Die Feierlichkeiten waren äußerst unwissenschaftlich, nämlich improvisiert. Eine Sektflasche war nicht kalt gestellt. Und als sie endlich aufgetrieben war, fehlten die Gläser. Sektkelche ließen sich nicht finden, nur gläserne Latte-macchiato-Becher, was Ferenc Krausz nutzte, um gleich eine ihm wichtige Botschaft loszuwerden: "Seht ihr! Bei uns geht das ganze Geld in die Forschung", rief der Nobelpreisträger, als er am Dienstag in Garching mit einigen seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor den herbeigeeilten Fotografen mit warmem Sekt auf den Erfolg anstieß.
Der Nobelpreis für Physik geht, zumindest zu einem Drittel, nach München. Genauer genommen vor allem in den Norden der Landeshauptstadt, nach Garching, wo das Max-Planck-Institut für Quantenoptik sitzt und Krausz, der auch Physikprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) ist, in den Laboren ganz am nördlichen Ende des Campus die Forschungsaufbauten für seine Domäne erstellt: die Erzeugung und Messung von Lichtpulsen von weniger als einer Femtosekunde, im Attosekunden-Bereich. Es ist also ein Nobelpreis, der von kurz vor der Ackergrenze kommt.
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Aus rund 120 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern besteht Krausz' Forschergruppe: Expertinnen und Experten aus den Bereichen Physik, Molekularbiologie, Informatik, Technik- und Ingenieurswissenschaften, die sich aus drei Quellen speisen - der LMU, der Max-Planck-Gesellschaft und einem Molekularzentrum in Budapest. "Attoworld", so nennt sich die gesamte Gruppe selbst. Von außen mögen die Strukturen nicht leicht zu durchschauen sein, im Innern sei es aber ein wahres Miteinander, versicherte Krausz am Dienstagnachmittag in einem fast unwirklich anmutenden Ambiente.
Das Max-Planck-Institut hatte zum "Mausöffner-Tag" geladen, quasi einem Tag der offenen Tür, an dem vor allem Kinder für die Welt der Wissenschaft begeistert werden sollen. Und so kam es, dass viele junge Wissbegierige dem Institut am Ende der U-Bahnlinie 6 entgegenstrebten, viele mit blassblauen Sonnenschilden auf dem Kopf, die zu dem Anlass großzügig verteilt wurden. Krausz hatte zugesagt, zu dem Anlass am Nachmittag einen Vortrag über seine Forschung zu halten. Am Vormittag wollte er sich auf diesen vorbereiten. In einer Pause startete er ein Video mit einem Interview mit der Biochemikerin Katalin Karikó, die wie er aus Ungarn stammt und am Vortag mit dem Medizinnobelpreis ausgezeichnet worden war. Kurz darauf klingelte sein Handy, doch die Nummer des Anrufers war unterdrückt. "Normalerweise gehe ich da nicht ran", erzählte Krausz später. Angesichts des Termins machte er aber eine Ausnahme. "Kurz darauf wusste ich, dass ich nicht so schnell auflegen würde."
Ein Durchbruch glückte ihm in einem Kellerlabor in Wien
Es war das Nobelpreis-Komitee, welches ihm und dem Franzosen Pierre Agostini sowie der Französin Anne L'Huillier die Auszeichnung für den Bereich Physik zusprach. Es lässt sich ermessen, dass der Tag der Deutschen Einheit für Krausz daraufhin nicht weiterlief wie geplant. Und nicht nur für ihn. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Max-Planck-Instituts hatten sich monatelang auf den Maus-Tag vorbereitet, nun wurde es auch noch ein Nobelpreis-Tag. Flugs wurde für 15 Uhr ein Auftritt des Ausgezeichneten eingerichtet, der in alle Welt gestreamt werden sollte.
Zuvor aber hatte Krausz ja noch seinen Vortrag zu halten. Die unerwartete Nachricht hielt ihn davon nicht ab. Und so erfuhren rund hundert Erstaunte von ihm im kleinen Vorlesungsraum im Erdgeschoss aus erster Hand, wie er zu dem weltweit bekanntesten Wissenschaftspreis kam. In Jeans, hellem Sakko und weißen Sneakern führte Krausz vor zufällig ausliegenden Yogamatten aus, was ihn seit Jahrzehnten bewegt: die schnellsten Vorgänge zu verfolgen, die es in der Natur außerhalb des Atomkerns gibt - die Bewegung der Elektronen.
Ein Durchbruch glückte ihm dabei in einer Nacht Anfang September 2001, in einem Kellerlabor in Wien, wo er und seine Gruppe damals noch forschten. Beseelt von der Erkenntnis krabbelte Krausz damals ins Bett. Als er am nächsten Tag den Fernseher einschaltete, sah er die brennenden Türme des World Trade Centers nach den islamistischen Terroranschlägen. Wissenschaft kann so groß sein - und manchmal doch sehr klein: Krausz ist das offenbar bewusst. Und er ist ein guter Erzähler.
Sein Metier ist die Grundlagenforschung. Welch praktischer Nutzen seine Erkenntnisse vielleicht irgendwann einmal haben können - diese Frage stellt sich trotzdem. Krausz gibt darauf an diesem Nachmittag zwei Antworten: Zum einen lassen sich anhand von Elektronen vielleicht irgendwann Krankheiten erkennen, bevor sie ausbrechen. Brustkrebs etwa, Lungen-, Blasen- oder Prostatakrebs. Hierzu laufen - in Kooperation mit Humanmedizinern der LMU - verschiedene Studien.
Jede Frage beantwortet er mit wissenschaftlicher Sorgfalt
Zum Zweiten lassen sich irgendwann vielleicht Computer beschleunigen. Aktuell ist deren Leistungsfähigkeit unter anderem dadurch beschränkt, dass sich die Zeit, die es benötigt, um den Strom ein- und auszuschalten, um Bits zu erzeugen, seit einiger Zeit schon nicht mehr verkürzen lässt. Krausz Angang könnte hier einer weiteren Beschleunigung den Weg weisen. "Um den Faktor 100 000 vielleicht", sagt er, wobei er das große Wort äußerst gelassen ausspricht.
Über den Nobelpreis freut er sich, das ist zu sehen. Aus dem Häuschen aber gerät er nicht. Jede Frage - ob aus dem Publikum seines Vortrags oder später bei der improvisierten Pressekonferenz - beantwortet er mit wissenschaftlicher Sorgfalt. Und eines ist ihm mehrfach wichtig: Der Dank, dass ihm seine teure Forschung in München so großzügig ermöglicht wird. "Bessere Bedingungen könnte es nicht geben", lobt er, bevor ihn ein besonderer Gratulant überrascht: Theodor Hänsch, der auch am Max-Planck-Institut für Quantenoptik tätig war und 2005 für seine Pionierarbeit auf dem Sektor der Laserspektroskopie mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden war, hatte sich spontan auch zum Maus-Tag aufgemacht.