SZ-Adventskalender:Zukunft für zwei

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Daniella M. mit ihrer achteinhalb Wochen alten Tochter. (Foto: Stephan Rumpf)

Daniella M. musste aus Uganda fliehen, weil ihr Leben in Gefahr war. In München fühlt sie sich endlich sicher. Sie möchte eine Ausbildung als Kinderpflegerin machen, sobald ihre Tochter alt genug für die Krippe ist.

Von Karin Kampwerth

Wenn Daniella M. den Ärmel ihres Pullis über ihre linke Schulter nach oben streift, stockt einem der Atem. Ein kurzer Blick reicht, um die schwere Verletzung zu erkennen. Schon etwas älter, aber medizinisch sicher niemals gut versorgt. Eine zweifingerbreite Narbe überzieht den Oberarm. Drumherum dunkelbläulich gefärbte Haut, die ganz und gar nicht gesund aussieht. Schnell zieht die junge Frau den Stoff wieder über diesen Beleg einer brutalen Gewalttat, die ihr in ihrer Heimat Uganda zugefügt worden ist. Es sieht aus, als habe man ihr den Arm abhacken wollen.

"Ich sollte das eigentlich gar nicht zeigen", sagt Daniella M. mit ihrer feinen, leisen Stimme. Denn warum ihr das angetan wurde und wer der oder die Täter waren, darüber kann sie nicht sprechen. Nur so viel gibt sie von ihrer Vergangenheit preis: Aufgewachsen ist sie auf dem Land bei ihrer Mutter, die psychisch krank sei, und ihrem Stiefvater. Der leibliche Vater ist tot. Die Schule konnte sie nicht beenden. Statt zu lernen, musste sie in die Stadt, um Essen für die Familie zu besorgen. In ihrem Dorf hat sie die Kinder anderer Familien gehütet und damit etwas Geld verdient.

Den Entschluss zur Flucht, so schreibt es ihre Betreuerin vom Sozialreferat, habe Daniella M. vor bald fünf Jahren gefasst, weil ihr Leben in Gefahr war. "It's a bad place", ein schlechter Ort, so bezeichnet die 29-Jährige Uganda, während sie sich auf einem weißen Plastik-Gartenstuhl ein Kissen in den Rücken stopft. Ungefähr vier Monate sei sie unterwegs gewesen, aber genau kann sie sich nicht mehr erinnern. Nur daran, dass sie bei ihrer Ankunft so traumatisiert gewesen sei, dass sie zunächst einmal in einer Klinik behandelt werden musste. Danach ging es weiter in eine Frauen-Unterkunft, wo sie sich mit einer anderen Geflüchteten ein kleines Zimmer teilte. Nach zwei Jahren fand Daniella M. ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft in München. "Da fühlte ich mich endlich angekommen", sagt sie. Sie konnte die Schule besuchen und hat Freunde gefunden.

An der Wand hinter ihr, über dem Fernseher, hängt ein Bild in warmen Orange-Rot-Tönen. Es zeigt die Türme der Münchner Frauenkirche und nicht etwa das Minarett der großen Moschee in Ugandas Hauptstadt Kampala. In der kleinen Wohnung erinnert rein gar nichts an Daniella M.'s Herkunftsland, das sie nicht als Heimat bezeichnen kann, weil ihr dort nach dem Leben getrachtet worden ist. In München hat Daniella M. Hoffnung geschöpft, sich eine selbstbestimmte Zukunft aufbauen zu können. Das Wichtigste dazu ist die Sicherheit, in der sie hier leben darf. Das mache sie glücklich, sagt sie - und jetzt noch ein bisschen glücklicher, denn es geht nicht mehr nur um sie. Vor achteinhalb Wochen ist Daniella M. Mutter geworden.

Die Schwangerschaft war nicht geplant. Der Vater des Babys ist nicht interessiert an einer Familie

Ihre kleine Tochter liegt während des Gesprächs auf der Couch und schläft, nur manchmal unterbrochen von typisch zufriedenem Baby-Grunzen. Daniella M. schaut immer wieder zu ihr rüber, zupft das Deckchen zurecht, damit das Mädchen nicht friert. Die Schwangerschaft war ungeplant, der Vater ist nicht interessiert an einer Familie. Nun ist Daniella M. alleinerziehend, noch bevor sie sich ein unabhängiges Leben mit einer Berufsausbildung in Deutschland aufbauen konnte. Und jetzt die Energiekrise. Natürlich spart auch sie an Heizkosten. Am meisten fürchtet sie aber die Nachzahlung bei den Stromkosten, die sie von den 449 Euro monatlich, die ihr nach Abzug der Miete bleiben, vermutlich nicht stemmen kann.

Beklagen will sich Daniella M. aber auf keinen Fall. Die 29-Jährige lebt mit ihrer Tochter in einem Wohnprojekt des Amtes für Wohnen und Migration. Sie liebt das kleine Appartement, das ihr und dem Baby so viel Geborgenheit gibt. Alles ist blitzsauber, in einem Regal in der winzigen Küche, die im Gang untergebracht ist, steht ein Kästchen mit Kochutensilien und dem Spruch "Home". Und auf der Hülle ihres Handys ist der Satz "Let your faith be bigger than your fear" aufgedruckt, lass deinen Glauben größer sein als deine Angst.

Daniella M. lächelt, denn den Spruch hat sie zu ihrem Lebensmotto gemacht. Sie glaubt fest an eine gute Zukunft für sich und ihre Tochter in München. Schon vor ihrer Schwangerschaft hatte sie sich intensiv um ihre Integration bemüht. Deutsch und Englisch spricht sie auf C-1-Niveau, was laut Zertifizierung bedeutet, dass sie sich fließend ausdrücken und die Sprache im gesellschaftlichen und beruflichen Leben oder in Ausbildung und Studium gut einsetzen kann. Deshalb hat sie auch ein Praktikum in einem Altenheim machen können.

"Die Arbeit mit den Senioren hat mir gut gefallen, es war schön, sich mit den alten Menschen zu unterhalten", sagt die junge Mutter. Leider spielte die Gesundheit nicht mit. Daniella M. bekam starke Rückenschmerzen. Das Praktikum konnte sie noch beenden, aber eine Ausbildung als Altenpflegerin und die damit verbundene schwere körperliche Arbeit ist nicht möglich.

Die starken Rückenschmerzen rühren vermutlich auch von der schweren Verletzung

Die Rückenschmerzen haben Daniella M. über die Schwangerschaft begleitet. Möglich, dass ein Teil der Schmerzen auch mit der Verletzung zu tun hat, die ihr in Uganda zugefügt worden ist. Sie hebt mit der rechten Hand den verletzten linken Arm an, in dem es ihr an Kraft fehlt. Die einseitige körperliche Belastung hat sich auf die Bandscheiben ausgewirkt. Inzwischen kann sie einigermaßen schmerzfrei nur noch auf dem Plastik-Gartenstuhl sitzen, am besten mit Kissen im Rücken.

Eine durchgelegene Matratze, auf der sie schläft, hat sie für 20 Euro gebraucht gekauft. Auch die trägt nicht zur Besserung ihrer Beschwerden bei. Gerne würde sie sich eine neue Matratze leisten. Noch größer aber ist der Wunsch nach einem Fahrrad mit Anhänger, in dem sie ihre Tochter sicher transportieren kann. Denn Daniella M. denkt längst wieder an ihre Zukunft. Sobald die Kleine in die Krippe gehen kann, möchte sie eine Ausbildung aufnehmen. "Am liebsten würde ich mit Kindern arbeiten", sagt Daniella M. mit leuchtenden Augen. Das habe ihr auch in Uganda schon große Freude bereitet. Dass ihr Wunsch nach einer Ausbildung als Kinderpflegerin in diesen Artikel einfließen kann, freut sie sehr.

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