Ballett:Gespenstisch schön

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Ein kontrastreicher Doppelabend beim Festival Dance First in Fürstenfeldbruck verbindet zwei unterschiedliche Choreografien überraschend passend.

Von Sabine Leucht, Fürstenfeldbruck

Ist das affirmativ, kritisch oder einfach anschmiegsam? Das Hessische Staatsballett tanzt die Choreografie "Timeless" der Chinesin Xie Xin. (Foto: Huang Kaidi)

Der Kreis aus Licht, in dem Ramon John anfangs seine überlangen Glieder ausstreckt, hat ziemlich exakt den Radius des Pulks, der im zweiten Teil dieses Doppelabends in der Bühnenmitte pulsiert. Choreografien von Xie Xin und Sharon Eyal, die das Hessische Staatsballett zusammengespannt hat, hat nun das Festival Dance First nach Fürstenfeldbruck eingeladen. Sie könnten kaum verschiedener sein. In "Timeless" - einer Uraufführung der chinesischen Choreografin Xie Xin zur elegischen Musik ihres Landsmanns Sylvian Wang - beginnt alles mit einem Heben des Arms, der schnell wieder erschlafft. Die in übergroßen, hellen Gewändern fast verschwindenden Körper wirken zugleich träge und leicht, die Tänzer rollen über den Boden, schleichen in sich selbst versunken mit nach Katzentatzenart aufgesetzten Händen oder tief vorn übergebeugt auf die leere Bühne. Alles ist im Fluss, wirkt von einem milden (und später auffrischenden) Wind verweht, gegen den sich hie und da jemand stemmt.

Und dann Eyal! "Untitled Black" ist die Neueinstudierung der Gründungsproduktion ihrer Kompanie L-E-V von 2012, worin die israelische Starchoreografin zwischen Insekt, Vogel und Avatar fluoreszierende Wesen zu Ori Lichtiks treibenden Beats auf den Dancefloor schickt. Prompter noch als in späteren Stücken greift der Unheimlichkeitseffekt, den der bei entsprechendem Licht dezent aufscheinende Show-Glamour eher noch potenziert. Die Tänzer tragen hautenge Kostüme mit schwarzen Rauten und Dreiecken an markanten Stellen - und weiße Kontaktlinsen. Das wirkt, auch wenn man Eyals Strategien kennt, auf seine futuristische Weise so gespenstisch wie "Timeless" auf seine archaische. Und so passiert, was man anfangs nicht glaubt: Die beiden Teile des Abends matchen - und sind immer da am überzeugendsten, wo die Choreografinnen ihren Handschriften vertrauen.

Bei Xin fasziniert das unendlich behutsame Einander-Umkreisen, das in den zuletzt zunehmenden Hebefiguren vergleichsweise konventionellen Paar-Narrativen weicht. Eyal stellt ihren pulsierenden Pulks immer wieder Einzelne gegenüber, die aus dem Nichts auftauchen oder sich aus ihm lösen, indem sie Blick- oder Bewegungsrichtung ändern. Xin, die in Bruck als "Aushängeschild der zeitgenössischen Tanzszene Chinas" angekündigt wird, lässt je nach Lesart chinesische Naturphilosophie vertanzen oder den (letzten) Traum eines Menschen von einer von Achtsamkeit getragenen Gemeinschaft. Ist das affirmativ, kritisch oder einfach anschmiegsam? Ein nachdenklich machender Beitrag innerhalb eines hoch ambitionierten Programms!

Festival Dance First, bis 28. 7., Veranstaltungsforum Fürstenfeld, Fürstenfeldbruck, www.dancefirst.de

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