Kolumne Zwischen Welten:Bitte schaut das an

Lesezeit: 2 min

Unsere Kolumistin hat das Stück "Green Corridors" einer ukrainischen Autorin in den Kammerspielen gesehen - und empfiehlt es wärmstens.

Von Emiliia Dieniezhna

Am Wochenende hatte ich die Möglichkeit, das Ukraine-Stück "Green Corridors" oder "Grüne Korridore" an den Münchner Kammerspielen anzuschauen. Auf keinen Fall war das ein Vergnügen - weil das Thema zu schmerzhaft ist, es geht um die Ukraine und ihre Tragödie. Es ist aber sehr berührend und bis jetzt ist es die beste künstlerische Verkörperung der Kriegsgeschichte, die ich gesehen habe. Das Stück ist von einer Ukrainerin geschrieben und transportiert deren eigene Kriegserfahrung und die Erfahrung der ganzen ukrainischen Volkes mit einer eigenartigen Innigkeit. Meine wichtigste Botschaft gleich vorab: Wenn ihr könnt, bitte geht und schaut das an, dann könnt ihr meine Gefühle und die Gefühle meiner Landsleute besser verstehen.

"Green Corridors" wurde von der Dramatikerin Natalia Vorozhbyt geschrieben und von Jan-Christoph Gockel inszeniert. Zu meiner Überraschung hat meine Bekannte Oksana Lemischka die dramaturgische Beratung gemacht. Oksana ist eine Ex-Kollegin, wir haben an der Kiewer Universität zusammengearbeitet.

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Natalia Vorozhbyt, die 1975 in Kiew geboren wurde, ist eine berühmte ukrainische Dichterin. Sie hat "Green Corridors" im Dialog und in Kooperation mit den Münchner Kammerspielen und mit dem Kiewer Theater in Podil geschrieben. Ihre eigene Erfahrung war ihr sehr wichtig beim Schreiben, das Stück spiegelt auch ihre Erfahrung der Flucht nach Westeuropa. Zu ihren Erfahrungen gehören: Koffer, Autos, Katzen, Adaptation (also die Anpassung des Menschen an die soziale Umwelt) und ungefragte Eurointegration. Das sind auch meine persönlichen Erfahrungen, mit Ausnahme der Eurointegration, die habe ich immer stark unterstützt. Deswegen ist mir dieses Stück sehr nah.

Als "grüne Korridore" wurden seit Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine zivile Fluchtkorridore für Menschen bezeichnet, um umkämpfte Gebiete zu verlassen. Das Stück erzählt die Geschichte von vier geflüchteten Frauen, einer Nageldesignerin aus Butscha, einer Hausfrau mit drei Kindern aus Charkiw, einer Katzenfreundin mit sowjetischer Mentalität aus Tschernihi und einer Schauspielerin aus Kiew. Alle Frauen sind wegen des Krieges auf ihren Weg nach Europa.

Alle Frauen außer der Schauspielerin haben etwas Schreckliches erlebt, entweder Zerstörung oder Vergewaltigung und Tod. Besonders stark ist mir die Geschichte der Frau aus Butscha nachgegangen, die während der Besatzung mehrmals von russischen Soldaten vergewaltigt und geschändet wurde. Diese Geschichte spiegelt den Schmerz meines Volkes, weil Butscha eine offene Wunde für uns Ukrainer ist.

Alle Frauen sind traumatisiert, und für viele von ihnen ist es es schwer, sich in Deutschland zurechtzufinden. Sie können nicht akzeptieren, dass es Putin-Versteher und Russland-Versteher gibt. Diese Frauen und ihre Gefühle sind oft unverständlich für einen durchschnittlichen Deutschen - aber "Green Corridors" hilft, sie zu verstehen. In diesen Frauen sehe ich mich selbst, meine ukrainischen Bekannten und Freunde und viele andere Geflüchtete.

Das Stück ist fabelhaft, die Inszenierung auch. Bitte geht und schaut es an, das würde unsere Völker einander näher bringen.

Emiliia Dieniezhna, 35, flüchtete mit ihrer damals vierjährigen Tochter Ewa aus Kiew nach Pullach bei München. Sie arbeitet ehrenamtlich für die Nicht-Regierungs-Organisation NAKO, deren Ziel es ist, Korruption in der Ukraine zu bekämpfen. Außerdem unterrichtet sie ukrainische Flüchtlingskinder in Deutsch. Für die SZ schreibt sie einmal wöchentlich eine Kolumne über ihren Blick von München aus auf die Ereignisse in ihrer Heimat.

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