Prozess in München:Mutmaßliche Vergewaltiger bestreiten Vorwürfe

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  • Zwei Männer aus Afghanistan sollen in Höhenkirchen-Siegertsbrunn eine 16-Jährige vergewaltigt haben.
  • Einer der Angeklagten räumt einvernehmlichen sexuellen Kontakt und Beihilfe zur Vergewaltigung durch den anderen Angeklagten ein.
  • Dem Richter platzt schon bei der Feststellung der Personalien der Kragen, denn einer der Angeklagten weist verschiedene Geburtsdaten vor.

Aus dem Gericht von Stephan Handel, München

Stefan Kirchinger ist Vorsitzender der Jugendstrafkammer am Landgericht München I und sagt von sich selbst, er sei "ein eher gemütlicher Mensch", was für einen Richter, der täglich mit menschlichen Abgründen beschäftigt ist, sicher keine schlechte Eigenschaft ist. An der Selbsteinschätzung des Richters lässt sich also der Grad der Empörung abmessen, als Kirchinger etwa eine Stunde nach Beginn des Prozesses einen der Angeklagten anfährt: "Wollen Sie mich eigentlich verarschen?"

Bei dem Prozess geht es um eine Tat aus dem September 2017: Zwei Männer, die jetzigen Angeklagten, beide aus Afghanistan, sollen in Höhenkirchen-Siegertsbrunn eine 16-Jährige vergewaltigt haben, nachdem die drei zusammen mit anderen in der nahegelegenen Asylbewerberunterkunft Alkohol getrunken und wohl auch Haschisch geraucht hatten. Jeweils einer der beiden soll die junge Frau festgehalten haben, während der andere "für mehrere Minuten den Geschlechtsverkehr mit ihr durchführte", wie die Anklageschrift in dürren Worten formuliert. Das Ganze spielte sich mehr oder weniger auf offener Straße ab, ein Passant kam dem Mädchen zu Hilfe, wenig später nahm die Polizei die beiden mutmaßlichen Täter fest.

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Die Aussage des einen Angeklagten, Samma N., 18 Jahre alt, ist schnell vorüber: Sein Verteidiger verliest eine Erklärung, laut der N. kurz vor der Tat in der Nähe der Unterkunft im Freien einvernehmlichen sexuellen Kontakt mit der 16-Jährigen gehabt habe. Dann sei der andere Mann, Hamras O., dazu gekommen, wollte auch Sex, und weil sich die junge Frau weigerte, habe er, N., sie festgehalten, damit O. sie vergewaltigen konnte. "Es gibt dafür keine Rechtfertigung und keine Entschuldigung", lässt N. seinen Verteidiger vortragen. "Ich allein bin für mein Handeln und für mein Versagen verantwortlich."

Ob diese Aussage mit anderen Beweisen in Übereinstimmung zu bringen ist, muss der Prozess zeigen - jedenfalls hätte Samma N., sollte ihm nichts anderes bewiesen werden, mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Der angeblich einvernehmliche sexuelle Kontakt würde eventuelle DNA-Spuren erklären, er hätte demnach keine Vergewaltigung begangen, sondern nur eine Beihilfe, und ein strafmilderndes Geständnis hat er auch noch abgelegt.

Hamras O. verhält sich weniger geschickt - bis dem Richter der Kragen platzt. Das Malheur beginnt schon bei der Feststellung der Personalien: In der Anklage und wohl auch in allen Papieren seit O.s Einreise nach Deutschland vor drei Jahren steht als Geburtsdatum der 19. Mai 1990, O. wäre mithin 28 Jahre alt. Nun aber sagt er, er sei im Januar 1997 geboren - dann wäre er zum Zeitpunkt der Tat erst 20 Jahre alt gewesen und könnte eventuell eine Verurteilung nach dem Jugendstrafrecht erwarten. Richter Kirchinger aber hält ihm ein Gutachten vor, laut dem er sicher älter als 21 Jahre ist. Und wieso weiß er seinen Geburtstag nicht? "Das ist in Afghanistan nicht üblich." Die andere Angabe in den Asyl-Papieren? "Da hab ich dem Polizisten gesagt, er soll reinschreiben, was er will."

Es ist auf diese Art schon bald eine Stunde vergangen, bis die Personalien einigermaßen festgestellt sind - ein Vorgang, der normalerweise keine zwei Minuten dauert. Die Einlassung zur angeklagten Tat jedoch wird auch nicht stringenter. Wenigstens ist unstreitig, dass alle in der Unterkunft zusammensaßen und Alkohol tranken: drei Flaschen Jack Daniel's mit Red Bull, zu sechst. Oder doch zu siebt? Dann habe er, Hamras O., die Feier verlassen und sei zu einem Park gegangen, weil er nüchtern werden wollte. Dort aber sei er dann von der Polizei festgenommen worden. Mit dem Mädchen, dem mutmaßlichen Opfer, "habe ich noch nie Kontakt gehabt". Und überhaupt: "Ich habe mit der Sache nichts zu tun."

O.s Pech allerdings: Es gab noch einen dritten Angeklagten aus der Feierrunde, er hat die Vergewaltigung wohl gesehen, ohne selbst aktiv mitzumachen, aber auch ohne die Tat zu unterbinden. Jedenfalls hat dieser Beteiligte in seinem eigenen Prozess alles gestanden, wegen Beihilfe bekam er ein Jahr Jugendstrafe auf Bewährung. Hamras O. aber kann bis zum nächsten Verhandlungstag über einen weiteren Satz von Richter Kirchinger nachdenken: "Es wird nicht besser, wenn Sie uns hier eine Story erzählen, die hinten und vorne nicht stimmen kann."

© SZ vom 07.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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