Grünwalder Stadion:Hundert Liter Bier an Kiosk vier

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Ein paar Helle, ein paar Glühwein und Brezen - am Anfang des Spiels und in der Pause haben Marina Kauker (Mitte) und ihr Team besonders viel zu tun. Trotzdem bleibt manchmal Zeit für einen netten Plausch. (Foto: Claus Schunk)

Im Grünwalder Stadion bedient Marina Kauker Löwen-Fans und Gäste. Als Sechzgerin fiebert sie mit ihrer Mannschaft mit. Über eine, die Spiele meist nur aus zweiter Reihe erlebt.

Von Jennifer Sandmeyer

Ungefähr in Spielminute zwölf gibt es kein Halten mehr. Ekstatischer Jubel. "Sechzig"-Rufe. Es lässt sich freilich erahnen, was sich zugetragen hat, gesehen hat es aber keiner. Hier, in Kiosk vier, in der Ostkurve des Grünwalder Stadions. 1:0 für den TSV 1860 München. Die SG Sonnenhof Großaspach liegt hinten. Dass Tim Rieder für die Löwen eingenetzt hat, erfahren die Kioskmitarbeiter nur von einem Fan. Einen Stadionsprecher gibt es zwar, was er verkündet, geht aber in der gewaltigen Geräuschkulisse aus Trommeln, Fangesängen - und nicht zu vergessen den Bestellungen - unter.

Minute 52. Wieder johlen knapp 15 000 TSV-1860-Anhänger. Ist das das 2:0? Fast wird dieses Heimspiel der Löwen zu einem Rate-Erlebnis: Tiefes Raunen - ein Foul? Eine verpasste Chance? Jubel - ein Tor? Elfmeter? Mittendrin und doch so fern vom Geschehen auf dem Fußballfeld ist Marina Kauker, zusammen mit vier anderen Mitarbeitern der Stiftl Gastro GmbH.

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"Vier Bier auf meinen Nacken", bestellt vor Spielbeginn ein junger Mann in Kiosk vier für sich und seine Freunde. Sie können den Anpfiff kaum erwarten. Etwas schräg, aber voller Inbrunst singt der schon etwas angeheiterte Mann mit dem Fan-Schal: "1860 - für immer mein Verein" und "You'll never walk alone." Aus dem Zapfhahn fließt unterdessen die goldene Flüssigkeit in einen Trinkbecher. Die Schaumkrone kann sich sehen lassen. Der Fan nimmt einen Becher nach dem anderen entgegen und verabschiedet sich - mit Kusshand.

"Den ein oder anderen Betrunkenen vor dem Spiel, den gibt's immer", sagt Marina Kauker und grinst. Sie arbeitet an diesem Tag an einer der beiden Kassen. Eigentlich ist sie Mediaplanerin in einem Werbeunternehmen. Für die 30-Jährige aber kein Grund, nicht auch am Wochenende ab und an im Kiosk zu arbeiten. Vor allem, wenn der TSV 1860 spielt. "Ich bin Fan vom Verein, kriege die Stimmung mit und treffe Leute, die ich kenne. Das ist eine coole Mischung." Die Schichten wechseln stetig. Am liebsten arbeitet sie im Kiosk an der Fankurve. Obwohl in dem Bereich mehr als 8000 Fans bewirtet werden wollen. Zum Durchschnaufen bleibt da kaum Zeit. Bei diesem Spiel ist sie in der Ostkurve im Einsatz - hier feiern rund 1500 Fans. "Da geht es etwas ruhiger zu", sagt sie und schmunzelt.

Die Sonne scheint. Es ist zwar mild, aber ein leichter Wind lässt einen doch etwas frösteln. Kauker trägt eine schwarze Strickmütze mit weißen Schneeflocken und eine Jacke. Die Kollegen ihrer Schicht sind zwei Männer, die Bier, Limo, Spezi und Wasser zapfen, eine weitere Kassiererin und ein junger Mann, der Glühwein, Punsch und Semmeln zureicht. Die Kommunikation zwischen den Mitarbeitern muss sitzen. Damit alles reibungslos läuft. "Servus, grüßt euch, zwoa Bier und oan Glühwein bitte", bestellt ein Mann.

Kauker wiederholt die Bestellung noch einmal etwas lauter. Und löst damit eine nahezu mechanische Kettenreaktion aus. Die Getränkebeauftragten machen sich sofort ans Werk. Die Männer zapfen Bier, der Junge holt aus einem großen Topf das heiße rote Getränk. Es dampft im Becher. Er gibt ihn nach vorne zu Kauker - der Kiosk ist klein, da reicht es, die Arme etwas auszustrecken. Vorsichtig nimmt sie Glühwein und das Bier entgegen und reicht es über die Theke. Sie tippt den Betrag in die Kasse ein, nimmt Bargeld entgegen, die Kasse klingelt, sie schiebt die Geldschublade auf und zu, wirft Trinkgeld in einen Getränkebecher. Weiter geht es.

Einen nach dem anderen kassiert sie ab: den Fan, auf dessen Jeansjacke unzählige Embleme wie "Münchens große Liebe" oder "Einmal Löwe, immer Löwe" genäht sind, den Mann mit grauem Filzhut, die Betrunkenen, die lallend Fanlieder singen, einen, der von seinem Urlaub erzählt, einen Englischsprachigen mit amerikanischem Akzent, der redlich bemüht ist, die beiden Worte "München Hell" auszusprechen.

Die Begegnungen, obgleich nur sehr kurz, erfreuen die Mediaplanerin. "Es ist so angenehm, in direktem Kontakt mit den Kunden zu sein", findet sie. Nebenbei zieht sie ihre Jacke aus und verstaut sie in einem Regal. Ihr ist warm geworden. Ein, zwei Sätze, einen lockeren Spruch tauscht sie gerne mit den Fans aus. "Entspannt" und meist "verständnisvoll" seien sie, so Kauker. Auch wenn es doch mal etwas länger dauert, weil die Kasse streikt oder die Schankanlage kurzzeitig ausfällt.

Zur Halbzeit jedoch, das wissen die Kioskmitarbeiter, wird wieder mehr los sein. "Wir sind vorbereitet, wenn Stoßzeiten sind." Da werden schnell noch Krainer und Leberkäse in Semmeln gepackt, Spezi, Bier, und Limo gezapft. "Wir müssen schauen, dass alles da ist, aber das Bier darf nicht lange stehen", erzählt Kauker. Zwischenzeitlich haben Wolken die Sonne verdrängt. Kühl ist es geworden. Eine heiße Badewanne wäre jetzt nicht schlecht. Der Mann mit grauem Filzhut ist wieder da: "Oane kriag i no. Und no a Brezn." Bei Abpfiff, wenn sich die Massen auflösen und alle das Stadion verlassen, müssen die Mitarbeiter aufräumen. 100 Liter Bier gingen an diesem Tag über den Tresen. Und das Spiel ist 1:1 ausgegangen.

© SZ vom 22.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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