Verkehr:Freie Fahrt auf der Freisinger Westtangente

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55 Jahre nach Planungsstart: Am Montag wurden der Tunnel in Vötting und somit die komplette Freisinger Westtangente für den Verkehr freigegeben. Die geschätzten Kosten für die 3560 Meter lange Strecke: 139 Millionen Euro.

Von Petra Schnirch, Freising

Sichtlich gelassen steht Projektleiter Franz Piller mit gelber Warnweste neben dem Bauzaun auf der Fahrbahn. Noch ist der Tunnel der Westtangente gesperrt, doch die Bauarbeiten sind abgeschlossen. Tunnelmanagerin Christine Huber dagegen hat noch ein paar unruhige Nächte vor sich, letzte Details müssen geregelt werden. Nach einer abschließenden Prüfung wird das 705 Meter lange Bauwerk und somit die gesamte Tangente am Montag, 10. Januar, für den Verkehr freigegeben. Noch nicht abhaken können das Projekt einige Anwohner. An etwa zehn Häusern seien Schäden festgestellt worden, sagt Piller, der Umfang werde derzeit geprüft.

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(Foto: SZ Infografik)

Die 3560 Meter lange Trasse verknüpft die Thalhauser Straße (Staatsstraße 2084) mit der ehemaligen Bundesstraße 11, heute Kreisstraße FS 44.

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(Foto: Marco Einfeldt)

Der symbolische Spatenstich im Mai 2015....

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(Foto: Marco Einfeldt)

...und kurz darauf der Baubeginn.

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(Foto: Lukas Barth)

September 2016. Hier erahnt man schon den Streckenverlauf.

Die Proteste hörten aber nicht auf.

Eigentlich wollte auch Verkehrsministerin Kerstin Schreyer zur Eröffnung kommen. Wegen der steigenden Coronazahlen verzichtet die Stadt diesmal aber auf den bei solchen Anlässen üblichen Festakt mit obligatorischem Durchschneiden eines Bands. Ganz unspektakulär wird die Trasse am Montag, voraussichtlich gegen 16 Uhr, freigegeben, wenn Bauhofmitarbeiter die Bauzäune wegräumen. Alles in allem sehr unprätentiös, wenn man bedenkt, dass das Projekt die Freisinger gespalten hat wie kaum ein anderes - und dass es 55 Jahre von den ersten Planunterlagen bis zur Fertigstellung gedauert hat.

Bald wird im neuen Kreisverkehr an der Thalhauser Straße der fünfte Ast für die Verkehrsteilnehmer geöffnet. (Foto: Birgit Gleixner)

Bei einem Ortstermin am Dienstagvormittag hat Piller, der mit Abschluss des Vorhabens in wenigen Wochen in Ruhestand gehen wird, die wichtigsten Eckdaten parat. Noch sind nicht alle Abrechnungen da, aber die geschätzten Kosten für die 3560 Meter lange Strecke zwischen der Thalhauser Straße und der Staatsstraße 2350 (früher B 11) liegen bei etwa 139 Millionen Euro, darin enthalten sind laut Piller auch zwei Millionen für einen Grunderwerb, der nicht direkt für die Tangente benötigt wurde. Allein der Tunnel hat etwa 68 Millionen Euro gekostet.

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Die Zuschüsse können sich sehen lassen: Der Freistaat wird etwa 75 Millionen Euro - 70 Prozent der förderfähigen Kosten - beisteuern, vom Umlandsfonds des Flughafen kommen fünf Millionen für die Planung in die Kasse. Unter dem Strich bleibt für die Stadt Freising dennoch der stattliche Betrag von etwa 30 Millionen Euro, für den Landkreis sind es vermutlich 24 Millionen Euro.

Wie viel für Reparaturen an Häusern gezahlt werden muss, ist noch offen. Das werde gerade mit der Versicherung abgeglichen, erklärt Piller. Vor Beginn der Bauarbeiten fand bei 60 Häusern eine ausführliche Begutachtung statt, vor Kurzem gab es eine Nachbegehung. Jeder Fall werde einzeln betrachtet, sagt Piller. An einer Garage sei es auf einer Seite zu einer Absenkung von 20 Millimeter gekommen, an anderen Gebäuden seien es maximal drei bis vier Millimeter, außerdem gebe es kleinere Risse. Der Projektleiter dankte den Anwohnern in Vötting, die unter Baulärm zu leiden hatten, für ihre Geduld. Im mehr als 400 Meter langen bergmännischen Teil des Tunnels auf der Nordseite bis zur Giggenhauser Straße sei teils sieben Tage die Woche und auch nachts gearbeitet worden. Zwei Familien seien Ende 2018 für einige Wochen sogar ausquartiert worden.

Die neue Umfahrung soll die Freisinger Innenstadt entlasten. (Foto: Birgit Gleixner)

Künftig werden laut Prognosen bis zu 16 000 Fahrzeuge täglich durch den Tunnel fahren. Wie notwendig das Bauwerk zur Entlastung der Innenstadt ist, wie viel zusätzlichen Verkehr es als Abkürzung Richtung Flughafen anziehen wird, darüber gingen die Meinungen in der Stadt stets auseinander. Bei einem Bürgerentscheid im September 2013 sprach sich aber eine deutliche Mehrheit von 56,3 Prozent für das Projekt aus.

Der erste symbolische Spatenstich für die Umgehung folgte am 7. Mai 2015. Damals ging man noch von Kosten in Höhe von 86,5 Millionen Euro aus. Doch Kritiker des Vorhabens sagten schon damals voraus, dass es dabei nicht bleiben werde. Sie sollten recht behalten - allerdings war die Trasse da schon in Bau. Auch ein weiteres Bürgerbegehren 2015, welches das Vöttinger Bürgerforum anstrengte, um ein Moratorium bis zur Fertigstellung der Nordostumfahrung Freisings zu erreichen, scheiterte. Die jeweiligen Oberbürgermeister - Adolf Schäfer, Dieter Thalhammer beziehungsweise Tobias Eschenbacher - stand stets hinter dem Vorhaben.

Allein der Tunnel hat circa 68 Millionen Euro gekostet. (Foto: Birgit Gleixner)

Anvisiert worden war eine Eröffnung der Westtangente zunächst für Oktober 2019. Unschöne Überraschungen beim Bau sorgten allerdings für Verzögerungen und Kostensteigerungen. Größtes Problem: Eine Tonschicht im Bereich des Tunnelbauwerks erwies sich als nicht durchgehend wasserundurchlässig. Einen Baustopp konnte die Stadt gerade noch abwenden, eine neue, aufwendigere Lösung wurde gefunden. Er habe trotz allem immer versucht, ruhig zu bleiben, erzählt Piller.

Beim Gang durch den Tunnel verweist er auf die beiden Notausstiege, den besonderen Asphalt, der heller sein muss als auf freier Strecke, und auf die spezielle Verglasung am Tunnel-Ende auf der Südseite. Eingearbeitete, für den Menschen unsichtbare Streifen sollen verhindern, dass Vögel gegen die Scheiben fliegen. Mit der Unteren Naturschutzbehörde habe man lange über das Problem diskutiert, sagt Piller. An der tiefsten Stelle unterhalb der Moosach liegt die Fahrbahn etwa zwölf Meter unter der Geländekante. Durch knapp 50 Kameras ist der gesamte Tunnel einsehbar, kontrolliert werden sie von der Tunnelüberwachung der Autobahndirektion in Fröttmaning.

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(Foto: Marco Einfeldt)

Der Bau der Westtangente war von Anfang an umstritten. Umweltschützer prangerten die Naturzerstörung an.

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(Foto: N/A)

Über die Bahngleise musste eine Brücke gebaut werden.

Der Tunnelbau war die größte Herausforderung.

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(Foto: Marco Einfeldt)

Arg wurde es für die Anwohner, wenn Schwertransporter neues Material oder Maschinen für die Baustelle brachten.

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(Foto: Marco Einfeldt)

Die Tunnelröhre im Querschnitt.

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(Foto: Marco Einfeldt)

Kurz vor der Fertigstellung hat die Feuerwehr noch eine großangelegte Rauchübung im Tunnel der Westtangente praktiziert.

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(Foto: Marco Einfeldt)

Riesige Erdmassen mussten bewegt werden.

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(Foto: lukasbarth.com)

Die Großbaustelle war schon von weitem zu sehen.

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(Foto: Johannes Simon)

Die Stadt Freising erhoffte sich von der neuen Trasse eine Entlastung der Innenstadt und ein Ende des Dauerstaus.

Innerhalb des Tunnels gilt künftig übrigens Tempo 50, das zeigen die Schilder schon jetzt an, dahinter auf der Südseite darf 80 gefahren werden. Für Radfahrer und Fußgänger ist das Bauwerk gesperrt.

Für Christine Huber werden die nächsten Tage noch stressig werden. An den Brandmeldeanlagen müssen noch einige Details gerichtet, die Schließanlage muss installiert werden. Huber wird weiterhin für das Tunnelmanagement in der Stadt verantwortlich sein, das Bauwerk muss regelmäßig gereinigt und überprüft werden. Am Montagabend will sie ebenso wie Piller erst einmal ein Gläschen trinken. Sie hatten dann auch allen Grund dazu. Um 17.26 fuhr an diesem Montagabend das erste Fahrzeug durch den Tunnel.

© SZ vom 05.01.2022 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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