Moosburger Kriegsgefangenenlager Stalag:In den Tod geschickt

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Polnische Juden im Kriegsgefangenenlager Stalag VII A. (Foto: Stadtarchiv Moosburg)

Neue Informationsquelle erschließt Schicksale jüdischer Kriegsgefangener, die vom Moosburger Stalag in deutsche Vernichtungslager in Polen verlegt wurden

Von Alexander Kappen, Moosburg

Die Stadt Moosburg, sagt Stadtarchivar Wilhelm Ellböck, "hat für sechs Jahre die Weltbühne betreten". Wenn auch aus einem unerfreulichen Anlass. Während des Zweiten Weltkriegs befand sich dort von 1939 bis 1945 das Kriegsgefangenenlager Stalag VII A, mit dem die Geschichte der Stadt "untrennbar verbunden" sei, so Ellböck. In den vergangenen Jahren ist das Bewusstsein dafür merklich gestiegen, verschiedene Seiten machten sich daran, diesen lange Zeit nur wenig beachteten Teil der Stadtgeschichte aufzuarbeiten. Das Stadtarchiv wurde dabei gezielt erweitert "und besitzt mittlerweile eine beachtliche Stalag-Sammlung", betont Ellböck. Worüber man bislang allerdings nicht allzu viel wusste, ist, was mit den jüdischen Kriegsgefangenen geschah.

Vor diesem Hintergrund bezeichnet es der Stadtarchivar als "fast sensationell", dass Martin Pschorr, Stadtrat und Kurator des städtischen Stalag- und Neustadt-Museums, eine neue Informationsquelle aufgetan hat, durch die sich das schreckliche Schicksal vieler jüdischer Gefangener aus Polen nachvollziehen lässt. Von einem Kenner der Materie sei er auf Einträge in der Zentralbibliothek der Judaistik in Warschau aufmerksam gemacht worden, berichtet Pschorr am Donnerstag in einem Pressegespräch. Dort sei er dann auf die Dokumente von etwa 3000 jüdischen Häftlingen gestoßen, die aus deutschen Kriegsgefangenenlagern in den Bezirk Lublin gebracht wurden, wo es neben Arbeitslagern mehrere Vernichtungslager gab. Pschorr und Ellböck haben bei ihren Recherchen bislang die Personalkarten von etwa 150 polnischen Juden gefunden. "Mit Sicherheit sind alle 150 umgekommen", sagt Pschorr.

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"Unglaublich schlimmer Trick"

Eigentlich seien jüdische Soldaten paradoxerweise in Kriegsgefangenschaft sicher gewesen, weil sie durch völkerrechtliche Abkommen zur Behandlung von Kriegsgefangenen vor Verfolgung geschützt waren, sagt der Stadtarchivar. Jüdische Soldaten aus westlichen Ländern seien tatsächlich kaum anders behandelt worden als andere Kriegsgefangene. Auf sowjetische, spanische und - wie man jetzt weiß - auch polnische Juden im Stalag traf das allerdings nicht zu. Wie aus den im Warschauer Archiv gefundenen Personalkarten hervorgeht, seien sie durch einen "unglaublich schlimmen Trick" über Zwischenstationen nach Polen gebracht und ermordet worden.

Jüdische Kriegsgefangene aus dem Deutschen Reich seien ins Zwischenlager Stalag VIII A nach Görlitz verlegt worden, so Pschorr. 1941 seien etwa 3000 polnische Juden aus der Kriegsgefangenschaft "entlassen" worden - was nichts anderes bedeutete, als dass sie den Schutz durch das Völkerrecht verloren. Die jüdischen Gefangenen wurden nach Lublin ins dortige Arbeitslager Lipowa 7 gebracht, in dessen Nähe sich die Vernichtungslager Treblinka, Sobibor, Belzec und Majdanek befanden. Am 3. und 4. November 1943 seien bei einer Aktion mit dem zynischen Namen Erntefest alle verblieben Gefangenen in den Lagern des Bezirks Lublin, auch in Lipowa 7, von den Nazis ermordet worden, so Ellböck, "insgesamt waren es 43 000 Menschen, darunter wohl auch alle aus Moosburg".

Personalkarten waren offenbar Teil des Ringelblum-Archivs

Die Personalkarten über polnische Kriegsgefangene aus dem Stalag VII A waren offenbar Teil des Ringelblum-Archivs, "so ist es mir jedenfalls berichtet worden", sagt Pschorr. Emanuel Ringelblum war ein polnischer jüdischer Historiker, Politiker, Pädagoge und Publizist, der das Untergrundarchiv Oneg Schabbat (Freude am Sabbat) des Warschauer Ghettos aufbaute und leitete. Es gilt als eines der wichtigsten Zeugnisse der Ausrottung polnischer Juden. Das gesamte gespeicherte Archiv enthält mehrere tausend Dokumente - Manuskripte, Drucke, Fotografien - mit mehr als 28 000 Karten.

Bei der Auswertung der dort enthaltenen Dokumente über Kriegsgefangene aus Moosburg "stehen wir noch ganz am Anfang", sagt Pschorr. Über das Schicksal von etwa der Hälfte der 300 polnischen Juden im Stalag VII A, die in einem Bericht des damaligen Lagerleiters Oberst Nepf erwähnt wurden, weiß man derzeit noch nichts. Aber man müsse davon ausgehen, "dass alle umgekommen sind, wenn man in der Vernichtungsmaschinerie drin war, gab es normal kein Entkommen", so Pschorr. Dass man anhand der bislang gefundenen Personalkarten nun zumindest bei 150 Menschen den genauen Zusammenhang zum Stalag VII A herstellen könne, "ist schon eine neue Erkenntnis". Man werde nun den Kontakt mit Warschau aufnehmen, um noch mehr herauszufinden.

© SZ vom 20.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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