Regie-Legende Ingmar Bergman:"Dinge, Dinge, Dinge, die mich fast ersticken"

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Zeit seines kreativen Lebens führte der schwedische Regisseur Ingmar Bergman (hier 1958) Arbeitstagebücher, der Berenberg Verlag hat sie nun in einer Neuübersetzung herausgebracht. (Foto: picture-alliance/dpa)

Nach einem Steuerskandal in Schweden wird München Mitte der Siebzigerjahre zum Zufluchtsort für Ingmar Bergman. Absolute Befreiung gibt es aber auch dort nicht. Im Literaturhaus wird nun aus seinen Arbeitstagebüchern gelesen.

Von Fritz Göttler

München bot damals Zuflucht, im September 1976, in einer der dunkelsten Stunden im Leben Ingmar Bergmans, des großartigen, gefeierten Film- und Theaterregisseurs. Am 30. Januar war er während einer Probe zu Strindbergs "Totentanz" im Dramatenhaus in Stockholm von der Bühne geholt und ins Polizeipräsidium gebracht worden - eine bewusst schikanöse Aktion, es ging um eine Ermittlung wegen Steuerhinterziehung. Es war ein Skandal, der in der Presse groß ausgespielt wurde und den sensiblen, gequälten Bergman in einen Nervenzusammenbruch führte. Besonders fies agierte der Steuerfahnder Kent Karlsson: "Als ich ihn fragte, worauf er eigentlich hinauswolle, sagte er, er halte meinen Film Persona für eine ,Nullität', die beseitigt gehöre." Rettung kommt dann durch den Intendanten Kurt Meisel, der im September Bergman nach München holt, um am Residenztheater zu inszenieren.

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Von diesem Lebensabschnitt erzählt Bergman in seinen Arbeitstagebüchern, wo er in radikaler, manchmal fast masochistischer Offenheit seine körperlichen und seelischen Befindlichkeiten notiert, von seinen Projekten berichtet, erste Drehbuchideen skizziert, oder auch ganze Szenen und Dialoge: eine ganz eigene Mischung aus intimem Tagebuch und impulsivem Arbeitsjournal. Eine Auswahl ist nun auf deutsch beim Berenberg Verlag erschienen unter dem Titel "Ich schreibe Filme", ausgewählt und übertragen von Renate Bleibtreu. Sie wird den Band am Montag, 21. Februar, im Literaturhaus vorstellen, gemeinsam mit der Schauspielerin Rita Russek, die damals mit Bergman in München arbeitete, die Moderation hat Markus Aicher vom BR. Nach dem Gespräch gibt es den Film "Aus dem Leben der Marionetten", den Bergman in München drehte, mit Robert Atzorn, Gaby Dohm und Rita Russek.

Das Münchner Publikum reagiert reserviert

Auf den Schock der Abführung und den Zynismus des Steuerfahnders Karlsson reagiert Bergman verletzt und regressiv, fleht um Ruhe und Rückzug für den Künstler: "Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, wäre es dies: Lasst mich meine Schreiberei, meine Filme und meine Theatervorstellungen machen, so lange ich es noch kann, befreit mich aber von meinem Besitz. Kümmert euch um Haus, Wohnungen, Firma, Produktionen, fertige Produkte, Maschinen, Büros und Dinge, Dinge, Dinge, die mich fast ersticken." Absolute Befreiung gab es auch im Zufluchtsort München nicht, Publikum und Kritik waren eher zurückhaltend dem Regiestar gegenüber. In den Studios der Bavaria drehte er "Das Schlangenei" für den Produzenten Dino de Laurentiis. Mit dem Edgar-Wallace-und-Karl-May-Produzenten Horst Wendlandt war er im Gespräch über einen weiteren Film, "Liebe ohne Liebhaber", über den er viel schreibt in den Arbeitstagebüchern: Das Exil hat ihn radikal und aggressiv gemacht, der Film soll im kalten München spielen, ein grimmiges Bild der modernen degenerierten Gesellschaft, in der Prostitution und Narzissmus, Terrorismus und Nazismus dominieren: "Irgendwie spitzt sich aber alles zu und endet in einem Wahnsinnsblutbad ... Unter dem neuen, eleganten München liegen die Toten der Bombenangriffe." Es wurde nichts mit dem Film, aber viel davon ist in "Aus dem Leben der Marionetten" eingegangen. Und man spürt in diesem aufregenden Buch eine unglaubliche Zerrissenheit, die zwischen dem Klinischen und dem Komischen wechselt: "Mein geheimster Wunsch, reglos oder tot zu sein, ist schrecklich und muss mit allen Mitteln bekämpft werden."

"Ich schreibe Filme" - die Arbeitstagebücher von Ingmar Bergman, Literaturhaus, 21.Februar, 19 Uhr, ein Abend mit Renate Bleibtreu und Rita Russek, im Saal und via Stream, Karten unter www.literaturhaus-muenchen.de

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