Abseits des roten Teppichs:Die Nebendarsteller

Lesezeit: 5 min

Mike Kraus, Dokumentarfilmer, Kameramann, Musiker, Regisseur und Fotograf. (Foto: Robert Haas)

Münchner Filmfest, das sind nicht nur glamouröse Empfänge und Verleihungen mit Leinwandgrößen. Vier Beispiele entscheidender Protagonisten, aus der zweiten bis letzten Reihe

Von Philipp Crone, Josef Grübl und Stefanie Witterauf

Der Fotograf

Wenn es ums Sehen und Gesehen werden geht, entscheidet er sich für Ersteres: Als Fotograf sieht Mike Kraus genau hin. Ein paar Tage vor der Eröffnung des Filmfests geht es ausnahmsweise aber auch bei ihm ums Gesehen werden: Die scheidende Filmfest-Chefin Diana Iljine hat zu einer Vernissage in die Fünf Höfe gelade; dort werden seine Fotografien ausgestellt. Und da die Gäste wissen wollen, wer die "Leinwandheld:innen" (so der etwas prätentiöse Titel der Ausstellung) abgelichtet hat, wird eine Bank herangerückt, auf die Iljine und Kraus steigen: So kann sie jeder sehen.

Mike Kraus ist Wiener, lebt aber seit Ende der Neunzigerjahre in München. Er arbeitete schon unter anderem als Musiker, Kameramann oder Werbefilmer. Seit 2012 fotografiert er während des Filmfests die prominenten Gäste. "Durchschnittlich 50 Leute pro Jahr", sagt er - deutsche Schauspieler wie Jessica Schwarz oder Florian David Fitz etwa, aber auch internationale wie Sofia Coppola oder Ralph Fiennes.

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Bei ihrem Amtsantritt vor zwölf Jahren habe Iljine den Wunsch geäußert, die Festivalstars nicht nur auf dem roten Teppich abzulichten, sondern auch in einem Studio zu porträtieren. In diesen visuellen Zeiten lockt man das Publikum eben auch mit exklusiven Bildern. Also suchte man nach einem Fotografen - und fand ihn in Mike Kraus. Dieser hatte schon vorher viel mit Schauspielern gearbeitet, unter anderem fotografiert er Filmplakate für Verleiher wie die Constantin Film.

"Manchmal bleiben nur fünf Minuten Zeit für die Fotos."

Der Filmfest-Job sei eine besondere Herausforderung, erzählt er. Vor allem die internationalen Darsteller würden oft nur für ein oder zwei Tage nach München kommen, in der Zeit müssen sie einen straffen Terminkalender abarbeiten - und haben obendrein noch Jetlag. "Manchmal bleiben nur fünf Minuten Zeit für die Fotos", sagt er. Zeit zum Ausprobieren oder für Experimente ist da keine. Da aber sowohl vor als auch hinter der Kamera Profis agieren, kommen immer wieder meisterhafte Porträts heraus.

An Superstars wie Emma Thompson oder Antonio Banderas erinnert er sich besonders gern: "Das waren ganz herzliche Begegnungen", sagt er, "mit Banderas blieb ich sogar in Kontakt." Dieses Jahr wird Mike Kraus sein mobiles Fotostudio nicht mehr aufbauen, mit der Ausstellung in den Fünf Höfen verabschiedet er sich auch vom Filmfest.

Die Cineastin

Sylvia Pawelke mit ihren Filmtickets im Amerikahaus am Mittwoch. (Foto: Robert Haas)

Sylvia Pawelke hat in diesem Jahr ein eher moderates Programm. Sie wird sich in sechs Tagen 20 Filme ansehen, es waren schon mehr. Am Mittwochnachmittag holt sich die 55-Jährige gemütlich ihre letzten Tickets am Amerikahaus ab, wie das die Filmfestfreaks eben so machen, die alle eins gemeinsam haben: Ihre kommenden Tage sind genau durchgeplant.

Vor fast 30 Jahren hat die Arzthelferin Pawelke zum ersten Mal auf dem Filmfest eine größere Zahl an Tickets erstanden. "Da gab es noch eine Art Streifenkarte: neun Filme zahlen, elf anschauen." Schon ein Jahr später ging es nicht mehr zusammen, Arbeit und Filmfest. Sie nahm sich frei, plante die Kinowoche. Von Orchester-begleiteten Stummfilmen im Orff-Saal bis zu den von ihr besonders geschätzten "Native-Americans"-Filmen. Pawelke schaut bis heute jedes Genre, "man lernt einfach so viel". An diesem Samstag sind es vier Filme, um 12, 15, 18 und 20.30 Uhr. Die Ausrüstung: Fahrrad, Getränk, Kaugummis und Halsbonbons, um nicht während einer Vorstellung husten zu müssen.

Nach ein paar Tagen plant sie dann auch immer kurze Rückbesinnungsmomente ein: Was habe ich bislang alles gesehen, was kommt noch? Und hat dann längst viele andere Cineasten wieder getroffen. "Das sind oft die, die bei den Gesprächen mit dem Regisseur nach der Vorstellung mit den Hufen scharren, wenn die mal wieder länger dauern als geplant." Nicht, dass sie einen Anschlussfilm verpasst.

Ihr schönstes Erlebnis war die Vorstellung von "Oh Boy" 2012 mit Tom Schilling, später ein großer Erfolg. "Der war gar nicht angekündigt und nur Ersatzfilm", sagt Pawelke, die selbstverständlich das Programm genau studiert hat. Filmfest-Dauergänger sind immer auch Meister der Programmheft-Interpretation: "Wenn da steht: ,meditatives sehen', ist es entweder nichts für mich oder geht nur am Vormittag." Und natürlich gebe es auch auf dem Filmfest das Prime-Time-Dilemma: "Alle guten Filme laufen zur gleichen Zeit."

Ihr Fazit nach 30 Jahren: "Früher waren die Filme leichter." Heute sei überall Drama dabei. Aber das ist nur eine Randnotiz, es ergeht ihr wahrscheinlich in einer Woche wieder wie immer: "Am letzten Tag denke ich jedes Mal: Wie schade, schon wieder vorbei." Warum? "Weil man da eine Woche lang so wunderbar aufgehoben ist in fremden Welten."

Das Jurymitglied

Ilker Catak. (Foto: Florian Mag)

Mit Filmpreisen kennt er sich aus: Gerade erst gewann İlker Çatak den Deutschen Filmpreis für das beste Drehbuch und die beste Regie des Schuldramas "Das Lehrerzimmer". Preise gewonnen hat der deutsche Regisseur mit türkischen Wurzeln aber schon davor, unter anderem einen "Studenten-Oscar" oder einen "Förderpreis Neues Deutsches Kino" beim Filmfest München.

Jetzt kehrt der 39-Jährige zurück nach München, allerdings in anderer Funktion: Gemeinsam mit Filmemacherin Doris Dörrie und der Programmdirektorin des Sundance Film Festivals, Kim Yutani, wird er den Gewinnerfilm der Wettbewerbsreihe "Cinemasters" küren. "Insgesamt sind es zwölf Filme, die wir uns ansehen", erzählt er am Telefon. Damit gehört er auf alle Fälle auch zu den Dauerguckern des Filmfests.

Davon gibt es gar nicht so viele, zumindest unter den prominenten Gästen des Filmfests. Befragt man diese bei Partys, Panels oder Preisverleihungen, bekommt man oft dieselbe Antwort: "Filme gesehen habe ich noch keine." Inhaltlich herrscht also oft Ahnungslosigkeit. Çatak sagt: "Ich empfinde das quasi als Weiterbildungsseminar", schließlich dürfe er täglich zwei bis drei Filme aus Ländern wie Japan, Finnland, Mexiko oder Italien sehen.

Und welche Bedeutung hat dann so ein Filmpreis? Das sei schon eine große Anerkennung, sagt Çatak, das helfe auch bei der Realisierung der nächsten Projekte. "Ich misstraue dem Erfolg aber", sagt er dann noch, "wer sich zu lange darin suhlt, kommt nicht zum Arbeiten."

Der Netzwerker

Jonathan Joèl Albrecht. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Premieren, Empfänge, gesehen werden. Klar. Es geht beim Filmfest aber natürlich auch ums Netzwerken, ums Kennenlernen, und zwar die richtigen Leute. Für Schauspieler Jonathan Joél Albrecht, 25, wären das zum Beispiel: Caster, Regisseure, Produzenten. Und die sind alle da, man muss ihnen nur begegnen.

Vergangenes Jahr hatte Albrecht, der an einer privaten Schauspielschule studiert hat und nebenher kellnert, sein Filmfest-Debüt. Mit Schülerrabatt kaufte er ein Festivalticket für 120 Euro und nahm sich vor, zumindest so viele Veranstaltungen anzuschauen, dass er das Geld wieder drin und dazu ein paar neue Kontakte in seinem Telefon hat. Dazu braucht man natürlich Glück respektive Zufall. Aber das kennt Albrecht schon.

Er hat sich beispielsweise mit der Filmproduzentin Jelena Obermaier angefreundet; die ist die Tochter seiner Vermieterin und Nichte von Uschi Obermaier. Und dann läuft so etwas eben mal folgendermaßen ab: Zu einer Party eingeladen, Studierende der Filmhochschule kennenlernen, nächste Party, angesprochen werden, ob man in Kurzfilmen kleine oder Hauptrollen spielen könne. Einmal wurde ihm eine Mailadresse zugesteckt, am Ende stand ein Engagement am Residenztheater im Theaterstück "Die Biene im Kopf". Damit ist er vor 65 Schulklassen aufgetreten.

2022 hat er das Rahmenprogramm studiert, sich Events rausgepickt und ist dann mit dem Fahrrad von einem Filmfest-Ort zum nächsten gefahren. Als Albrecht ein wenig früher bei einem Panel im Amerikahaus war, schlich er sich auf einen geschlossenen Empfang im ersten Stock. "Zufälle sind so wichtig - sie funktionieren von ganz allein", sagt Albrecht. Ein bisschen musste er sich schon überwinden, um selbstbewusst an der Frau am Eingang vorbeizumarschieren. Aber gut, der Mann ist Schauspieler. Zum Unterhalten hat er zwar niemanden gefunden, dafür Sekt getrunken und sich danach angeheitert ins Panel gesetzt. Dieses Jahr hat sich Albrecht wieder ein Festivalticket gekauft. Da er nun kein Schauspielschüler, sondern Schauspieler ist, ganz ohne gelungenes Filmfest-Netzwerken, für den vollen Preis.

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