Forum zur Zukunft der Agrarpolitik:Das Tierwohl ernst nehmen

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Eine Landwirtschaft, in der das Tierwohl stärker im Fokus steht wie in diesem Offenstall, weg von der Massentierhaltung, das ist eine der Visionen für die Agrarpolitik bis zum Jahr 2050. (Foto: Christian Endt)

Experten diskutieren in Weihenstephan, wie die Landwirtschaft im Jahr 2050 aussehen sollte. Anders als für mehrere Aktivisten, die sich lautstark zu Wort melden, gehören für sie auch Tiere dazu, allerdings ohne Massenhaltung.

Von Petra Schnirch, Freising

Wie wird, wie soll die Landwirtschaft im Jahr 2050 aussehen? Ohne in die Glaskugel blicken zu können: Einig waren sich die Teilnehmer und Teilnehmerinnen beim "1. Forum zur Zukunft der Agrarpolitik" am Dienstag, dass es hin zu einer regionalen Kreislaufwirtschaft mit Erhalt der Biodiversität geht. Dazu eingeladen hatte das Hans-Eisenmann-Forum für Agrarwissenschaften der TU München. Künftig sind zwei Veranstaltungen pro Jahr zu aktuellen Themen geplant.

Schon das erste Treffen in Weihenstephan im zentralen Hörsaalgebäude am Campus rief, wohl vor allem weil auch Bayerns Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU) eingeladen war, Tierschutzaktivisten auf den Plan. Während Kaniber sprach, sprang der Erste im Hörsaal 16 auf den Tisch, hob ein selbstgeschriebenes Plakat in die Höhe und verlangte in einem atemlosen Redefluss einen Ausstieg aus der Tierhaltung und damit ein Ende der Tierquälerei. Kaniber ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und forderte - weil sie solche Auftritte offenbar schon kennt - mögliche weitere Aktivisten im Saal auf, sich doch gleich anzuschließen. Tatsächlich setzten nacheinander noch vier weitere junge Leute zu ihren Monologen an, bevor sie hinausgebeten wurden.

Während Ingrid Kögl-Knabner, Dekanin der TUM School of Life Sciences, immer wieder laut und entschieden rief, "nicht auf diese Art und Weise", blieb Kaniber gelassen. Sie regte an, die Aktivisten sollten sich selbst mal auf dem Podium an einer der weiteren Veranstaltungen beteiligen. Sie müssten die Diskussion dann aber auch aushalten und andere Meinungen akzeptieren. Mit was wollten sie ihre Pflanzen denn düngen?, fragte die Ministerin. Nur mit ressourcenintensivem, chemischem Dünger?

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Klar wurde im Laufe des Abends: Für die Podiumsteilnehmer ist die Tierhaltung vertretbar und sogar notwendig, allerdings nicht in Tierfabriken. Immer wieder fiel das Wort Flächengebundenheit, auch von der Ministerin. Dabei geht um regionale Kreisläufe, gefüttert werden die Tiere überwiegend von eigenen Flächen, was ihre Zahl begrenzt, gedüngt wird auch mit Mist und Gülle. "Die Tierhaltung gehört zu Bayern genauso wie der Pflanzenbau", sagte Julia Giehrl, Sprecherin des Agrar-Arbeitskreises der Bayerischen Jungbauernschaft. Sie forderte für die Betriebe echte Planungssicherheit, "nicht nur für zwei, drei Jahre".

Richard Mergner, Landesvorsitzender des Bundes Naturschutz, lenkte bei allem Konsens den Blick darauf, dass auch in Bayern "nicht alles schön" ist, es gebe intensive Tierhaltung, sagte er und verwies auf die genehmigte, riesige Hähnchenmastanlage in Eschelbach bei Wolnzach, gegen die der Bund Naturschutz klagt. Der Protest der jungen Leute sei ein "Symptom", das dürfe man nicht negieren. Der BN stehe zur bodengebundenen Tierhaltung, aber der Fleischkonsum müsse reduziert werden. "Wir müssen das Tierwohl ernst nehmen."

Die Aufgaben der Landwirtschaft werden auch künftig breit gefächert sein, als Energieproduzent, Nahrungsmittellieferant und Landschaftspfleger. Gleichzeitig werden extreme Hitze- und Trockensommer zunehmen. "Das wird ein harter und extremer Weg werden", sagte Kaniber. Sie setzt bei der Bewältigung der Probleme auf Forschung und Robotik.

An der Gülle scheiden sich die Geister. Die einen halten sie, richtig dosiert, für einen wertvollen Dünger, die anderen verteufeln sie als Vernichter der Artenvielfalt. (Foto: imago classic)

Einen ganz anderen Aspekt brachte der schwäbische BBV-Bezirkspräsident Stephan Bissinger in die Diskussion ein. Die Landwirte müssten für die Arbeit Wertschätzung bekommen. Die Kommunikation werde an Bedeutung gewinnen. "Wir brauchen den gesellschaftlichen Rückhalt", betonte er. Die Landwirtschaft müsse das grüne Fundament der Gesellschaft sein, die Basis dafür sei ökologische Nachhaltigkeit. Und, für ihn ganz wichtig: Der Lebensraum auf dem Land müsse für junge Leute mit dem in der Stadt ebenbürtig sein, etwa was die Mobilfunkversorgung angeht, aber auch medizinische Versorgung, Schulen und den öffentlichen Nahverkehr. Auch im ländlichen Raum sollten Start-ups besser gefördert werden.

Thomas Lang, Vorsitzender der Landesvereinigung für den ökologischen Landbau in Bayern, sprach sich für eine regional ausgerichtete Forschung aus, um spezifische Antworten geben zu können. Auch einen Bürokratie-Abbau mahnte er an, den Landwirten sei hier immer mehr aufgebürdet worden. Wichtig ist ihm ein stärkerer Fokus auf den Naturschutz mit einer strukturreicheren Landschaft und vernetzten Lebensräumen. Dazu gehört für Lang eine attraktive Honorierung für ökologische Leistungen, Artenvielfalt sollte als systemrelevant betrachtet werden, forderte er. Ziel müsse sein, "aus dem ertragenden System Boden ein ertragsreiches System zu machen".

Für lange Diskussion über die Zukunft der Landwirtschaft bleibt laut Jörg Migende, dem Leiter Corporate Public Affairs der Baywa, allerdings keine Zeit. Viele Bauern überlegten derzeit, aus der Nahrungsmittelproduktion auszusteigen, warnte er. "Da passiert gerade was draußen", das müsse man ernst nehmen. Das "Wärmepumpen-Desaster" habe auch gezeigt, dass man überlegen müsse, wie man die Menschen erreichen könne. Deshalb mache es keinen Sinn, Radikalforderungen zu stellen, "so kommt man nicht weiter".

70 Prozent Öko-Landbau wünscht sich Richard Mergner im Jahr 2050

Trotz großer Übereinstimmung: Differenzen gab es etwa beim Thema Green Deal, den die EU im Kampf gegen die Folgen des Klimawandels plant, und den damit geplanten pauschalen Flächenstilllegungen. Angesichts der Ernte-Prognose in der EU aufgrund der Dürre in Ländern wie Italien und Spanien werde ihr "himmelangst", sagte Michaela Kaniber. "Wir müssen schon schauen, dass wir genügend produzieren."

Wie sieht nun die Vision 2050 aus? Landwirtschaft werde als systemrelevanter Faktor wertgeschätzt, sagte die Ministerin. Und es gebe sehr viel grünere Städte mit begrünten Hauswänden. Für BN-Vorsitzenden Mergner gehören dazu regionale Wertschöpfungskreisläufe und Bauern, die gleichberechtigte Partner von Weiterverarbeitern und Handel sind. "Das ist derzeit nicht so." Ein weiterer Wunsch: 70 Prozent ökologischer Landbau.

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