Forschung:"Der Klimawandel wird uns nicht mehr loslassen"

Klimaforscher Matthias Garschagen der LMU, Luisenstraße 37

Klimaforscher Matthias Garschagen auf dem Balkon seines Instituts.

(Foto: Florian Peljak)

Matthias Garschagen ist Geografieprofessor in München und einer der weltweit führenden Forscher für Wetterextreme. Hätten Wissenschaftler wie er etwas zu entscheiden, wären die Innenstädte der Metropolen längst begrünt.

Von Martina Scherf

Starkregen, Gewitter, Hagelkörner so groß wie Golfbälle - das Unwetter, das am Pfingstmontag über München zog, hatte es in sich. Ein Zeichen des Klimawandels? Besuch bei Matthias Garschagen, einem der führenden Klimaforscher des Landes, leitender Autor im Weltklimarat. Sein Spezialgebiet: Wie sich Städte auf die Folgen der Wetterextreme einstellen können. Vor Kurzem ist der Geograf von der Universität der Vereinten Nationen in Bonn nach München gewechselt. Jetzt blickt er aus seinem Büro nach draußen, wo die Restwolken schwer über der Stadt hängen, und sagt: "Ein Ereignis allein sagt natürlich nichts aus. Aber diese Phänomene häufen sich. Und eines ist sicher: Der Klimawandel ist kein Modethema. Er wird uns nicht mehr los lassen."

Schwül ist es an diesem Morgen, Garschagen hat das Fenster geöffnet, das Jackett abgelegt. Wenn er von seinem Büro im obersten Stock des Geographischen Instituts der Ludwigs-Maximilians-Universität (LMU) über die Dächer der benachbarten Häuser schaut, dann ist er mitten in seinem Thema. Städte sind Hitzepole, sagt er. Sie produzieren ihre eigenen Extremereignisse. Und München ist eine der am dichtesten bebauten Städte in Deutschland, auch wenn es rund um den begrünten Königsplatz nicht so zu sein scheint und vor dem Institut in der Luisenstraße ein paar Bäume stehen. Wo aber Haus an Haus steht, wo immer mehr Flächen versiegelt werden, wo Blechkarawanen das Straßenbild dominieren, da heizt sich die Luft besonders auf. Die kühlende Wirkung von Parks und Wasserflächen, von begrünten Dächern und Fassaden ist bekannt, sagt Garschagen, "aber in diesem Bereich wird viel zu wenig getan". Hätten Wissenschaftler etwas zu entscheiden, wären die Innenstädte der Metropolen längst grün.

Im Garschagens Büro stehen noch die Umzugskisten, fürs Auspacken war keine Zeit. Der nächste Bericht für den Weltklimarat muss fertig werden. Der Forscher schreibt bis tief in die Nacht und schickt seinen Text dann an einen Kollegen in Neuseeland, der ihn bis zum nächsten Morgen zurücksendet. Da wird um jedes Wort gerungen. Ist eine Aussage "sehr sicher" oder nur "sicher"? Das weltweit wichtigste Gremium der Klimaforschung darf sich nicht angreifbar machen. Alle Autoren arbeiten ehrenamtlich. Ständig sind die Wissenschaftler im Austausch, mehrmals im Jahr finden irgendwo auf der Welt Konferenzen statt. Dort werden die Daten gesammelt und akribisch geprüft, die am Ende den Regierungen als Entscheidungsgrundlage dienen sollen.

Schon heute lebt die Mehrheit der Weltbevölkerung in Städten. Doch abgesehen von einzelnen architektonischen Vorzeigemodellen sind die Städte grau. Garschagen ist oft in Asien, er beobachtet die Entwicklungen in Jakarta oder im Mekongdelta, wo ganze Neubauviertel in hochwassergefährdeten Gebieten hochgezogen werden. "Da werden einige Investoren schnell reich - und niemanden interessiert, dass die Gegend in 50 Jahren vielleicht überflutet ist."

Aber auch im vergleichsweise beschaulichen München wächst der Druck durch den Zuzug. Es wird gebaut und nachverdichtet, wo immer möglich. Auch hier geht es vor allem um Wachstum und kurzfristige Gewinne, weniger um Nachhaltigkeit. Garschagen interessieren besonders die sozioökonomischen Folgen des Klimawandels: Welche Bevölkerungsteile und Wirtschaftszweige sind am stärksten verwundbar?

Die reichen Länder tragen viel mehr zum Klimawandel bei, die armen Länder leiden viel mehr darunter, das ist bekannt. Doch was bisher weniger beschrieben wurde: Auch innerhalb einer Stadt gibt es Unterschiede. "Wer Geld hat, kann sich gegen Schäden versichern oder zur Not umziehen, wenn das Risiko steigt. Wer ärmer ist, verliert vielleicht seine gesamte Existenzgrundlage." Alte leiden mehr als Junge, Kranke mehr als Gesunde, Kleinunternehmer mehr als Konzerne. "Eine Studenten-WG kann schnell umziehen, ein Seniorenheim nicht." Das sollten Stadtplaner im Blick haben.

Vor Jahren hat ein Hochwasser in Bangkok weite Teile der IT-Industrie lahmgelegt, erzählt der Forscher, das hat die Festplattenproduzenten weltweit in die Knie gezwungen. Die Weltwirtschaft ist eng vernetzt - und verwundbar. "Ich komme vom Rhein, ich sehe das in meiner Heimat", sagt Garschagen. "Würde ein Hochwasser Fabriken, Kraftwerke oder Raffinerien überschwemmen und würden solche Einrichtungen womöglich ein paar Tage ausfallen, hätte das gravierende Folgen. Die Infrastrukturen werden immer anfälliger."

"Es reicht nicht, nur an die Freiwilligkeit der Leute zu appellieren"

Stromausfälle, Versorgungsengpässe, das alles wird in Zukunft wahrscheinlicher, sagt er. Katastrophenschützer planen längst damit. Doch die meisten Menschen lebten vor sich hin, als ginge sie das nichts an. Und er selbst? "Ich bin kein Prepper, der mit dem Schlimmsten rechnet", sagt Garschagen und lächelt dabei, "aber einen kleinen Wasservorrat, eine handbetriebene Taschenlampe, einen Gaskocher und ein paar Konserven habe ich immer zu Hause, schon wegen der Kinder."

Seine Analysen interessieren nicht nur Regierungen, sondern auch Versicherungen. Als Garschagen überlegte, ob er den Ruf an die LMU annimmt, hat auch die Tatsache eine Rolle gespielt, dass hier mit der Münchner Rück einer der größten Rückversicherer der Welt sitzt. Erste Kontakte hat er schon geknüpft, er will ein Netzwerk aufbauen mit lokalen Partnern aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft. Und möglichst viele internationale Kollegen in sein Team holen. "Das vertieft den Blick auf ein Problem."

Der Inhaber des Lehrstuhls für Anthropogeografie an der LMU ist jetzt 37 Jahre alt und schon recht weit in seiner Karriere. Er spricht mit Leidenschaft, er brennt für sein Thema, er will etwas bewegen. Er fliegt beruflich durch die Welt, hat einige Zeit in Indien und Vietnam gelebt. Das Reisen und die Feldforschung haben ihm viele Jahre lang sehr viel gegeben. Jetzt aber hat er zwei kleine Kinder und möchte die Fernreisen am liebsten reduzieren, "auch des Klimas wegen. Man muss nicht immer fliegen, vieles kann man per Videokonferenz klären." Sein Büro wird dafür mit einem großen Bildschirm ausgestattet.

Da drängt sich die Frage auf, wie es der Klimaforscher zu Hause mit der Nachhaltigkeit hält. "Wir machen meist Urlaub in der Nähe", sagt er, "bisher an der Nordsee, künftig wohl eher in den Alpen." Mit seiner Familie wohnt er jetzt in Ismaning - "weil wir in München keine Planungssicherheit in puncto Kindergartenplatz hatten". Familienüberlegungen spielen heutzutage auch für Spitzenforscher eine zentrale Rolle.

Die Strecke bis in die Maxvorstadt fährt er mit der S-Bahn oder dem Fahrrad. Er heizt mit Geothermie, bezieht Öko-Strom und kauft regionale Lebensmittel. "Beim Fleischkonsum habe ich noch Luft nach unten", gibt er zu und schickt hinterher: "Es reicht aber auch nicht, nur an die Freiwilligkeit der Leute zu appellieren. Wir brauchen eine Politik, die den Wandel steuert." Erneuerbare Energien, CO2-Steuer, Förderung der Bahn, grüne Städte, "wir sind längst nicht mehr das ökologische Vorbild der Welt. Wir könnten schon viel weiter sein."

Da schreibt er nun also unermüdlich seine Berichte, dann kommt die nächste Klimakonferenz - Paris, Marrakesch, Bonn, im vergangenen Dezember in Kattowitz -, und es gibt wieder keine Einigung. Zuletzt wurde darüber gestritten, ob der jüngste Bericht des Weltklimarates "begrüßt" oder nur "zur Kenntnis genommen" werde. Russland, Saudi Arabien und die USA haben sich durchgesetzt: Die Arbeit der Wissenschaftler wurde nicht begrüßt. "Der Kohlendioxidausstoß steigt und steigt und steigt. Und wir reden, reden und reden", stellte Mohamed Nasheed daraufhin fest, der frühere Staatspräsident der Malediven, dessen Land langsam im Meer versinkt. Ist das alles nicht unglaublich frustrierend?

Garschagen fährt sich durch den Vollbart, zögert einen kurzen Moment, dann sagt er: "Nein. Die Weltgemeinschaft erkennt das Problem, die Menschen wachen auf. Und gerade jetzt erleben wir doch einen Aufbruch." Die Schülerproteste, Fridays for Future, die Wahlerfolge der Grünen - noch nie war das Thema so präsent. "Schau mer mal", so viel Bairisch hat der Rheinländer schon gelernt, "was die nächsten Jahre bringen." Er sei im Herzen Optimist, sagt der evangelische Pfarrerssohn: "Et hätt noch immer jot jejange."

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