Angenagte Wälder im Kreis Freising:Streit um die Rehe

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Rehe legen ihre Jungtiere oft im hohen Gras ab, weil sie die Kitze dort in Sicherheit wähnen. (Foto: Johannes Simon)

Waldbesitzer möchten mehr Abschüsse, weil ihnen der Verbiss an den Bäumen zu hoch ist, Jäger sehen ihre Pflicht erfüllt, beklagen aber Freizeitdruck, der die Tiere stresst. Neue Abschusspläne bringt das Waldgutachten 2021.

Von Gudrun Regelein, Freising

Wald und Wild: der Streit zwischen Förstern und Jägern um die Abschusszahlen ist alt. Nun ist er erneut aufgeflammt. Die Forstwirte wollen, dass noch mehr Rehe und Hirsche zum Schutz der Bäume geschossen werden. So soll der Umbau der Wälder von Monokulturen hin zu klimaresistenten Mischwäldern kostengünstiger werden - denn die Tiere nagen gerne an den jungen Baumtrieben und deren Schutz durch Zäune oder Drahthosen ist kostenintensiv.

"Dass der Umbau zu Mischwäldern in Deutschland wichtig und notwendig ist, darin sind sich alle einig", sagt Walter Bott, Vorsitzender des Jagdschutz- und Jägervereins Freising Stadt und Land. Die Frage sei, wie das passiere. Wenn man in eine Fichtenmonokultur andere einzelne Bäume zur Naturverjüngung einbringe, dann könne man diese entweder schützen, was Arbeit und Kosten bedeute. "Oder man erschießt eben jedes Mal das Reh, das die junge Baumtriebe besonders schätzt", sagt Bott. Dass nun aber auch die bislang verbotene Nachtjagd im Gespräch sei, findet er nicht gut. "Die Nachtruhe ist für das Wild wichtig", sagt Bott. In den vergangenen Jahrzehnten sei die Unruhe im Wald durch den Freizeitdruck bereits stark gestiegen, Jogger, Reiter, Radfahrer suchten dort Erholung. Das aber erhöhe den Stress auf die Tiere, beunruhigen diese - und könnten ein Grund für den Verbiss sein. Ob die Nachtjagd die Situation verbessern würde, bezweifelt Bott. "Abgesehen davon gibt es ja Abschusspläne, die die Anzahl der Rehe und Hirsche je nach Verbisszustand regulieren."

In Bayern gibt es forstliche Gutachten zur Waldverjüngung, die alle drei Jahre erstellt werden. Für die Landkreise Freising und Erding ist das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (AELF) in Erding dafür zuständig. Das jüngste Gutachten ist aus dem Jahr 2018, im kommenden Frühjahr folgt ein aktuelles. Für jede der neun Hegegemeinschaften - acht Rehwild- und eine Rotwildgemeinschaft - im Landkreis wird ein Bild der Vegetation erstellt. So wird auch geschaut, ob der Verbiss günstig, tragbar, zu hoch oder deutlich zu hoch ist. "Das ist eine Stichprobeninventur, die Durchschnittswerte liefert", sagt Stefan Warsönke, der Bereichsleiter Forsten beim AELF Erding. Zusätzlich gebe es seit 2012 noch die sogenannte Revierweise Aussage, bei der sich staatliche Forstbeamte einen Eindruck machen. Diese beiden Säulen bilden die Grundlage für das Gutachten. Danach werden dann die Abschusszahlen festgelegt. Den Abschussplan erstellt die Untere Jagdbehörde im Landratsamt. Streckenlisten zeigen, ob die Vorgaben erreicht wurden.

2018 wurden im Landkreis gut 4080 Rehe geschossen. In sechs der acht Rehwildgemeinschaften wurde das Ziel nicht nur erfüllt, sondern sogar übererfüllt. In seinem jüngsten Gutachten aus dem Jahr 2018 empfahl das AELF, den Abschuss in zwei Hegegemeinschaften zu erhöhen. Tatsächlich aber, so Robert Stangl, Pressesprecher im Landratsamt, wurde der Abschuss bei sechs Hegeringen erhöht und bei zwei mit Zustimmung des Jagdbeirats gesenkt.

Der Zustand des Waldes ist punktuell sehr unterschiedlich

Der Zustand des Waldes im Landkreis, in dem die Fichte dominant ist, sei punktuell sehr unterschiedlich, sagt Stefan Warsönke. "Problematisch ist es beispielsweise in Gebieten, in denen es eine sehr enge Verzahnung zwischen Landwirtschaft und kleinen Waldflächen gibt", erklärt er. Dort sei dann auch der Verbiss sehr stark. Das Thema Wald und Wild sei ein sehr komplexes, sagt er. Weniger Rehe würde zwar weniger Verbiss bedeuten, aber es gebe auch andere Faktoren, die eine Rolle spielten: neben der Nähe von landwirtschaftlichen Flächen und Waldgebieten beispielsweise die Äsungsangebote und der von den Jägern häufig beklagte Freizeitdruck. "Das alles steht in einem multikausalen Zusammenhang."

Freisings Forstbetriebsleiter Alfred Fuchs ist mit dem Zustand der staatlichen Wälder in Freising und der Umgebung recht zufrieden: Die Vegetation habe sich dort in den vergangenen 20 Jahren zunehmend verbessert - gerade im Gebiet der Isarauen, im Kranzberger und im Thalhauser Forst. "Früher gab es riesige Fichtenforsten, kaum Naturverjüngung und eine wesentlich höhere Zahl an Rehen", berichtet er. Als dann der Waldumbau zur Notwendigkeit erklärt wurde, seien zum einen die Abschusszahlen erhöht worden und zum anderen die waldbaulichen Bedingungen verändert worden. "Eine planvolle Verjüngung, ein organisches, naturnahes Vorgehen wurden konsequent umgesetzt", sagt Fuchs. Mit dem Ziel einer selbständigen Verjüngung des Waldes. Buchen, Tannen und Douglasien wurden zu Beginn noch künstlich eingebracht. "Inzwischen pflanzen wir aber fast nichts mehr", erklärt der Forstbetriebsleiter.

Die Abschusszahlen aber seien nach wie vor hoch: Denn der Plan erlaube nicht nur die hundertprozentige Erfüllung, sondern sogar eine Übererfüllung - bis zu 120 Prozent seien möglich, erklärt Fuchs. Die 100 Prozent werden in seinen Staatsforsten auf alle Fälle erreicht. Aber: "Der Rehwildbestand ist dennoch hoch, die Tiere sind nicht ausgerottet. Und gleichzeitig haben wir einen pumperlgesunden Wald."

Josef Denk dagegen sieht das mit den Abschussplänen etwas anders. Er ist der Vorsitzende der Waldbesitzervereinigung (WBV) Freising. Der Verein zählt etwa 1700 private und kommunale Mitglieder, die insgesamt gut 8000 Hektar Wald im Landkreis besitzen. Die Abschusspläne seien auf dem Papier zwar gut, sagt Denk. "Aber sie müssten eben auch umgesetzt werden." Das aber passiere nicht überall, in etwa einem Drittel der Reviere gebe es einen zu hohen Verbiss, sagt er. Eine natürliche Verjüngung des Waldes aber sei nur möglich, wenn auch der Plan erfüllt werde.

© SZ vom 20.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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