Hellabrunn:So sieht es nach der langen Pandemie-Zeit im Tierpark aus

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Nicht nur Besucher beäugen die Tiere in Hellabrunn, hier in der neuen Löwenanlage, auch die Pfleger schauen gründlich hin: Ist irgendetwas ungewöhnlich? (Foto: Robert Haas)

Neue Tiere sind eingezogen, Anlagen modernisiert und die Touristen zurück: Der Zoo wirkt, als hätte er sich von der Pandemie erholt. Zwar bleibt Hellabrunn eine Baustelle - aber auch daran haben sich Bewohner und Besucher inzwischen gewöhnt.

Von Philipp Crone

Der flamingobeingroße Junge kann sich nicht entscheiden. Soll er jetzt hinüber zu den rosa gefiederten Vögeln schauen, die in ihrem neuen, übernetzten Gehege vor sich hinstehen und lauthals herumschnabeln? Oder doch zu dem Mann mit dem grollenden Akkuschrauber, der vor ihm gerade noch eine Holzleiste für die Aussichtsplattform festschraubt? Die Technik siegt, der Handwerker beugt sich zu dem blonden Jungen und sagt: "Scho interessanter als die Flamingos, gell?" Interessant ist aber derzeit im Tierpark ohnehin sehr viel. Zum Beispiel die Tiere, die entweder neu eingezogen oder neu umgezogen sind. Oder die vielen Baustellen, die gerade fertig werden oder gerade fertig wurden. Oder die Besucherzahlen nach Corona und den gestiegenen Ticketpreisen. Und über allem schwebt die Frage, wer sich im Tierpark Hellabrunn im vermeintlichen Nach-Pandemie-Zeitalter eigentlich gerade woran wieder gewöhnt oder schon gewöhnt hat.

Viele Besucher, neue Tiere, neue Anlagen: Der Tierpark und seine Akteure wirken, als hätten sie sich von der Pandemie ganz erholt. Aber ist das wirklich so? Der Zoo-Chef sagt dazu "Jein", der Zoologische Leiter sagt "Ja", aber die neuen Wölfe würden das sicher verneinen. Denn die warten seit Wochen in einem Ausweichquartier auf ihren Auftritt in neuer Stadt und neuem Gehege.

Zoo-Kurator Carsten Zehrer - hier vor dem Gehege des Darwin-Nandu - geht bei der Eingewöhnung neuer Tiere bewusst vorsichtig vor. (Foto: Florian Peljak)

Die einfacheren Protagonisten in Sachen Gewöhnung sind sicher die Tiere. Da habe es zuletzt verhältnismäßig sehr viele Veränderungen gegeben, sagt Carsten Zehrer, der Zoologische Leiter. Neue Erdmännchen kamen in eine runderneuerte und noch einmal besser einsturzgesicherte Erdmännchen-Anlage, nachdem die vier Vor-Bewohner im vergangenen Oktober tragisch verschüttet wurden und gestorben waren. Allerdings ist die Eingewöhnung nicht mit der eines durchschnittlichen Münchner Helikopterkinds in die Kita vergleichbar. "Bis auf zwei Tiere ist die Eingewöhnung eigentlich bei allen Arten total problemlos", sagt Zehrer. Nur Affen und Elefanten brauchen intensive Betreuung, Erdmännchen nicht. Was man ihnen irgendwie auch ansieht.

Alles schläft, einer wacht: Die Erdmännchen haben ihre neue Heimat bereits akzeptiert. (Foto: Tierpark Hellabrunn/dpa)

Zwei liegen am Mittwochnachmittag fast schon ballermann-mäßig auf dem Rücken in der Sonne, während der Wachbeauftragte stangerlgerade den Ausguckplatz besetzt und alles im Blick hat. Er sieht: bei den Giraffen nichts Neues, bei den Besuchern auch nicht, die Mischung ist prä-coronal vertraut: Kinderwagen-Schieber und vor allem -innen, junge Date-Pärchen, ältere Spazier-Pärchen, dazu sind wieder viele Sprachen zu hören, etwa Italienisch bei den Erdmännchen respektive eben den suricati. Die Touristen sind zurück, was den Tierpark-Chef beruhigen müsste.

Rasem Baban (rechts) - hier mit der Aufsichtsratsvorsitzenden Verena Dietl - freut sich über die nach Hellabrunn zurückgekehrten Besucher. (Foto: Robert Haas)

Rasem Baban ist aber nicht nur wegen der vielsprachigen Besucher guter Dinge, da kämen gerade aus ganz Europa wieder viele, "aber auch aus dem arabischen Lebensraum" - wie man eben so formuliert, wenn man hauptberuflich mit Tieren zu tun hat. "Seit dem 3. April ist die Welt wieder in Ordnung", sagt der Tierpark-Direktor. Da wurden alle Corona-Beschränkungen aufgehoben, "und seitdem entwickeln sich die Besucherzahlen sehr gut". Man sei zwar noch nicht auf dem Niveau wie vor der Pandemie, aber auf dem Weg dorthin. "Ich habe das Gefühl, dass gerade jetzt auch viele kommen, um an einem Ort zu sein, an dem man die aktuelle Weltlage ausblenden kann." Manches hat sich verändert im Zoo durch die Pandemie-Zeit. Früher habe es stärkere Peaks gegeben, in Ferien und an sonnigen Wochenenden, sagt Baban, mittlerweile kämen kontinuierlich viele Besucher. "Und es wirkt auf mich, als gingen sie ein bisschen rücksichtsvoller miteinander um." Nicht, dass der Zoo-Besucher und die Zoo-Besucherin normalerweise rücksichtslos wären, aber es gebe nun fast gar keine Streitigkeiten mehr. Auch sonst läuft es.

Die Erdmännchen sind voll integriert. Und auch die Löwen haben mittlerweile ihre ganze 2400-Quadratmeter-Anlage, die auf dem freien Wohnmarkt für so viel Geld weggehen würde, dass man den Hellabrunner Masterplan bis 2023 statt wie geplant bis 2028 umsetzen könnte, ganz in Besitz genommen. Löwen liegen laut Zehrer bei der Gewöhnung irgendwo zwischen Affe und Erdmännchen. Die Zoo-Leitung hatte sich beim Umzug neulich entschieden, ausnahmsweise beide Tiere zu narkotisieren, um auch mal einen umfangreichen Medizincheck vornehmen zu können - zum Beispiel mit Ultraschall. Dabei kamen normale Katzenkrankheiten zum Vorschein, eine Nieren- und eine Herz-Insuffizienz. "Ganz normal in diesem Alter und gut, dass wir das nun wissen", sagt Zehrer, der wie jeder Zoo-Mitarbeiter die Kritiker-Themen kennt und schon pro-aktiv drumherum argumentiert. Tiere in Narkose sind ein beliebtes Thema der Gehege-Gegner, da erwähnt man als Tierpark gerne, dass dabei Krankheiten erkannt und in der Folge medikamentös behandelt werden können.

Hügel und Höhlen im afrikanischen Savannen-Stil: Seit Mai 2022 hat der Münchner Tierpark eine neue Löwenanlage. (Foto: Robert Haas)

Nach dem bestandenen Medizincheck sind die Löwen in Transportkisten hinüber gefahren worden zu ihrer neuen Adresse, wo sie erst einmal nur das Innengehege erkundet haben. "Der Grundsatz ist bei jeder Eingewöhnung: Das Tier bestimmt das Tempo." Hat der Löwe sich alles in Ruhe angesehen und ist bereit für mehr, was im Fall von Max und Benny eine Woche gedauert hat, dann merken das die Pfleger auch daran, dass die Tiere häufig herausschauen. Also wird die Tür nach draußen geöffnet. Und auch dort erweitern die Löwen ihren Radius nach und nach. So machen das auch die Affen, die aber deutlich schwieriger umzusiedeln sind als Löwen, Erdmännchen oder gar Schwarzspitzenriffhaie. Bei Primaten und Elefanten sind dann die gewohnten Pfleger zunächst mit am neuen Ort, wie in einer Kita.

"Es gab einen Fall vor Jahren, als ein Orang-Utan aus Leipzig in einen anderen Zoo kam, der vertraute Pfleger aber zu spät nachkam", sagt Zehrer. "Bis der Mann da war, hat der Affe nichts gegessen." Das ist die absolute Ausnahme, Eingewöhnungen in und aus Hellabrunn haben bislang immer funktioniert. So gut, dass die Tiere ihre Gehege gar nicht verlassen, obwohl sie es könnten. Löwen, Affen und Elefanten können das natürlich nicht, Kängurus schon. "Wir haben einige offene Anlagen", sagt Zehrer, "und ein Känguru, das bis zu acht Meter weit springen kann, käme problemlos über den eineinhalb Meter breiten Wassergraben samt Bepflanzung, will es aber nicht". Die Tiere wollen nicht weg?

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Die Besucher haben die Preiserhöhungen positiv aufgenommen

"Sie sehen die Anlage als ihre Heimat und vor allem als sicher an." Es gibt Futter, Wasser, Sozialpartner und eine Einrichtung. "Das Umherziehen ist ja grundsätzlich so eine Sache", sagt Zehrer. Zebras und Gnus wollten ja nicht "just for fun in Afrika durch krokodildurchtränkte Flüsse oder an Löwenrudeln vorbei" spazieren, sondern müssten dem Futter nachziehen, in dem Fall dem Gras. Ein Vergleich, der ein statisches Zoo-Gehege gleich in ein anderes Licht rückt. Ein Zoo-Profi wie Zehrer bringt natürlich auch die Gehege-Thematik so beiläufig in einem Gespräch unter wie der Tierpark eine seiner Preiserhöhungen. Preiserhöhungen?

Dass etwa der Eintritt für Erwachsene von 15 auf 18 Euro gestiegen ist, habe "überhaupt nicht zu Schwierigkeiten geführt". Vielmehr habe der Zoo "ausschließlich positive Rückmeldungen" bekommen, dass die Anpassung "absolut nachvollziehbar" gewesen sei. Freude über eine Preiserhöhung? Ein Zoo-Direktor ist üblicherweise ähnlich geschickt darin, Unangenehmes positiv zu verkaufen wie sein Zoologischer Leiter die Gehege-Thematik als gute Sache erklären kann.

Kängurus springen auch schon mal raus aus ihrem Gehege

Kängurus, so viel Zeit muss sein, springen allerdings in seltenen Fällen auch in München schon mal raus aus dem Gehege. "Aber nur, wenn wir nicht aufpassen." Damit meint Zehrer, dass junge Männchen im Paarungsalter schon mal aus der Umgebung von Papa und seinen Weibchen ausbrechen wollen, und der Tierpark so etwas normalerweise rechtzeitig vor einem eventuellen Ausbüxen erkennen sollte und die Tiere dann eben abgibt.

Zwar habe sich durch die allgemeine Lage die Eröffnung der neuen Wolfsanlage um "etliche Wochen" verzögert, sodass die neuen Tiere inzwischen schon länger im Hintergrund warten. Nun wird die Dschungelwelt saniert, die 2024 fertig werden und einige neue Tierarten beheimaten soll. Zudem braucht das Urwaldhaus nach einem Hagelschaden ein neues Foliendach, und die Pinguine in der Polarwelt benötigen eine neue Haustechnik und werden deshalb im Herbst wohl für einige Monate nicht zu sehen sein.

Wenn es stark geregnet hat, schütteln Flamingos ihre Federn aus. (Foto: Florian Peljak)

Die Kinder wie der Junge bei den Flamingos müssen sich also auf absehbare Zeit weiter zwischen Baustellen und Bergzebras, Kränen und Krokodilen oder Radladern und Robben entscheiden. Aber auch da ist es so: Sie sind längst daran gewöhnt.

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