zunehmen. Aktuell kandidieren 17 Listen mit 14 OB-Kandidaten - das ist weder besonders übersichtlich, noch erleichtert es später die Mehrheitsfindung. Rechnet man mit ein, dass der Wirkungsgrad kleiner Ein-Thema-Gruppierungen eher begrenzt ist, ist ein solches Politik-Sammelsurium kontraproduktiv.

© SZ vom 14.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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