Nahrungsmittel:Eine Revolution für Mensch und Umwelt

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Für Kulturen wie Kräuter oder Salate funktioniert das Indoor- und Vertical-Farming auf mehreren Ebenen bereits. Wissenschaftler der TU München forschen daran, dass dies auch für Grundnahrungsmittel gelingt und rentabel ist. (Foto: Michael Brochstein/imago images/ZUMA Wire)

Ein Wissenschaftler-Team der TU München um den Weihenstephaner Professor Senthold Asseng sieht in Indoor-Farmen enormes Potenzial, um die Weltbevölkerung in Zeiten des Klimawandels ernähren zu können - und hofft auf 100 Millionen Schweizer Franken für ein Forschungszentrum.

Von Petra Schnirch, Freising

Es ist nicht weniger als eine "Revolution der Nahrungsmittelproduktion", die Wissenschaftler der TU München (TUM) anstreben - und die sie für notwendig halten, um für die Weltbevölkerung Lebensmittel in ausreichender Menge erzeugen zu können und gleichzeitig die Umwelt zu schonen. Auch die Werner-Siemens-Stiftung sieht großes Potenzial in dem gleichnamigen Forschungsvorhaben. Das Team um den Weihenstephaner Professor Senthold Asseng hat es mit fünf Konkurrenten aus Deutschland und der Schweiz ins Finale des Wettbewerbs "Jahrhundertprojekt" geschafft. Ende des Jahres entscheidet sich, wer mit den ausgelobten 100 Millionen Schweizer Franken ein Forschungszentrum für einen Zeitraum von zehn Jahren finanziert bekommt. Eingereicht worden waren 123 Ideenskizzen.

Einer der Schlüssel, um die wachsende Weltbevölkerung ernähren zu können, ohne dass dies zu Lasten der Umwelt geht, sind für Asseng Indoor-Farmen. Als Ergänzung, nicht als Ersatz für die bestehende Landwirtschaft, wie er betont. In einer kontrollierten Umgebung wird den Pflanzen dabei, unabhängig von Klima und Wetter, bis hin zum Licht alles gegeben, damit sie wachsen können und einen guten Ertrag liefern. Sogar die Sonne wird durch LEDs ersetzt. "Das ist das Grundkonzept", sagt Asseng, der an der TUM den Lehrstuhl für Digital Agriculture inne hat. Außerdem ist er seit 2021 Direktor des Hans-Eisenmann-Forums für Agrarwissenschaften an der TUM.

Senthold Asseng leitet den Lehrstuhl für Digital Agriculture an der TU München und ist Direktor des Hans-Eisenmann-Forums für Agrarwissenschaften. (Foto: Uli Benz)

Einige Start-ups produzieren bereits Kräuter, Salate oder Beeren in Indoor-Farmen. In großem Stil, für Grundnahrungsmittel, aber ist der Anbau bisher nicht lukrativ. Einer der Knackpunkte sind die hohen Kosten. Auch dafür wollen die Forschenden der TUM Lösungen finden. Denn wenn es gelingt, die Kosten zu senken, sind die Vorteile dieser Anlagen laut Asseng enorm, vor allem in Regionen, in denen es kaum Wasser gibt. Durch den Klimawandel verschärft sich die Situation gerade dramatisch, auch in Teilen Europas.

Für den Anbau in diesen geschlossenen Systemen sei bis zu 99 Prozent weniger Wasser erforderlich, erklärt der Agrarwissenschaftler. "Alles Wasser, das verdunstet, und das ist sehr viel, kann ich auffangen und wiederverwerten." Ein Beispiel: Sein Team hat berechnet, dass für ein Kilogramm Weizen auf dem Feld 1500 Liter Wasser benötigt werden, in Indoor-Anlagen sind es nur 140 Gramm. Zwei Drittel der weltweit verbrauchten Wasserressourcen beanspruche die Landwirtschaft, vor allem für die Beregnung, schildert Asseng, das sei notwendig, aber nicht nachhaltig. Indien sei der zweitgrößte Weizenproduzent der Welt, 90 Prozent der Flächen dort würden beregnet. Würde man darauf verzichten, gäbe es Hungersnöte.

Agrarwissenschaftler Asseng listet weitere Vorteil der Indoor-Farmen auf: die höhere Produktivität, eine gleichbleibende Qualität, weil alles gesteuert werden kann. Und, ebenfalls sehr wichtig, man benötigt 60 Prozent weniger Dünger: nur so viel, wie die Pflanze eben braucht. "Nichts wird an die Umwelt abgegeben." Es sei ein Riesenproblem weltweit, dass jedes Jahr kleine Mengen Stickstoff verloren gehen. Jetzt, nach Jahrzehnten, mache das die Gewässer, die Meere kaputt. Das Algenwachstum im Golf von Mexiko sei so immens, dass es sogar vom Weltall aus zu sehen ist. Auch auf Herbizide und Pestizide könne man in geschlossenen Anlagen komplett verzichten.

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Eine Besonderheit des TUM-Projekts ist die angestrebte Zirkularität, die Wiederverwendung der Ressourcen. Das gebe es bisher noch nicht, sagt Asseng. "Da wollen wir mit der Forschung hin: Das Wachstum, die Energienutzung optimieren und gleichzeitig die Kreisläufe schließen." Ein weiteres Problem, das es zu lösen gilt: Weil die Sonne durch LEDs ersetzt wird, wäre der Anbau vieler Produkte derzeit zu teuer, "so teuer, dass sich den Weizen, das Brot, im Moment keiner leisten könnte". Das soll sich ändern.

20 Lehrstühle der TUM sind in das Projekt eingebunden, außerdem ein Mitarbeiter der Landesanstalt für Landwirtschaft, jeder mit seiner ganz eigenen Expertise. Die Ideen, die Technologien sollen zusammengebracht werden. "Ich bin mir sicher, dass wir da große Sprünge machen werden. Deshalb, denke ich, ist das eine Revolution, weil wir mit einem Schlag ganz viele Probleme lösen werden", sagt Asseng. Ein Ansatzpunkt ist beispielsweise, die Effizienz von LEDs, von Solaranlagen weiter zu verbessern.

Auch die Biodiversität könnte von Indoor-Farmen profitieren

Zwar müssen für mehrstöckige Indoor-Anlagen neue Flächen bebaut werden. Für Asseng zählt aber die Effizienz: Wenn man einen Hektar versiegele, könnte man im Gegenzug 6000 Hektar Acker freisetzen. Davon wiederum könnte die Biodiversität profitieren. "Wir haben zwei Drittel der Pflanzen- und Insektenarten verloren. Wenn wir das wirklich aufhalten wollen, dann muss etwas passieren", sagt der Weihenstephaner Wissenschaftler. Notwendig sei ein Dialog mit der Gesellschaft, man könne das nicht auf die Landwirte abwälzen. Wenn billige Lebensmittel das einzige Ziel seien, "machen wir die Umwelt kaputt". Erste Landwirte zeigen laut Asseng bereits Interesse. Bisher können sie lediglich ein halbes Jahr produzieren, das würde sich ändern, wenn sie nicht mehr vom Wetter abhängig sind.

Für das Erreichen der Finalrunde des "Jahrhundertprojekts" ist das Forscherteam der TUM bereits mit einer Million Schweizer Franken ausgezeichnet worden. Dieser Betrag fließt nun in den großen Antrag, der bis Ende Oktober eingereicht werden muss. Das Forschungszentrum, das mit der Siegerprämie finanziert werden könnte, wäre einmalig, schwärmt Senthold Asseng. Ziel wäre, dass am Ende ein Prototyp fertig ist.

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