Italien ist in diesem Herbst Ehrengast der Frankfurter Buchmesse. "Verwurzelt in der Zukunft", lautet das Motto, mit dem die offizielle Delegation unter Leitung des von der postfaschistischen Meloni-Regierung berufenen Mauro Mazza anreisen wird. "La cultura è dialogo senza pregiudizi" ("Kultur ist Dialog ohne Vorurteile") postuliert der ehemalige TV-Journalist, den man aber schon öffentlich gegen Roma und Homosexuelle hat polemisieren hören. Die Messe könnte also interessant werden, was die Frage angeht, inwieweit sich Melonis strammer rechtsnationaler Kurs in der Kulturpolitik auch schon nach außen hin zeigt. Eine, die das alles aufmerksam verfolgt, ist Elisabetta Cavani, die in München nun schon im sechsten Jahr zum "ILFest" lädt. Das deutschlandweit einmalige Festival der italienischen Literatur findet heuer vom 26. bis 28. April statt, wieder im Neuhauser Trafo.
Auch Cavani, die aus Bologna stammt und 25 Jahre lang in München ihre Buchhandlung "Ital-Libri" führte, sucht für ihr Festival stets einen großen Gedanken, den man dann auch in den Büchern ihrer Gäste wiederfindet. In diesem Jahr ließ sie sich inspirieren von Domenico Starnone, der in seinem aktuellen Essayband "L' umanità è un tirocinio" (Enaudi, 2023) schreibt: "Zum Menschen wird man, Menschwerden ist ein andauernder Prozess ungewissen Ausgangs, und dazu trägt in nicht geringem Maße die Literatur bei." Das Wort umanità, sagt Cavani, habe im Italienischen zwei Bedeutungen: Menschsein und Menschwerdung, darum gehe es in Starnones Buch und nun auch beim Festival. Und um die Rolle, welche die Literatur in diesem Prozess spielt.
Der mit vielen renommierten Literaturpreisen ausgezeichnete Autor und scharfsinnige Diagnostiker nicht nur der italienischen Verhältnisse reist an zur Eröffnung am Freitag, 26. April (19 Uhr). Ein Fun Fact am Rande: Domenico Starnone selbst, vor allem aber seiner Frau, der Übersetzerin Anita Raja, wurde nachgesagt, die wahren Autoren hinter dem Pseudonym "Elena Ferrante" zu sein. Der mittlerweile 81-Jährige, der früher als Journalist für das linke Blatt Il Manifesto schrieb und aus Neapel stammt, findet das gewiss höchst amüsant. Kann man ihn ja danach fragen beim Eröffnungsabend.
Auch Vertreterinnen und Vertreter der jüngeren italienischen Literaturszene hat Elisabetta Cavani eingeladen. Eine dieser neuen Stimmen ist beispielsweise Jana Karšaiová. 1978 in Bratislava geboren, lebt sie mittlerweile in Italien. Mit ihrem Romanerstling "Divorzio di velluto" war sie 2022 gleich unter den zwölf Finalisten für den wichtigsten italienischen Literaturpreis Premio Strega. "Samtene Scheidung" liegt mittlerweile auch auf Deutsch vor (Nonsolo Verlag). Karšaiovás Protagonistin Katarína steckt in einer Phase von Umbrüchen, ihre Ehe zerbricht, ebenso das Land, in dem sie lebt, die kommunistische Tschechoslowakei (Lesung: Samstag, 27. April, 15 Uhr).
Was läuft in der Klassik?:Russische Runde im April
Der junge Moskauer Piano-Star Ivan Bessonov spielt im Prinze, im Nationaltheater dirigiert Joana Mallwitz Tschaikowski, in der Musikhochschule gibt es Strawinsky - und im November wird Teodor Currentzis in München eine Bühne bereitet.
Ein wahrer Sprachkünstler ist für Elisabetta Cavani Nicolò Moscatelli, Jahrgang 1985. Sein Abenteuerroman "I calcagnanti" erinnere daran, "wie wichtig Geschichtenerzählen und Bücher sind, damit wir lernen, uns der Arroganz der Macht zu widersetzen" (28. April, 14 Uhr). Der gleichen Generation gehört auch Maddalena Vaglio Tanet an, ihr Roman "Tornare dal bosco" kommt im Herbst auf Deutsch bei Suhrkamp heraus. Das Buch beginnt wie ein Krimi: Eine Lehrerin erfährt auf dem Weg zur Schule vom Selbstmord einer ihrer Schülerinnen. Daraufhin verschwindet sie im Wald. Ein kleiner Junge, Außenseiter wie sie, entdeckt ihr Geheimnis (28. April, 15.30 Uhr).
Profis in Sachen Suspense sind die Krimiautoren Carlo Lucarelli und Harald Gilbers, die im Gespräch erzählen werden, warum sie ihre eigenwilligen, widerständigen Kommissare ausgerechnet im Bologna beziehungsweise im Berlin der Vierzigerjahre ermitteln lassen (27. April, 19 Uhr). Um die Verbindung vom Gestern ins Heute wird es auch zum Abschluss am Sonntag (17 Uhr) gehen. Ein Podium nimmt drei große italienische Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts in den Blick und die Frage: Warum werden die Bücher von Alba e Cespedes, Sibilla Aleramo und Elsa Morante in den vergangenen Jahren in Italien wieder verlegt und in Deutschland neu übersetzt, und welchen Stellenwert haben sie für die heutige Schriftstellerinnengeneration?
Nahezu alle Lesungen und Gespräche beim Festival werden simultan übersetzt, und wie immer geben Übersetzerinnen und Übersetzer aus München bei einem Workshop Einblick in ihre Arbeit (28. April, 11 Uhr). Kind müsste man noch einmal sein, denn nie wieder wird man eine neue Sprache leichter lernen. Beim Festival gibt es am Samstagvormittag auch Vorlesestunden auf Italienisch für Kinder (Stadtbibliothek Neuhausen).
ILFest München, von Fr., 26., bis So., 28. April, Neuhauser Trafo/Stadtbibliothek, Nymphenburger Straße 171a, Infos über Lesungen und Karten unter www.ilfest.de