SZenario:Wenn das Jenseits Small-Talk-tauglich wird

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Gekommen, um ein Bekenntnis abzulegen: Ministerpräsident Markus Söder beim Jahresempfang der Erzdiözese München und Freising. (Foto: Robert Haas)

Beim hoch temperierten Jahresempfang der Erzdiözese München und Freising geht es im Park von Schloss Suresnes um offene Fragen aus Kirche und Welt. Die Missbrauchsdebatte ist kein Thema.

Von Andrea Schlaier

Gesegnet hat Markus Söder das vor ihm schwitzende Volk nicht. Wäre dann doch zu weit gegangen. Aber ein Amen aus dem Mund seiner Zuhörerinnen und Zuhörer hätte er als adäquate Reaktion auf seine gut elf Minuten währende Ansprache vermutlich akzeptiert. Im prächtigen Park zwischen Schloss Suresnes und Katholischer Akademie gibt Söder diesmal nicht den Ministerpräsidenten, sondern den Markus. Markus, den Seelsorger. "Ich bin heute gekommen, um ein Bekenntnis abzulegen. Das Bekenntnis zur Kirche und zum Glauben." Die konsequente pastorale Tonlage muss man sich rausnehmen wollen - umringt von so ziemlich allem, was zwischen München und Berchtesgaden an überkonfessioneller Geistlichkeit aufzubieten ist.

Aber an Chuzpe mangelt es dem bayerischen Ministerpräsidenten bekanntlich nicht. In der Rolle verschenkt Söder dann auch statt des im Protokoll vermerkten Grußwortes am Dienstagabend beim Jahresempfang der Erzdiözese München und Freising Botschaften ans Publikum aus Kirche, Gesellschaft und Politik, um die 600 Menschen. "Für mich gibt es Hoffnung, weil nach wie vor mehr Menschen in die Gottesdienste gehen als in Stadien oder auf Konzerte." Murmeln am Tisch der Caritas-Frauen: "Hat er sich da nicht verrechnet?" Ein kühler Windstoß fährt in die Blätter der monumentalen Eichen des Gartens wie der heilige Geist in verzagte Seelen.

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Die Lehre Jesu, befindet Söder, habe unglaublich viel zu bieten, "auch wenn wir im Moment vielleicht eine kleine Delle haben in der Akzeptanz". Es gebe "natürlich" Fehler, die zum massiven Mitgliederschwund in den Kirchen geführt hätten. Jammern sei aber keine Option. Stattdessen solle die Kirche mutiger und bekennender auftreten: "Wir in Bayern sind weiter dafür, dass das Kreuz auch im öffentlichen Raum sichtbar bleibt!" Im Freistaat glaube man an die wichtige Rolle der Kirche und lehne deshalb auch die Abschaffung der Staatsleistungen ab. Söder spielt damit auf die aktuell 77 Millionen Euro an, die im Staatshaushalt 2023 allein für die katholische Kirche vorgesehen sind. Mit einem Großteil davon werden Gehälter des kirchlichen Personals beglichen.

Gemeinsam handeln, geschlossen auftreten: Das will Imam Benjamin Idriz, hier im Juli mit seiner Frau beim Jahresempfang des Erzbistums München und Freising. (Foto: Robert Haas)

Ein Wedeln von Frauen-Fächern und Einladungskarten an den Tischen. Mittlerweile steht die Luft im Schwabinger Park. Wer sich von den Herren frei fühlt wie der Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Heinrich Bedford-Strohm, hat das Jacket längst überm Knie liegen. Ein echter "Hotspot der Erzdiözese", witzelt bei der Begrüßung Generalvikar Christoph Klingan im dunklen Anzug und verweist auf den Entfall des Defilees aus "Hitzegründen". Um sogleich die selbst gebaute Sprachbrücke zu betreten: "Ein heißes Pflaster haben wir zurzeit auch angesichts der vielen offenen Fragen von Kirche und Welt."

Ein bekanntes Gesicht beim "Hotspot der Erzdiözese": Der Kabarettist Bruno Jonas, der wegen der schweißtreibenden Temperaturen sein Sakko lässig über den Schultern trug. (Foto: Robert Haas)

Auf die Auseinandersetzung um die Missbrauchsfälle geht aber weder Klingan noch später sein Chef, Kardinal Reinhard Marx, ein. Der Kardinal schält sich heraus aus seiner prominenten Herren-Runde, an der ihm der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) eben noch zugeprostet hat, und zieht es vor, den Blick auf andere Dinge zu richten, die nicht in Ordnung sind - ohne ständig "die Tagespolitik kommentieren zu wollen". Die Kirche solle sich auf Orientierungslinien besinnen wie die "Kultur der Freiheit". Marx warnt vor "autoritären Fantasien", die nur einfache Antworten lieferten. Man müsse außerdem an der "Einzigartigkeit des Lebens und der Schöpfung" festhalten, ob Bekämpfung des Klimawandels oder Schutz des ungeborenen Lebens. Er habe Zuversicht für die Zukunft der Kirche und deren Bedeutung für die Gesellschaft, so lange "eine Gruppe da ist, die öffentlich Gottesdienst feiert" und deutlich macht, "es gibt eine Hoffnung, die unzerstörbar ist".

"Es gibt eine Hoffnung, die unzerstörbar ist." Kardinal Reinhard Marx neben Max Bertl (links) und Günter Frey vom Trachtenverband. (Foto: Robert Haas)

Bevor Lachs im Brickteig gereicht wird und die Monaco Big Band "The Modern-Man-Waltz" anstimmt, wird der zweite Gastgeber des Abends politisch konkret. Armin Schalk ist seit Herbst Vorsitzender des Diözesanrates, dem höchsten Laiengremium im Bistum. Er fordert, die christlichen Fragen des Lebensschutzes in die aktuelle Politik einzubeziehen etwa bei der von der Bundesregierung eingesetzten interdisziplinären Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin. In dem Gremium sitze kein Theologe. Die Katholiken müssten "in Politik und Gesellschaft Flagge zeigen", sich zu Wort melden, um wieder wahrnehmbar zu sein.

Die Kleider kleben als der Rede-Block durch ist. Das Jenseits mausert sich zum Small-Talk-Stoff. Autor und Kabarettist Bruno Jonas hat darüber mal eine Gebrauchsanweisung geschrieben, schwört an der Häppchentheke aber aufs Diesseits. Söder hat mit dem Thema bei seinem pastoralen Grußwort angefangen: "Nach meiner Vorstellung ist das wie beim Brandner Kaspar. Ich hoff', meine Eltern wiederzusehen und meine alten Hunde."

Sommerfest-Index

Ein Sommerfest gleicht dem andern? Von wegen. Spezialitäten in Kategorien:

Verpflegung: "Bei uns wird das mit Veggie nix", sagt Markus Söder zum Kardinal. Von wegen. Es gibt die bewährten Wald-und-Wiesen-Pilze (mit Semmelknödeln), alternativ Gnocchi mit Spinat. Für Söder und Marx: mediterranes Kalbsröllchen oder Lachs im Brickteig.

Programm: Pi mal Daumen redet jeder der vier Herren eine Viertelstunde. Anschließend tafeln und schwafeln die Gäste aus Kirche, Gesellschaft und Politik zum Sound der Monaco Big Band.

Wetter: Hoch temperiert auch unter Bäumen von biblischem Ausmaß.

Entdeckung: Der Gips ist weg. Kardinal Marx hatte sich auf einer Dienstreise den Arm gebrochen.

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