Mysteriöse Lieferung:Geheimnis um 3,5 Tonnen Chips

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Ein ganzes Auto voller Kartoffelchips. Die Olchinger Lebensmittelretter holen die gestrandeten Knabbereien bei der Spedition MAGN von Gürbüz Kilic in Dachau ab. (Foto: Katrin Schley/oh)

33 Paletten frittierte Kartoffelscheiben bleiben bei einer Dachauer Spedition liegen. Der Fall gibt Rätsel auf: Warum befindet sich ein GPS-Tracker in einem der Kartons? Die Polizei ermittelt.

Von Ingrid Hügenell, Dachau

Die Polizei steht vor einem Rätsel. 33 Paletten mit 3,5 Tonnen Chips sind Ende November bei der Spedition MAGN von Gürbüz Kilic in Dachau angeliefert und nicht wieder abgeholt worden. Nach wie vor ist unklar, wem sie eigentlich gehört haben. Das versucht die Polizei nun zu ermitteln. Vor allem interessiert die Beamten, warum bei den Chips ein GPS-Tracker lag. Mag ihre Herkunft auch unklar sein: Einige Kilo der Kartoffelchips sind schon aufgefuttert - von Lebensmittelrettern aus dem Landkreis Fürstenfeldbruck.

Auf das GPS-Gerät, mit dem der Standort eines Gegenstands oder einer Person festgestellt werden kann, waren die Lebensmittelretter aus Olching gestoßen, als sie am Freitag die ersten Chipssäcke in ihre Autos laden wollten. Die durchsichtigen Vier-Kilo-Plastiktüten waren in Pappkartons gepackt. "Die Kartons nehmen wir nicht mit, sondern nur die Ware", erklärt Daniela Schnagl-Vitak, Sprecherin der Lebensmittelretter. Beim Auspacken tauchte der Tracker auf.

Die Lebensmittelretter aus Olching mit Spediteur Gürmüz Kilic (rechts). (Foto: Katrin Schley/oh)

Absolut ungewöhnlich sei es, dass bei Ware im Wert von etwa 36 000 Euro ein solches Gerät liege, erklären Matthias Kammerer, Pressesprecher der Polizei Dachau, und Spediteur Kilic übereinstimmend. "Das steht nicht im Verhältnis zum Wert", sagt Kammerer. Normalerweise würden Kunstgegenstände oder teure elektronische Geräte damit versehen, um Diebstähle zu verhindern, sagt Kilic. Doch um Diebstahlprävention ging es bei den Chips offensichtlich nicht.

Nachdem ein rumänischer Sattelschlepper-Fahrer die 33 Paletten für wenige Tage in die Spedition gebracht hatte, wo sie ins Lager geräumt wurden, meldete sich Kilic zufolge niemand mehr. Er forschte nach und stellte fest: Den angeblichen Auftraggeber gibt es bei der Firma in Belgien gar nicht, von deren leicht veränderter Adresse die E-Mails mit den Einzelheiten zur Lieferung verschickt worden waren. Von Dänemark aus, wie sich mittlerweile herausstellte. "Und mit Chips haben die Belgier auch nichts zu tun", sagt Kilic. Die Umverpackungen aus Pappe tragen den Aufdruck einer spanischen Firma aus der andalusischen Stadt Jaén, die tatsächlich Kartoffelchips herstellt.

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Der Spediteur zeigt den unbekannten Auftraggeber an

Der Spediteur stellte Anzeige gegen unbekannt wegen Betrugs, denn ihm war für die Lagerung der Paletten ein Schaden von etwa 3000 Euro entstanden. "Die Fläche kostet uns schließlich Geld", sagt er. Die Sache wurde öffentlich. Bei Kilic meldete sich jemand, der die Chips für 5000 Euro kaufen wollte. Doch darauf habe er sich nicht einlassen wollen, sagt er. Lieber wollte er sie verschenken. "Ich wollte keinen Profit damit machen."

Die Dachauer Tafel durfte die Chips aus rechtlichen Gründen nicht annehmen - immerhin ist deren Herkunft ungeklärt. Inzwischen hatten die Olchinger Lebensmittelretter über Presseberichte von dem kuriosen Fall erfahren. Sie sind als gemeinnützige Unternehmensgesellschaft organisiert und haben nichts mit Leuten zu tun, die "containern", also Lebensmittel aus den Müllbehältern von Supermärkten holen. 150 Ehrenamtliche gibt es, die Sachen abholen können, die irgendwo übrig bleiben, um sie an die Abnehmer zu verteilen - 4000 seien registriert, sagt Schnagl-Vitak.

Am vergangenen Freitag machten sich etwa 20 Olchinger Lebensmittelretter mit Privatautos auf nach Dachau, um etwa die Hälfte Chips zu holen, die andere Hälfte bekamen die Dachauer "Foodsharer". An diesem Montag wurden die restlichen 200 Kartons abgeholt. Nun hat Kilic wieder Platz in seinem Lager.

Dieser Chips-Vorrat reicht bestimmt weit über Weihnachten. (Foto: Katrin Schley/oh)

Als der GPS-Tracker auftauchte, wurde die Polizei gerufen. Die kam und ließ einen Spürhund die Chips-Lieferung nach Drogen, Sprengstoff und Falschgeld absuchen. Gefunden wurde - nichts. "Wir haben stichprobenartig die Pakete geöffnet", sagt Polizeisprecher Kammerer - ohne Ergebnis. "Und wir haben die Abholer hinsichtlich der Qualität sensibilisiert, und sie gebeten, sich zu melden, sollte noch etwas Ungewöhnliches auftauchen."

Dass die Chips essbar sind, hatten Kilic und sein Sohn Anatol Gürmüz zuvor schon selbst getestet. Kilic sagt, ihm hätten sie nicht so gut geschmeckt. Er nasche lieber Süßes. Sein Sohn habe sie gemocht. Vertragen haben sie beide. Es handle sich einfach um frittierte, gesalzene Kartoffelscheiben, ohne Paprika- oder sonstigen Geschmack. Knusprig waren sie noch.

Die Chipstüte wird zum Endgegner

Inzwischen haben schon viele Menschen von den Chips probiert, nicht nur in den Landkreisen Dachau und Fürstenfeldbruck, sondern auch in München. Auch in der Landeshauptstadt gibt es Menschen, die bei den Lebensrettern mitmachen, und sogar in Ulm und in Waldkirchen im Landkreis Freyung-Grafenau, berichtet Schnagl-Vitak. Von gesundheitlichen Problemen weiß sie nichts.

Die schiere Größe der Vier-Kilo-Tüten gibt eher Anlass zu witzigen Sprüchen. "Dass von einer Tüte Chips, die geöffnet wurde, nichts übrig bleibt, bekommt da eine ganz andere Bedeutung", scherzt Schnagl-Vitak. Ihre pubertierenden Kinder seien jedenfalls begeistert gewesen, endlich einmal aus dem Vollen schöpfen zu können. Für sie sei so eine Tüte ein "Endgegner". Lebensmittelretterin Katrin Schley hingegen ist genervt: "Ich kann's nicht mehr ertragen. Alles riecht nach Chipsfett."

Für die Polizei ist die Sache noch nicht gegessen. "Die Ermittlungen laufen. Unsere Spezialisten untersuchen den GPS-Tracker", sagt Kammerer mit Verwunderung in der Stimme. "Sowas haben wir auch nicht regelmäßig."

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Hinter Supermärkten herumstreifen und in Tonnen nach genießbarem Essen graben - das wollte Daniela Schnagl-Vitak nicht. Denn Containern ist in Deutschland eine Straftat. Deshalb hat sie eine legale Möglichkeit gefunden, Essen vor dem Müll zu bewahren.

Von Ariane Lindenbach

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