Workshop in der Pinakothek der Moderne:"Kunst kann uns verändern"

Lesezeit: 6 min

Juliane Köhler bei der Samurai-Übung mit den Jugendlichen: Das imaginäre Schwert sausen lassen, Kraft ausdrücken - "hilft vor einem Bühnenauftritt", sagt die Schauspielerin. (Foto: Catherina Hess)

Das "Kunstlinge"-Programm in der Pinakothek der Moderne soll jungen Menschen ohne Ausbildungsplatz Mut machen. Schauspielerin Juliane Köhler übernimmt dabei die Rolle der Mentorin und zeigt mit ihrer eigenen Geschichte: Sich selbst zu vertrauen ist ein Prozess.

Von Martina Scherf

Die jungen Leute stehen im Kreis, Juliane Köhler in der Mitte. "Wir üben jetzt das Sich-fallen-Lassen", sagt die Schauspielerin. "Ich mach' euch das mal vor." Stellt sich stocksteif hin, die Füße aneinander, die Hände an den Oberschenkeln - und kippt auch schon wie ein Zinnsoldat nach vorne. Zwei überraschte Jungs fangen sie auf, schubsen sie vorsichtig zurück in die andere Richtung, da stehen zwei Mädchen, wieder wird sie gehalten und weiter geht es, zur Seite, nach vorn, nach hinten. "Jetzt seid ihr dran", sagt Köhler. "Wer möchte?" Zögern. Dann geht ein großer junger Mann in die Mitte. Das ist ein anderes Gewicht als die gertenschlanke Schauspielerin. Aber auch er wird aufgefangen. Und auf den Gesichtern der Beteiligten macht sich ein Lächeln breit.

Sieht leicht aus, so eine Körperübung, kostet aber Überwindung. Wer sich traut, ist um eine wichtige Erfahrung reicher: Die Gruppe hält. Vertrauen wird belohnt. Keiner wird fallen gelassen.

Juliane Köhler ist Schirmherrin der "Kunstlinge", eines einwöchigen Workshops in der Pinakothek der Moderne, der vier Mal im Jahr stattfindet. Er ist Teil eines Orientierungsprogramms für Jugendliche und junge Erwachsene, die noch keinen Ausbildungsplatz gefunden haben. Die Schauspielerin steht nicht nur mit ihrem Namen auf dem Flyer, sie kommt jedes Mal für einen Nachmittag persönlich dazu. Um zu zeigen: Es gibt Tricks, mit denen man Selbstbewusstsein und Selbstwahrnehmung stärken kann.

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"Als ich so alt war wie ihr, war ich soooo schüchtern", erzählt sie jetzt und breitet die Arme aus, um die Größe ihres Lampenfiebers zu demonstrieren. "Ich hätte mich nie getraut, hier in der Pinakothek auf der Bühne zu sprechen. No way! Aber ich wollte halt unbedingt Schauspielerin werden. Ich hab' mich an allen deutschen Schauspielschulen beworben und wurde nirgends genommen." Sie solle lieber Kindergärtnerin werden, sagte man ihr. Sie nahm dann all ihren Mut zusammen, ging an eine Schule in den USA.

Als sie zurückkam, dauerte es wieder eine ganze Weile, bis sie das erste Engagement an einer deutschen Bühne bekam, in Hannover. Heute zählt Köhler zu den prominentesten deutschen Darstellerinnen. Seit bald drei Jahrzehnten gehört sie zum Ensemble des Residenztheaters - derzeit ist sie in vier Inszenierungen zu sehen -, dreht Kino- und Fernsehfilme. Doch diesen Nachmittag hält sie sich frei.

Schauspielerin Juliane Köhler bei einer Filmpremiere im Arri-Kino. (Foto: Stephan Rumpf)

Es ist der vorletzte Tag der Kunstwoche. Am Montagmorgen saßen die jungen Leute noch schüchtern nebeneinander, ein wenig unsicher, auf was sie sich hier eingelassen haben. Jetzt sind sie mitten in der Produktion, es macht sich gespannte Erwartung breit. Am Freitag werden sie ihre Ergebnisse auf der Bühne vor Publikum präsentieren. Ein straffes Programm.

Der Workshop ist Teil des "Joblinge"-Kurses, der junge Leute fit für den Beruf machen will. Denn obwohl rund 70 000 Lehrstellen in Deutschland unbesetzt sind, finden viele junge Menschen keinen Ausbildungsplatz. Die Gründe sind vielschichtig, aber eines ist klar: Das Selbstbewusstsein leidet, wenn immer wieder Absagen im Briefkasten landen. Ohne Begründung. Wer da keinen Mentor hat, niemanden, der einem Mut macht und die Stärken betont, tut sich schwer.

Die Joblinge sind eine deutschlandweit tätige, gemeinnützige AG, getragen von Unternehmen, der Arbeitsagentur, Kommunen und privaten Förderern. Die Jugendlichen erhalten ein sechsmonatiges Training, lernen, welche Berufe es überhaupt gibt, wie man eine Bewerbung schreibt, worauf es beim Vorstellungsgespräch ankommt. Sie machen Schnupperpraktika, haben einen Mentor oder eine Mentorin in einer Firma und lernen Teamarbeit. Der Erfolg ist beachtlich. Nach Angaben der Organisation erhalten 84 Prozent der Absolventen einen Ausbildungsplatz, und neun von zehn schließen die Ausbildung dann auch ab.

Los, trau dich! Juliane Köhler macht ein par Wahrnehmungs- und Auflockerungsübungen mit den Workshopteilnehmern. (Foto: Catherina Hess)

Auf Teamwork kommt es auch bei den "Kunstlingen" an. Seit zehn Jahren findet der Workshop statt, und alle Teilnehmer, so berichten die Joblinge-Betreuerinnen, sagen hinterher, das sei das Highlight gewesen. Sie spüren, vielleicht zum ersten Mal, dass ihnen Erwachsene etwas zutrauen, sie nicht von oben herab behandeln. Das stärkt das Selbstvertrauen.

Diesmal leiten Alexander Löwenstein und Ivan Paskalev den Workshop. Der eine Saxofonist, Komponist und Sound-Artist, der andere Multimedia-Künstler. Beide mit Käppi und Schlabberjeans und einer ruhigen, konzentrierten Art, die Sache anzugehen. Sie kommunizieren auf Augenhöhe. Das Ziel: in knapp fünf Tagen einen kleinen Stopp-Motion-Film zu schaffen.

Am Anfang steht ein Gang durch die Pinakothek, Bilder gucken

Zu Beginn geht die Gruppe mit Jochen Meister von der Kunstvermittlung der Staatsgemäldesammlungen durch die Pinakothek der Moderne. Die meisten waren vorher noch nie im Museum, aber alle sind neugierig. Sie suchen sich jeweils ein Werk aus, das sie besonders anspricht. Ihre Eindrücke nehmen sie mit in die Werkstatt, und dann schneiden, kleben und kneten sie Figuren, setzen eigene Ideen und Träume um, erfinden kleine Bildergeschichten. Sie fotografieren Hunderte Einzeleinstellungen mit dem Tablet und schaffen auch noch einen Sound dazu. Am Ende wird alles im Zeitraffer abgespielt.

Und dann ist es soweit. Freitagnachmittag, Präsentation im Auditorium der Pinakothek. Im Publikum sitzen Förderer, Mentoren, andere Joblinge. Licht aus, Spot an. Jede und jeder aus der Gruppe präsentiert den eigenen Kurzfilm. Erstaunlich professionell. Sie erzählen, wie sie gearbeitet, was sie gelernt haben. "Ich habe mir dieses Bild von Kandinsky ausgesucht", sagt Ranim und zeigt auf die Projektion an der Wand. Die junge Syrerin hat ihren Film "Hope", Hoffnung, genannt. Alle sagen, wie gut es sich anfühlte, "dass Alex und Ivan alle unsere Ideen und Entscheidungen gleich ernst genommen haben." Sie sprechen frei, von Lampenfieber ist wenig zu spüren.

"Kunst kann uns verändern."

Carla Schulz-Hoffmann ist sichtlich beeindruckt. "Tolle Arbeit", sagt sie anerkennend und will dann noch wissen, wie viele Fotos denn nötig waren für so einen nicht mal zweiminütigen Animationsfilm. "1200", sagt Sebastian. "Wow", antwortet die ehemalige stellvertretende Generaldirektorin der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. Sie hat das Projekt vor zehn Jahren mit dem Rotary-Club auf den Weg gebracht. Auch Marie-José van de Loo ist da. Die Galeristin fördert die Workshops mit ihrer Familienstiftung langfristig. Und Juliane Köhler, die ebenfalls zum Abschluss nochmal gekommen ist, sagt: "Ich bin jedes Mal wieder überrascht, was ich hier zu sehen kriege. Dieses wunderbare Projekt beweist: Kunst kann uns verändern." In den Gesichtern der Jugendlichen macht sich Erleichterung breit. Und auch ein bisschen Stolz.

Fatih Sabur, 26:

Fatih Sabur fand die Ausbildung, die zu ihm passt. (Foto: privat)

"Die Kunstwoche war ein schöner Kontrast zu dem anderen Joblinge-Programm, mit Referate halten, Vorstellungsgespräche üben, Coaching und so. Ein Werk zu schaffen, in dem viel von der eigenen Persönlichkeit steckt, und es am Ende vor Publikum zu präsentieren, so etwas hatte ich vorher noch nie erlebt. Ich bin nicht der schüchternste Typ, aber auch nicht der offenste. Es hat mich schon Überwindung gekostet, mich auf die Bühne zu stellen. Aber es war ein sehr gutes Gefühl. Weil ich nach der Schule nicht wusste, was ich machen sollte, hatte ich erst angefangen, zu studieren. Aber dann merkte ich, dass mir das zu theoretisch ist. Ich hatte aber keine Ahnung, welche Ausbildung zu mir passen würde. Dann kam ich zu den Joblingen - und fand meinen Weg. Jetzt mache ich eine Ausbildung zum Kaufmann für Verkehrsservice bei der Deutschen Bahn. Da habe ich es täglich mit Menschen zu tun, das macht mir viel Spaß. Und wir kriegen auch noch vergünstigte Tickets, mit denen wir durch ganz Deutschland reisen können, auch nicht schlecht."

Ranim Almawali, 23:

"Ich möchte Mediengestalterin werden, da hat mir die Woche in der Pinakothek mit Alex und Ivan natürlich sehr geholfen. Ich habe in Syrien Abitur gemacht, aber das wird in Deutschland nicht anerkannt. Vor drei Jahren bin ich mit meiner Mutter und meinen beiden Brüdern nach München gekommen, mein Vater war schon vorher da. Ich begann den Deutschkurs, aber dann kam die Pandemie, und es war sehr schwer, ohne Kontakt zu anderen, vor allem zu Deutschen, die Sprache richtig zu lernen. Ich wollte aber meine Zeit sinnvoll nutzen, und neben dem Kurs in meiner Freizeit noch etwas dazu lernen. Da entdeckte ich auf Twitter, dass es eine arabische Gruppe gibt, die freiwillig Übersetzungen vom Englischen ins Arabische anbietet. Da habe ich angeboten zu helfen, und dann auch begonnen, mit einer Software kleine Bildchen einzufügen. Das hat Spaß gemacht, so kam ich dann auf meinen Berufswunsch.

Am liebsten würde ich ein duales Studium machen. Ich habe mich an der IU, der Internationalen Hochschule in München, beworben für Mediendesign, und wünsche mir sehr, dass sie mich nehmen. Dann muss ich noch einen Ausbildungsplatz finden. Dafür bräuchte ich eigentlich einen deutschen Schulabschluss. Andererseits, wenn ich eine Firma finde, die mir einen Ausbildungsplatz anbietet, dann wird mein Abitur anerkannt. Bisschen kompliziert, das Ganze. Aber ich habe jetzt durch die Joblinge viel mehr Selbstvertrauen gewonnen und lerne, welche Möglichkeiten es gibt. Meine Familie ermutigt mich sehr, meinen eigenen Weg zu gehen."

Daniel Berkenkamp, 21:

Daniel Berkenkamp hat eine Zusage für seinen Traumberuf. (Foto: privat)

"Ich war im vorigen Kunstlinge-Kurs, und es war eine tolle Erfahrung. Wir lernten das Museum kennen, sprachen über Farben, und wie sie Gefühle ansprechen. Dann haben wir selbst gezeichnet und gemalt, ein Leporello erstellt und dazu eine Musikschleife. Ich halte mich nicht für einen besonders kreativen Menschen und dachte zuerst: Das kriege ich nie hin. Aber wir durften selbst entscheiden, wie wir unsere Gedanken und Gefühle aufs Papier bringen. Und ich muss sagen: Es war verrückt, was da in einer Woche entstanden ist. Das Joblinge-Programm hat mir Orientierung gegeben. Ich wusste überhaupt nicht, was ich nach der Schule machen sollte. Dann kam Corona, man hing nur noch zu Hause rum, hatte kein soziales Leben mehr, da ging jede Motivation verloren. Aber ich habe schon immer meinen Freunden ihre Rechner zusammengebaut und geholfen, wenn sie IT-Probleme hatten. Jetzt mache ich ein bezahltes Praktikum und habe von der Firma die Zusage für eine Ausbildung zum Informatiker für Systemintegration. Mein Traumberuf."

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