Kritik:Vom Gipfel ins Tal

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Von der Bergromantik ist es nicht weit zum Werbekitsch: "Höhenrausch" am Gärtnerplatztheater. (Foto: Marie-Laure Briane)

Das Alpenballett "Höhenrausch" durchleuchtet des Menschen Verhältnis zu den Bergen - anfangs gelingt das auch.

Von Rita Argauer

Vom Heimatfilm zum Alpenthriller, von der Alpensymphonie zu DJ Ötzi - die Berge als Hintergrundkulisse haben doch einige Genrewandlungen durchlaufen. Jetzt gibt es mit der Uraufführung von "Höhenrausch" ein Alpenballett am Gärtnerplatztheater. Und das hat von allem etwas: Alpenkitsch und Bergromantik. Mythos und Party. Alpines Urvolk und sportive Städter. Georg Reischl hat zu diesem quasi hauseigenen Thema in Bruckners vierter Symphonie choreografiert. Und selten gibt es Werke, deren künstlerische Qualität in den einzelnen Teilen so divergiert wie dieser "Höhenrausch".

Zu Beginn verdeckt ein halbtransparenter Prospekt mit dem Wendelstein die Bühne; eine Idylle im Fünfzigerjahre-Postkartenstil - damals schon eine werbliche Verklärung. Dahinter die Tänzer in Plissee-Röcken mit Blumeneinsatz.

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Zum mächtigen Eröffnungsmotiv von Bruckner kommen kühle Port de Bras. Es tanzen nur die Hände, nur die Oberkörper. In verschiedenen Raumformationen wird die Kraft der Musik aufgegriffen, aber nie mit dem ganzen Körper ausgetanzt. Diese Beschränkungen setzen einen feinen Gegensatz zur Postkartenidylle. Indirekt stellt Reischl so die Vermarktung der Alpen mit Bruckners immer wieder alpenländische Themen aufgreifender, aber reine Kunstmusik bleibender Komposition in Frage. Die Körpersprache ist wie die Fragestellung absolut zeitgenössisch: ein Solo von David Valencia zwischen Vogueing und Erdung. Ein stummer Schrei. Ein Schunkeln zwischen Horror und Glückseligkeit. Grauen hinter Kitsch. Was für eine tolle Eröffnung!

Es folgt: Sportive Alpennutzung gegen alpine Urwesen. Eine riesige Erntekrone gibt es nun in Satz zwei. Davor: Zwei Paare in neonpinken Outfits mit großartigen Zweikämpfen, brutal mit der Kraft einer synchronen Gruppe. Rangeln in Funktionskleidung. Seltsam beäugt von einem Tänzer des ersten Satzes, der unter der Erntekrone ein Schuhplatteln andeutet. Der zeitgenössische Alpenalltag als ein mit High-Tech ausgestattetes Naturerleben.

Neongrüne Wuschelohren und altbackener Techno-Wechselschritt

Und dann geht es bergab. Satz drei trägt die unselige Bezeichnung "Hipster-Krampus". Und genau so ist es auch. In schwarzen fusseligen Fetzen-Kostümen mit neongrünen Wuschelohren werden altbackene Techno-Wechselschritte getanzt. Die Referenz ans Party-Machen funktioniert. Aber sehr plump. Bevor Satz vier als klassisches Modern-Stück für die Gruppe das Werk in grau-transparenten Hosen mit Bodennebel düster, aber dynamisch enden lässt und von einer ganz gegenwärtigen Sehnsucht nach den Bergen als etwas Rauem, etwas Undurchdringbarem, etwas Gewaltigem erzählt.

"Höhenrausch" ist eine getanzte Reflexion über den alpinen Kulturraum und seine Beziehung zum Menschen in großartigen, durchgehend unisex gehaltenen Kostümen von Min Li und mit einem Orchester, dessen Lust an Bruckners großer Symphonik unter der Leitung von Michael Brandstätter in einer massiven Spannung irrsinnig schön ist. "Höhenrausch" ist aber auch eine seltsame Geschmacksverirrung mit plumpen Kalauern. Und so weh dieser verunglückte dritte Satz in diesem Werk bei Zuschauen tat - irgendwie trifft das die Ambivalenz der menschlichen Beziehung zum Alpenraum zwischen Ursprungsromantik und Après-Ski dann doch ziemlich gut.

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