Ausstellung in Augsburg:Welkende Schönheit

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Zu einem Spiel der Assoziationen laden Herlinde Koelbls "Metamorphosen" ein. (Foto: Herlinde Koelbl)

Die Fotografin Herlinde Koelbl zeigt in Augsburg ihren neuen Zyklus "Metamorphosen". Zum ersten Mal steht nicht der Mensch im Mittelpunkt, sondern die Natur - mit betörender Wirkung.

Von Sabine Reithmaier, Augsburg

Der schwarze, verrunzelte Apfel liegt wohl schon länger im Schnee. Schön ist er trotzdem, genauso wie das angetrocknete Blatt, dessen durchbrochene Struktur an Klöppelspitze erinnert, oder die welkenden Rosenknospen. Herlinde Koelbl hat sich zum ersten Mal in ihrem Fotografinnen-Dasein nicht auf Menschen, sondern auf Blumen, Blätter und Früchte konzentriert, hat die Natur in allen Farben und Formen festgehalten. Entstanden sind die "Metamorphosen", ein neuer Werkzyklus, den Koelbl erstmals in Augsburg präsentiert.

Nach all den Porträtserien, die die Fotografin berühmt gemacht haben, wirkt diese neue Orientierung wie ein markanter Einschnitt in ihrem Werk. Doch der Kern der Arbeit ist derselbe geblieben. Denn Koelbl, Jahrgang 1939, hält seit Jahrzehnten Veränderungsprozesse fest. Sie hat immer wieder dokumentiert, wie sich das Leben in die Gesichter der Menschen einschreibt, gerade bei jenen, die an der Spitze stehen. Zu erinnern wäre an ihr Langzeitprojekt "Spuren der Macht", für das sie zwischen 1991 und 1998 Politiker und andere Mächtige porträtierte. Eine davon, die spätere Bundeskanzlerin Angela Merkel, begleitete Koelbl bis ins Jahr 2021 und schuf mit dieser Serie ein einzigartiges Dokument.

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Auch in Augsburg geht es um Veränderung, doch dieses Mal beobachtet Koelbl Pflanzen. "Im Vergehen lässt die Natur eine neue Schönheit und eine veränderte Wahrnehmung entstehen ... Alles wandelt sich, wird spröde, erschlafft oder erstarrt, wechselt den Aggregatzustand", schreibt die Fotografin im Katalog, einem prächtigen Bildband. Seit 2015 fotografiert sie Pflanzen, die jüngsten Aufnahmen entstanden im Vorjahr während einer Arbeitsreise in Japan.

Blätter und Blüten werden zu abstrakten Gebilden. (Foto: Herlinde Koelbl)

Nun können Blumenbilder bei aller Schönheit schnell banal werden. Doch Koelbl entgeht der Gefahr schon dadurch, dass sie kein einziges Mal eine Pflanze im Ganzen abbildet. Ihre extremen Nahaufnahmen verfremden und abstrahieren Blätter, Blüten, Früchte. Dadurch bleibt viel Raum für Assoziationen, erotische eingeschlossen. Doch nicht nur die Motive sind ungewöhnlich, sondern auch die unterschiedlichen Formate und die wilde Hängung, auch sie letztlich ein Abbild der vielfältigen Natur.

Betörend in ihrer Wirkung sind die ganz großen, fast raumhohen Aufnahmen, mit Magneten einfach an die Wand gepinnt. Doch es gibt auch kleine und mittlere Bildgrößen, die einen genaueren Blick verlangen. Ungerahmte hängen neben gerahmten Abzügen, manche davon klassisch mit Passepartouts. Andere flattern in schmalen Bahnen von der Decke. Eine Wand in dichter Petersburger Hängung, von Koelbl als "Studiowand" bezeichnet, sei einer Wand in ihrem Atelier nachempfunden, sagt Thomas Elsen, der Leiter des H2. "Für uns ist es auf jeden Fall super, dass wir hier die Premiere haben", freut er sich. Nach Augsburg wandert die Schau ins Bayerische Nationalmuseum nach München (22.6. bis 8.10.) und anschließend nach Leipzig.

Die Werke sind Abbild der vielfältigen Natur. (Foto: Herlinde Koelbl)

Eigentlich hatte Elsen die Ausstellung für die Neue Galerie im Höhmannhaus geplant. Doch es zeichnete sich bald ab, dass Koelbl mehr Platz brauchte. Die lichte Halle des Glaspalasts eignet sich ideal für die 120 Aufnahmen. Es bleibt dem Besucher überlassen, welchen Weg er durch die Halle wählt, überall ergeben sich famose Blickachsen. Irgendwann landet er in den abgetrennten Kabinetten, lauscht beispielsweise Koelbls bildloser Klangarbeit "Remember". Am Eingang der Audiostation findet sich übrigens auch das einzige Menschenbild, ein Neugeborenes.

In einem anderen Kabinett ziehen die Pflanzenaufnahmen, nahtlos aneinander gefügt, in einem unaufhörlichen Fluss am Betrachter vorbei, erzählen von ständiger Veränderung, von Werden und Vergehen, vom ewigen Kreislauf. Im Nachbarraum wirft ein Diaprojektor ratternd Aufnahmen von Grabsteinen an die Wand, verwittert, überwuchert, glänzend poliert. Die Inschriften offenbaren nur Vornamen und Lebensdaten der Toten. Ist schnell vorbei, so ein Leben. Und die Zukunft liegt, schreibt jedenfalls Koelbl, im Wiederwerden.

Herlinde Koelbl: Metamorphosen. Werden - Vergehen - Entstehen. Bis 23. April. H2 - Zentrum für Gegenwartskunst im Glaspalast Augsburg

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