"Xата - Zuhause", so heißt ein Theaterprojekt in den Münchner Kammerspielen, das ich vergangene Woche gesehen habe. Das war als "eine musikalisch-tänzerische Gratwanderung", mit Ukrainerinnen und Ukrainern sowie Russinnen und Russen aus München, angekündigt. Die Regisseurin Kamilė Gudmonaitė ist in Litauen geboren, ihr Land hat russische Herrschaft und sowjetische Besatzung erlebt, und ihre Generation hat versucht, sich von Russland zu distanzieren. Nach dem Beginn des russischen Angriffs wurde der Boykott der russischen Kultur zum zentralen Thema in Litauen. Trotzdem hat die Regisseurin sich entschieden, für "Хата - Zuhause" sowohl ukrainische als auch russische Menschen aus München einzuladen, über ihre Erfahrungen zu reden.
Die Entscheidung, die Vorstellung zu besuchen, war für mich nicht einfach. Sicher: Die Mitwirkenden auf der Bühne waren nicht zusammen, um traumatisierte Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine zu schützen. Aber ich hatte befürchtet, dass es in dem Teil mit den russischen Teilnehmern viele russische Narrative geben könnte, und ich wollte vermeiden, solche Narrative zu hören. Trotzdem habe ich mich dann für den Besuch entschieden. Erstens wollte ich die Position der Russinnen und Russen Münchens hören, möglicherweise auch etwas Neues von ihnen hören. Und zweitens hat mich der Blickwinkel der Regisseurin interesssiert.
Das Theaterprojekt ist ganz eigen, man kann die Geschichte unterschiedlich interpretieren. Wie ich das verstanden habe, ist der Brennpunkt das ukrainische Хата, oder Zuhause. Das Хата wurde durch den russischen Krieg geschändet und ruiniert, und die Ukrainer versuchen, es wieder aufzubauen. Als Symbol des Krieges dient der Baum auf der Bühne. Der schöne große Baum wurde von den Ukrainern gepflanzt und von den Russen gestohlen, wie mein altes Leben.
Die musikalisch-tänzerische Performance wurde von Interviews mit Ukrainern und Russinnen begleitet. Man konnte die Gedanken sowohl von Zivilisten hören als auch von Menschen, die die Ukraine verteidigen.
Die Regie und die dramatische Dichte waren wunderbar. Alles war so realistisch, dass ich wirklich das Gefühl hatte, als ob ich die Flucht wieder erlebe. Besonders realitätsnah war eine Szene, wo Menschen aus der Ukraine während der Flucht die Füße und Hände am Feuer wärmen. Ich erinnerte mich, dass ich und meine Familie genau so etwas erlebt haben, an der Grenze zu Polen. Es war extrem kalt, wir waren alle vor Kälte erstarrt. Danach war ich sehr krank, aber darüber machte ich mir damals keine Sorgen.
Es ist wirklich gut, dass europäische Regisseurinnen, Regisseure und Künstler das Thema des tödlichen Krieges in der Kunst aufgreifen. In einer Zeit, in der immer neue Tragödien passieren, wie jetzt der Krieg in Nahost zum Beispiel, sinkt natürlich das Interesse an der Ukraine. Aber der Krieg dauert an, die Menschen sterben, und im Winter erwartet man noch stärkere Angriffe der russischen Armee. Es ist sehr wichtig, dass die Welt das nicht vergisst und weiter an der richtigen Seite bleibt.
Emiliia Dieniezhna, 35, flüchtete mit ihrer damals vierjährigen Tochter Ewa aus Kiew nach Pullach bei München. Sie arbeitet ehrenamtlich für die Nicht-Regierungs-Organisation NAKO, deren Ziel es ist, Korruption in der Ukraine zu bekämpfen. Außerdem unterrichtet sie ukrainische Flüchtlingskinder in Deutsch. Für die SZ schreibt sie einmal wöchentlich eine Kolumne über ihren Blick von München aus auf die Ereignisse in ihrer Heimat.