Barrierefreiheit:Seit Jahren auf Wohnungssuche

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Eine Moosburger Familie mit einem behinderten Sohn benötigt dringend eine geförderte, barrierefreie Bleibe. Doch die sind rar und es gibt viele Mitbewerber.

Von Thilo Schröder, Moosburg

Wochenlang daheim bleiben zu müssen wie zuletzt während des Lockdowns, ist für Sofia M. keine neue Erfahrung. "Erst im November waren wir sechs Wochen an die Wohnung gefesselt, nachdem Matteo sich einer Hüftoperation unterziehen musste, denn unser Treppenhaus war zu eng für die elektrische Treppenhilfe." Sofia M. ist 34 Jahre alt, Matteo ihr Sohn. Wegen Sauerstoffmangels bei der Geburt ist der Elfjährige gehbehindert. Die vierköpfige Familie lebt in Moosburg und sucht seit Jahren nach einer barrierefreien Wohnung im Landkreis Freising. Scheinbar aussichtslos, und sie kämpft mit weiteren Problemen. Die Namen sind in diesem Text geändert.

Als Familie M. im Mai 2013 von Freising nach Moosburg zog, war Matteo vier Jahre alt. "Damals konnte er noch gar nicht laufen", sagt Sofia M. "Dann hatte er eine OP und konnte zumindest Treppen steigen." Die Familie lebte zunächst im zweiten Stock, ein Jahr später wurde eine Wohnung im ersten Stock frei. Das half nur bedingt. Denn nach Operationen, die auch weiterhin anstehen, ist Matteo auf Unterstützung angewiesen. Und einen Aufzug gebe es im Haus nicht, sagt M.

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Der elfjährige Sohn kann teilweise wochenlang das Haus nicht verlassen

Matteo besucht eine Schule für Körperbehinderte in München. Nach der Operation im November musste er daheim bleiben. "Wir konnten Matteo, der im Rollstuhl transportiert werden musste, nicht nach unten bringen. Er konnte in der Zeit nicht die Schule besuchen, und es war auch psychisch der absolute Horror", erzählt seine Mutter. Zuhause bekomme er zudem keine Krankengymnastik, die gebe es nur an der Schule. "Dazu kam noch, dass wir ihn kaum in die Badewanne heben konnten, da unser Bad viel zu klein ist."

Rund 82 Quadratmeter messe ihre Wohnung, darin eingerechnet seien 20 Prozent der Fläche des Balkons - "und der ist so groß wie unser Wohnzimmer", sagt die Mutter. Auf den Balkon würde sie sofort verzichten, wenn dafür die Kinder eigene Zimmer bekämen oder zumindest ein größeres. Derzeit teilen Matteo und sein vierjähriger Bruder Dennis sich ein etwa neun Quadratmeter großes Zimmer. Wenn Matteo nach OPs in einem Pflegebett liegen muss, stehe dieses wegen des Platzmangels im Wohnzimmer. M. ist schwanger, im Oktober kommt ein Mädchen zur Welt. Zu fünft werde es dann noch enger, sagt sie.

Als wäre die Situation der Familie M. nicht schwer genug, kämpft sie darüber hinaus mit finanziellen Problemen. Sofia M. ist wegen häufiger Jobwechsel vor einigen Jahren verschuldet und noch bis 2021 privatinsolvent. "Ich traue mich deswegen auch gar nicht, mich für Wohnungen zu bewerben", sagt sie. Die gelernte Rechtsanwaltsfachangestellte trägt derzeit Zeitungen aus. Bis vor Dennis Geburt habe sie noch in einer Münchner Kanzlei gearbeitet, erzählt sie. Ihr Mann sei Epileptiker und werde gerade wegen Schlafstörungen behandelt. Vor dem Umzug nach Moosburg habe er einen Job als Altenpflegefachhelfer in Garching gehabt, derzeit suche er Arbeit.

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Seit vier Jahren hat die Familie einen Wohnberechtigungsschein, genutzt hat er bisher nichts

Die Familie besitzt seit vier Jahren einen Wohnberechtigungsschein. Durch den hat sie Anspruch auf eine geförderte Wohnung. Den Schein bekommt vom Freistaat, wer ein bestimmtes Haushaltseinkommen im Jahr unterschreitet. Im Fall von Familie M. liegt die Grenze bei 25 000 Euro. Sie hätte gerne eine barrierefreie Wohnung im Erdgeschoss, zu fünft dann mit Anspruch auf 120 Quadratmeter. Doch die Suche gestaltet sich schwierig.

Zuständig für die Vergabe geförderten Wohnraums sind die Landratsämter. Laut Landratsamt Freising stehen derzeit zehn bis 15 Wohnungssuchende auf der Warteliste; ausgenommen davon ist die Kreisstadt, die eigenständig Wohnraum vergibt. Die Zahl variiere leicht, weil die Berechtigung jährlich neu geprüft werde. Dem gegenüber stünden zehn barrierefreie Wohnungen im Alten- und Servicezentrum der Awo in Moosburg sowie "zahlreiche im Erdgeschoss befindliche Wohnungen", welche jedoch "alle belegt" seien.

Wie lange der einzelne auf eine geförderte Wohnung wartet, sei abhängig von Faktoren wie dem Wunschort oder der Größe der Familie. "Zudem liegt der Grund dafür aber vor allem darin, dass für das Landratsamt Freising nicht vorauszusehen ist, wann wieder ein bestehendes Mietverhältnis einer geförderten Wohnung unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist gekündigt wird", heißt es von Seiten der Behörde.

Eine Privatinsolvenz erschwert die Suche nach dem neuen Heim zusätzlich

In der Praxis kann das bedeuten, dass Wohnungssuchende teils sehr lange warten, bis sie überhaupt ein Angebot bekommen. "Bis 2019 hatten wir keinen einzigen Wohnungsvorschlag", sagt Sofia M. Dann eine Besichtigung in Hallbergmoos, im Frühjahr eine weitere in Eching, beides Mal mit mehreren Mitbewerbern, beides Mal erfolglos. Wenn eine Wohnung frei werde, müsse man dem Vermieter "mindestens fünf berechtigte Wohnungssuchende zur Auswahl benennen", erklärt das Landratsamt Freising. Bei der Auswahl sei dieser dann frei. M. vermutet, dass ihre Schulden ein Ausschlusskriterium für Vermieter sind.

Auch wenn die Aussichten düster sind, hofft Sofia M. weiter auf eine Wohnung. "Es ist ja nicht so, dass wir uns das für immer bezahlen lassen wollen. Wir wollen ja auch wieder auf eigenen Beinen stehen." Die 34-Jährige möchte endlich mal ein Erfolgserlebnis, an das sich anknüpfen lässt. "Eine neue Wohnung", sagt sie, "würde ich als Neuanfang sehen."

© SZ vom 02.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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