Bundestagswahl:Fest in konservativer Hand

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Bundestagswahl in Dachau und Fürstenfeldbruck. (Foto: N/A)

Die CSU hat bei Bundestagswahlen im Wahlkreis Dachau-Fürstenfeldbruck stets das Direktmandat und die relative Mehrheit gewonnen. SPD und Linke, Grüne und Liberale waren immer chancenlos, bloß die Bayernpartei kam 1949 gefährlich nahe.

Von Peter Bierl, Fürstenfeldbruck

Im Wahlkreis Fürstenfeldbruck ist das Direktmandat seit der ersten Bundestagswahl 1949 stets an die CSU gegangen, die in all den Jahrzehnten mindestens die relativ stärkste Partei war. Sowohl konservative und rechte Konkurrenten als auch SPD oder liberale Parteien wie FDP und Grüne blieben stets chancenlos. Diese Kontinuität ist beachtlich, weil dieser Zeitraum gravierende soziale Veränderungen umfasst: von der Agrar- zur Industrie- und anschließend zur Dienstleistungsgesellschaft, die Landflucht wurde abgelöst durch enormen Zuzug.

Transformationen dieser Größenordnung lösten anderswo politischen Wandel, wenn nicht gar Brüche aus, aber Fürstenfeldbruck blieb stets fest in konservativer Hand, obwohl sich das agrarisch-handwerklich-katholische Milieu weitgehend auflöste. Offensichtlich wurden viele Einwanderer aus anderen Teilen der Republik politisch assimiliert. Das Konzept von Fließband, später Laptop und Lederhose funktionierte.

Der konservative Geist reichte weit über die Partei hinaus. Ihr schlechtestes Ergebnis erzielte eine tief zerstrittene CSU beim ersten Wahlgang 1949 mit 27 Prozent, weil sie mit der separatistischen Bayernpartei und der rechtspopulistischen Wiederaufbauvereinigung (WAV) zwei starke Konkurrenten im eigenen Milieu hatte. Heute nagen Freie Wähler und AfD an der Substanz. Es dauerte bis 1961, als sich erstmals eine Frau um das Direktmandat bewarb. Die Keramikerin Anna Elisabeth Stokar von Neuforn aus Dachau trat für die Deutsche Friedensunion (DFU) an, einem linken und pazifistischen Bündnis, das aus dem Kampf gegen eine Atombewaffnung der Bundeswehr hervorging. Sie bekam 1,39 Prozent. Erst fast 20 Jahre später standen mit Birgit Thomann (FDP) und Helga Frisinghelli (Grüne) wieder zwei weibliche Kandidaten auf dem Stimmzettel. Auch der Brucker Stadtrat war bis 1972 eine exklusive Männerbastion.

Bei einem Vergleich der Wahlergebnisse muss man berücksichtigen, dass sich der Zuschnitt mehrmals verändert hat. Von 1949 bis 1976 bestand der Wahlkreis aus den Landkreisen Dachau, Fürstenfeldbruck und Landsberg, von 1980 bis 2009 nur noch aus Dachau und Fürstenfeldbruck. Petershausen wurde 2013 ausgeklammert, vier Jahre später die Stadt Germering dem Wahlkreis Landsberg/Starnberg zugeschlagen. Grund war jeweils die Bevölkerungszunahme vor allem in Fürstenfeldbruck. 1949 zählte der Wahlkreis 118 100 Stimmberechtigte, 1976 war diese Zahl auf 226 000 angewachsen. Im verkleinerten Wahlkreis Dachau/Fürstenfeldbruck konnten 1980 rund 188 000 Bürger ihre Stimme abgeben, 2009 waren es schon 249 000. Als Germering 2017 ausgegliedert wurde, blieben etwa 232 000 Stimmberechtigte übrig, fast doppelt so viele wie bei der ersten Bundestagswahl.

Die Wahlbeteiligung war in der Regel groß und erreichte 1976 mit 90,65 Prozent einen Höchststand, seitdem ist die Tendenz leicht sinkend. 2013 nahmen 75,02 Prozent der Wähler teil, es war die bislang geringste Beteiligung. 1949 konnten die Bürger nur eine Stimme abgeben, seit 1953 gibt es die Erststimme, die über den Direktkandidaten entscheidet, und die Zweitstimme für die Parteiliste.

Von 1949 bis 1980 vertrat Richard Jäger aus Dießen den Wahlkreis in Bonn. Der gebürtige Berliner war Jurist, trat 1933 in die SA ein und setzte sich in den Nachkriegsjahren für die Begnadigung von Naziverbrechern ein. Sein Engagement für die Todesstrafe brachte ihm als Bundesjustizminister den Spitznamen "Kopf-ab-Jäger" ein. Als Vizepräsident des Bundestages erklärte Jäger, er werde keiner Frau erlauben, das Plenum in Hosen zu betreten geschweige denn am Redepult zu stehen.

Im Vergleich war sein Nachfolger Eicke Götz ein Liberaler. Götz hatte zuvor als Bürgermeister von Gröbenzell amtiert und erlebte im Bundestag den Streit um die Raketenstationierung hautnah mit. Sein Vorschlag, der Bundesrepublik über einen zweiten Schlüssel ein Mitspracherecht beim Einsatz von US-Atomwaffen zu gewähren, machte Götz bundesweit bekannt, von den Parteioberen wurde er dafür zusammengestaucht. Seit 1990 haben bei der Brucker CSU die Frauen die Hosen an, auch wenn sie Röcke oder Kleider tragen. Zuerst vertrat Gerda Hasselfeldt den Wahlkreis und machte Karriere als Wohnungsbau- und Gesundheitsministerin sowie als Chefin der CSU-Landesgruppe im Bundestag, bevor sie 2017 den Stab an Katrin Staffler weiterreichte.

Bei den Erststimmen erzielte Götz 1983 mit mehr als 61 Prozent das beste Ergebnis für die CSU. Bei der ersten Bundestagswahl lag die Bayernpartei nur zwei Prozent hinter der CSU, der Abstand der SPD betrug 5,5 Prozent. So nahe sollte die Sozialdemokratie nie wieder kommen. Selbst Peter Glotz, der 1972 mit deutlich mehr als 41 Prozent das beste SPD-Ergebnis aller Zeiten in Fürstenfeldbruck einfuhr, fehlten noch gut 16 Prozent auf Jäger. Der außergewöhnliche Erfolg war dem Ansehen des Kanzlers Willy Brandt geschuldet, dessen Ostpolitik von CSU, NPD und Vertriebenenverbänden vehement bekämpft wurde, weswegen man von einer "Willy-Wahl" sprach. Seitdem befindet sich die SPD tendenziell im Abwärtstrend. Das schlechteste Ergebnis im Wahlkreis holte Michael Schrodi mit 18,73 Prozent vor vier Jahren, während Staffler das zweitschlechtestes CSU-Ergebnis mit 43,64 Prozent einfuhr.

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Die lokalen Resultate spiegeln bundesweite Trends gebrochen wieder, insbesondere die beiden großen Wandlungen des Parteiensystems. In der ersten Phase schafften mehrere Parteien den Sprung in den Bundestag, darunter auch stark rechtslastige Gruppen wie der Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE), die an der Regierung beteiligt waren. Von 1961 bis 1983 herrschte ein Drei-Parteien-System aus Union, SPD und einer kleinen FDP, weshalb Publizisten wie Sebastian Haffner bereits über ein Zwei-Parteien-System nach britischem Vorbild spekulierten. Im Landkreis holten CSU und SPD 1972 und 1976 zusammen mehr als 90 Prozent der Stimmen. Die dritte Phase beginnt mit dem Aufstieg der Grünen und führte dazu, dass seit 2017 sechs Parteien im Bundestag sitzen, eine Vielfalt wie in den Anfangsjahren der Republik. Der gemeinsame Anteil der Groko-Parteien schrumpfte im Wahlkreis auf nur noch 53,5 Prozent zusammen.

Die CSU konnte bis in die Sechzigerjahre auch im Landkreis alle bürgerlichen und rechten Konkurrenten aufsaugen. Bei den Zweitstimmen erreicht sie 1976 mit 60,21 Prozent eine Bestmarke sowie mit 58,1 Prozent 2002 ihr zweitbestes Ergebnis. Seitdem setzen der CSU Wahlenthaltung, aber auch bürgerliche und rechte Konkurrenz zu, wie einst WAV, BP oder BHE, später in bescheidenerem Ausmaß NPD oder Republikaner. Die strategische Maxime von Franz Josef Strauß, es dürfe keine Partei rechts der Union geben, bewahrheitet sich auch mit Blick auf die lokalen Wahlkreisergebnisse. Keine rechte Formation konnte sich bislang dauerhaft etablieren, die Masse der rechten Klientel votierte in der Regel für andere Parteien, die AfD könnte nun jedoch zum dritten Mal in Folge die Fünf-Prozent-Hürde im Wahlkreis überspringen.

Die SPD kam 1972 mit 37,1 Prozent auf ihr bestes Zweitstimmenergebnis

Die FDP verfügt nur über eine kleine Stammwählerschaft und zeigt deshalb starke Schwankungen zwischen 2,4 (1957) und 16,06 Prozent (2013). Sie profitierte von Leihstimmenkampagnen oder Verdruss über Koalitionspartner. Den Spitzenwert erzielte die FDP ausgerechnet als die Liberalen bundesweit ein Debakel erlebten und als Merkels Juniorpartner unter die Fünf-Prozent-Hürde fielen.

Die SPD kam 1972 mit 37,1 Prozent auf ihr bestes Zweitstimmenergebnis, konnte 1998 noch mal mit 31,5 Prozent punkten und befindet sich seitdem im Sinkflug. Stabil bedeutungslos ist die Linke, egal in welcher Formation. Die KPD kam 1949 nur auf 3,5 Prozent, die DKP blieb eine Splitterpartei, für die Guido Zingerl als Direktkandidat 1976 rund 0,3 Prozent holte. Die PDS schnitt konstant unter einem Prozent ab, erst die Linkspartei schaffte einen bescheidenen Sprung nach vorn und erzielte mit 5,07 Prozent (2017) das beste Resultat.

Einst fehlte das Industrieproletariat, heute die Masse der Prekären oder das bunte Milieu von Universitätsstädten. Die neue migrantische Arbeiterklasse auf dem Bau und im Transportsektor, in der Landwirtschaft und der Pflege fällt als Wählerklientel für Linke ebenso wie für die SPD aus, weil sie gar kein Wahlrecht hat. Die Sozialdemokratie konnte sich lange als Partei der Vertriebenen, dann der Zugezogenen und Säkularen präsentieren, profitierte in Bruck von der gewerkschaftlichen Verankerung unter den Zivilangestellten am Fliegerhorst oder dem Charisma eines Willy Brandt, verlor dann aber Köpfe und Stimmen an die Grünen.

Die starteten 1980 als junge Wilde mit mageren 1,2 Prozent, danach ging es rauf und runter, seit der Jahrtausendwende hat sich die Partei im zweistelligen Bereich etabliert, was sowohl auf ein stabiles soziales Milieu verweist, die akademische Mittelschicht der Suburbia, aber auch Frucht emsigen kommunalen Engagements ist.

© SZ vom 18.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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