Josef Schmid:Loyal bis zur Selbstbeschädigung

Lesezeit: 5 min

Josef Schmid hat die CSU wieder stark und zur Regierungspartei gemacht. Ausgerechnet jetzt holt sie die Vergangenheit ein. (Foto: Stephan Rumpf)
  • Nach einem knappen Jahr im Amt steht Münchens Zweiter Bürgermeister Josef Schmid (CSU) immer häufiger im Schatten von OB Dieter Reiter (SPD).
  • Schmid hatte die CSU in der Landeshauptstadt nach einem Vierteljahrhundert wieder zur Regierungspartei gemacht.
  • Der CSU-Politiker gilt als loyaler Partner - doch diese Eigenschaft könnte ihm zum Verhängnis werden.

Von Andreas Glas

Josef Schmid sitzt am Biertisch neben dem Ministerpräsidenten, Rücken an Rücken mit Horst Seehofer, und weil alle lachen, lacht er halt mit. Es ist der 25. Februar, es ist Anstich am Nockherberg und Schmid muss schon wieder zuschauen, wie ihm Dieter Reiter die Show stiehlt. Der Oberbürgermeister hat eine Hauptrolle bekommen, Reiters Darsteller steht das komplette Singspiel über auf der Bühne, eine Stunde und 15 Minuten. Und Schmid? Wird nicht einmal erwähnt. Nicht im Singspiel, nicht in der Fastenpredigt. Er sitzt Rücken an Rücken mit dem Ministerpräsidenten. Und sitzt doch im Abseits.

Schwarz-Rot im Rathaus
:Sticheln mit System

Seit acht Monaten regieren SPD und CSU in München gemeinsam. Einiges haben die einstigen Gegner bereits auf den Weg gebracht. Doch manchmal knirscht es gehörig - vielleicht sogar gewollt.

Von Dominik Hutter

Nun war das ja schon immer so auf dem Nockherberg: Der Zweite Bürgermeister steht im Schatten des Oberbürgermeisters. Es könnte Schmid also kalt lassen - wenn es für ihn nicht so gut losgegangen wäre. Damals, kurz nach der Kommunalwahl 2014, als die tz ihn "Seppi Allmächtig" nannte und den "mächtigsten Stellvertreter an der Stadtspitze seit Jahrzehnten". Als er der Spitzenkandidat war, der die CSU nach einem Vierteljahrhundert wieder zur Regierungspartei in der Landeshauptstadt gemacht hatte. Als sie im Rathaus schon vom Co-OB redeten, von einer Doppelspitze Reiter/Schmid.

Reiter handelt, Schmid schweigt

Ein Jahr ist seither vergangen. Inzwischen hat das Machttandem gehörig an Balance verloren. Als im Oktober die Bayernkaserne aus allen Nähten platzte, ließ Dieter Reiter die Flüchtlingsunterkunft schließen, erklärte die Zustände für "menschenunwürdig". Josef Schmid sagte: nichts. Als sich im November eine Gruppe Asylsuchender in Bäumen verschanzte, überredete Reiter die jungen Männer, ihren Hungerstreik zu beenden. Deren Protest müsse "ein Auftrag an die Politik sein, über das Asylrecht nachzudenken", sagte Reiter. Schmid sagte: nichts. Er schwieg und schrumpfte. Während Reiter enorm an Größe gewann.

Dieter Reiter als Krisenmanager
:Endgültig der Ober-Bürgermeister

Mit einem Wisch hat der Münchner Oberbürgermeister den Aufnahmestopp für Flüchtlinge in der Bayernkaserne verfügt. Damit hat er nicht nur die Staatsregierung zum Handeln gezwungen. Nebenbei hat Reiter auch deutlich gemacht, wer im Münchner Rathaus das Sagen hat.

Von Bernd Kastner

Zwei Wochen nach dem Nockherberg sitzt Josef Schmid beim Mittagessen in einem italienischen Lokal in der Altstadt. Er weiß, dass er nicht mehr die gleiche Aufmerksamkeit kriegt wie der OB. "Das wechselt eben hin und her", sagt Schmid, der lieber aufzählt, was die CSU-Fraktion in seinen Augen alles angeschoben hat seit der Wahl: die Sanierung der Münchner Kliniken, die Schulbauoffensive, die Wiederaufnahme des U-Bahn-Baus. Außerdem habe die CSU sich mit dem Volkstheater-Neubau im Viehhof gegen die SPD durchgesetzt. "Da merkt man, dass wir ein starker Partner sind", sagt Schmid.

Er wirkt etwas gehetzt an diesem Dienstagmittag. Er spricht hastig, er isst hastig. In einer Stunde muss er im Rathaus den Umweltausschuss leiten, er ist ja Zweiter Bürgermeister. Direkt danach fliegt er zur Immobilienmesse nach Cannes, er ist ja auch Wirtschaftsreferent. Er wollte das so, wollte beide Ämter, er hat sich die Doppelbelastung ausgesucht. Manche im Stadtrat sagen, er habe sich so viel Arbeit aufgeladen, dass ihm keine Zeit mehr bleibt, sich öffentlich in Szene zu setzen. Ob er überfordert sei? Überhaupt nicht, sagt Schmid. Und außerdem gehe es ihm nicht darum, "Wahlkampf zu betreiben, sondern München voranzubringen".

Schmid will die Stadt voranbringen

Vielleicht ist es ja wirklich so: Schmid will München voranbringen und nimmt dafür in Kauf, selbst ein bisschen auf der Strecke zu bleiben. Es ist das Bild, das er gerne von sich entwirft. Das Bild eines Politikers, den die Sache mehr interessiert als die eigene Karriere. Eigentlich ein schönes Bild, so wünscht man sich das ja. Wären da nicht die anderen, die ständig über seine Karrierepläne reden. Im Maximilianeum wird offen darüber spekuliert, dass Schmid sein Bürgermeisteramt vorzeitig aufgeben und in die Landespolitik wechseln könnte, womöglich in Seehofers Kabinett. Schmid bestreitet das. Er könnte dieses Gerücht ein für alle Mal aus der Welt schaffen und sagen, dass er bei der nächsten Wahl wieder als CSU-Spitzenkandidat in München antritt. Aber er will sich nicht festlegen. Was nach 2020 ist, darüber sagt Schmid mal wieder: nichts.

100 Tage Schwarz-Rot in München
:Nase-vorn-Spiel im Rathaus

Die CSU regiert mit, die Grünen sind jetzt politische Gegner: Dieter Reiter ist seit 100 Tagen Chef im Münchner Rathaus. Warum der neue OB der SPD aufpassen muss, nicht als Teil einer Doppelspitze wahrgenommen zu werden.

Von Dominik Hutter

Natürlich hat Schmid nicht nur geschwiegen in den vergangenen zwölf Monaten. Er hat sich dafür eingesetzt, dass Flüchtlinge eine Chance auf Ausbildung bekommen. Hat gesagt, dass Bagida ein "Spiel mit Ängsten" spiele und dass die Flüchtlinge eine "Bereicherung für Wirtschaft und Gesellschaft" seien. Er hat das nur nicht so laut gesagt. Hat dafür nicht die Bühne genutzt oder die Fernsehmikros wie Reiter. Weil er immer den Spagat machen muss zwischen seiner eher konservativen Fraktion, seinem eher liberalen Bündnispartner und dem eigenen Image, das irgendwo dazwischen liegt. Was Schmid von anderen abhebt, ist seine Loyalität - gegenüber seiner Partei und, ja, auch gegenüber dem OB. Während Reiter schon mal über Schmid lästert, verliert Schmid kein schlechtes Wort über Reiter. "CSU und SPD müssen München gemeinsam voranbringen", sagt Schmid immer wieder.

Wie schwer es ihm fällt, gegen seine Loyalität zu handeln, war am 28. Januar zu beobachten. Zerknirscht saß Schmid hinter Radio- und Fernsehmikros und musste erklären, warum er den Mann hatte fallen lassen, den er nur zwei Tage zuvor als seinen Wunschkandidaten für das Amt des Umwelt- und Gesundheitsreferenten vorgestellt hatte. Zuvor war bekannt geworden, dass Markus Hollemann Mitglied in einem Verein radikaler Abtreibungsgegner ist. Weil der Gesundheitsreferent für die Schwangerenberatung zuständig ist, sah Schmid keine andere Wahl, als Hollemann abzusägen, bevor er antreten konnte. Doch Schmid verurteilte ihn nicht. Er betonte, dass die Entscheidung für Hollemann "fachlich richtig" gewesen sei, dass er "überhaupt keinen Zweifel" an dessen Moral habe, dass der Rückzug nur nötig sei, weil "die Stadtgesellschaft sonst in Unruhe gekommen wäre". Er ging bis an die Grenze der Selbstbeschädigung, um seinen Kandidaten und seine Fraktion vor Problemen zu bewahren.

Gesundheitsreferent in München
:Hollemann zieht Kandidatur zurück

Markus Hollemann zieht seine Kandidatur als Gesundheitsreferent in München zurück. Er war zunächst der Wunschkandidat der CSU, doch dann sorgte seine Nähe zu radikalen Abtreibungsgegnern für Irritationen.

Dem Ansehen in seiner Fraktion hat die Hollemann-Affäre offenbar nicht geschadet. Im Gegenteil: Die Parteikollegen schätzen Schmid als harten Arbeiter, für seine Fachkenntnis und seine Diskretion. Sie wissen, was er für die Münchner CSU geleistet hat. Als Schmid vor neun Jahren Fraktionschef im Rathaus wurde, war die Partei ein zerstrittener Haufen, von Skandalen gebeutelt. Unter Fraktionschef Schmid gelang ein Neuanfang, unter dem OB-Kandidaten Schmid das Comeback als Rathaus-Regierungspartei.

Ein Konservativer, aber kein Gestriger

Weil Schmid kein Ideologe ist. Er ist ein Konservativer, aber kein Gestriger. Er hat Überzeugungen, aber führt keine Kreuzzüge. Er kämpft für seine Position, aber sucht den Kompromiss. Und er war nie einer dieser JU-Karrieristen mit pomadigem Haar, die sich nur Posten unter den Nagel reißen wollten und die Partei mit ihren Mauscheleien ziemlich in Verruf brachten. Wie damals, vor zwölf Jahren, als die frühere Münchner CSU-Chefin Monika Hohlmeier über die Perlacher Wahlfälschungsaffäre stürzte.

Zu Besuch bei Josef Schmid
:Ein Büro wie aus einer anderen Zeit

Gewöhnungsbedürftige Auslegware, ein alter Schreibtisch und eine Geheimtür: Der Zweite Bürgermeister Josef Schmid hat das angestaubte Büro von Hep Monatzeder übernommen. Nun muss er kreativ werden.

Von Dominik Hutter

Und ausgerechnet jetzt, da alles gut sein könnte, wird die CSU von der Vergangenheit eingeholt. Wieder häufen sich Übertritte von Mitgliedern in andere Ortsverbände, wieder gibt es organisierte Neueintritte. Wieder versuchen Drahtzieher aus dem Kreis der Jungen Union, Ortsverbände zu kippen, um Mandatsträger abzuservieren und eigene Karrieren zu fördern. Wieder ist Schmid als Krisenmanager gefragt. Er ist ja nicht nur Bürgermeister, nicht nur Referent, er ist auch Vize-Chef der Münchner CSU. Zu viele Aufgaben, um den Überblick zu behalten?

Loyalität könnte ihm zum Verhängnis werden

Schmid hat zugegeben, von den Machenschaften gewusst zu haben. Unternommen hat er offenbar nichts. Und auch jetzt, da die Vorfälle öffentlich sind, nimmt er seine Parteikollegen in Schutz, statt auf den Tisch zu hauen. Es handle sich "nicht um eine flächendeckende Erscheinung, sondern um Einzelvorgänge", sagt Schmid, als er am vergangenen Mittwoch aus Cannes anruft. Er klingt nicht so, aber er sagt, dass er "gar nicht besorgt" sei und die Vorgänge "völlig normal".

Intrigen bei der Münchner CSU
:Unangenehme Gerüchte

Alles ganz normal in der CSU? Was mit Tricksereien ehrgeiziger Jungpolitiker in München begann, beschäftigt die Partei inzwischen auf Landesebene. Spekuliert wird vor allem über die Pläne von Bürgermeister Josef Schmid.

Von Andreas Glas und Frank Müller

Völlig normal? Ein Jahr nach der Kommunalwahl könnte Schmid zum Verhängnis werden, was ihm bisher so geholfen hat: seine unerschütterliche Loyalität. Sie wird ihm diesmal nicht helfen, wenn er sich und seine Partei schützen will. Sein Parteichef Ludwig Spaenle poltert bereits, er hat Konsequenzen für die mauschelnden Mitglieder angekündigt. Verkünden wird er diese Konsequenzen vielleicht schon an diesem Mittwoch, im Rahmen einer Pressekonferenz im Spatenhaus an der Oper. Josef Schmid wird dann neben Spaenle sitzen. Man will Bilanz ziehen, der Titel der Pressekonferenz lautet: "Ein Jahr CSU in der Mitverantwortung für München". Wie die Bilanz ausfällt, dürfte auch davon abhängen, ob Josef Schmid die Tricksereien seiner jungen Parteifreunde endlich verurteilt. Oder ob er wieder schweigt. Und weiter schrumpft.

© SZ vom 18.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: