"Letzte Generation" am Flughafen München:"Wir handeln aus Verzweiflung"

Lesezeit: 3 min

Aktivisten der Gruppe "Die letzte Generation" am Mittwoch bei ihrer Protestaktion am Münchner Flughafen. (Foto: Matthias Balk/dpa)

Erst kleben sich Aktivisten auf der Straße, dann versuchen sie, mit Luftballons den Flugverkehr in München lahmzulegen. Mit dabei: der 72-jährige Ernst Hörmann und die 19-jährige Lina Eichler. Was ist ihre Motivation für diese Protestaktionen?

Von Emily Bader, Flughafen

Am Freitag hat die Gruppe "Aufschrei der letzten Generation" versucht, den Flugverkehr am Münchner Flughafen und in mehreren anderen deutschen Städten zu stören - aber wenig erreicht. Unter den Demonstrierenden, die mit ihren Aktionen strengere klimapolitische Maßnahmen erreichen wollen, befinden sich auch Lina Eichler und Ernst Hörmann. Die 19-Jährige hat ihr Abitur abgebrochen, um mit der "letzten Generation" auf die Straße zu gehen. Der 72-Jährige kämpft für die Zukunft seiner acht Enkel.

Konkret fordert die "Letzte Generation" ein Gesetz, das Supermärkten verbietet, noch genießbare Lebensmittel wegzuwerfen. Um ihre Ziele zu erreichen, greifen die Aktivisten zu Protestmaßnahmen des zivilen Ungehorsams. Erst am Mittwoch hatte sich eine Gruppe am Münchner Flughafen auf Straßen festgeklebt, um den Frachtverkehr zu blockiere. Zuletzt sollte durch das Aufsteigenlassen von Luftballons der Flugverkehr gestört werden. Mehrfach hätten Mitglieder der Gruppe am Freitag versucht, sich Zugang zu den Landebahnen zu verschaffen, berichtet das Polizeipräsidium Oberbayern Nord. Das Vorhaben der Aktivisten sei jedoch durch die Einsatzkräfte vor Ort unterbunden worden.

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Die momentan durchgeführten Aktionen seien nicht darauf ausgerichtet, andere zu gefährden, erklärt Lina Eichler, die sich an den Protesten am Freitag beteiligt hat: "Eigentlich mache ich das Ganze nur aus Liebe zu meinen Mitmenschen." Bei den Protesten handle sich um Akte der Verzweiflung. "Ich sehe derzeit keine andere Möglichkeit, um politische Veränderung zu erreichen." Für den Aktivismus hat die 19-Jährige ihr Abitur abgebrochen. In der Schule zu sitzen, empfinde sie angesichts der aktuellen Situation als Zeitverschwendung. Sorgen um ihre berufliche Zukunft seien zweitrangig. "Wenn wir jetzt nicht handeln, wird sich unsere Lebensgrundlage in den nächsten Jahren so sehr verschlechtern, dass diese Fragen keine Rolle mehr spielen", begründet Lina Eichler ihre Entscheidung.

Lina Eichler ist 19 Jahre alt und hat ihr Abitur abgebrochen, um sich ganz dem Aktivismus zu widmen. (Foto: oh)

Ihre Eltern würden sich aufgrund der von ihr ergriffenen Protestmaßnahmen wie Hungerstreiks oder Autobahnblockaden um sie sorgen, berichtet sie. Die Reaktionen von Gleichaltrigen würden hingegen meist positiv ausfallen. Viele würden die Entschlossenheit bewundern, mit der die Gruppe vorgehe. Unterstützung erfahre die 19-Jährige auch von ihrer ehemaligen Schule. So sei sie beispielsweise eingeladen worden, vor ihren früheren Mitschülern Vorträge über den Klimawandel und ihren politischen Einsatz zu halten. Um ihre Forderungen durchzusetzen, nehme sie jegliche Art von Repressionen in Kauf, sagt Lina Eichler. Anzeigen oder Geldstrafen würden sie nicht abschrecken. "Die Polizei kann mich gerne wegsperren. Wir haben keine Angst und wir gehen immer wieder auf die Straße."

Lina Eichler gehört zu den jüngeren Mitgliedern der "Letzten Generation". Doch auch Eltern und Großeltern sind Teil des Widerstands. Unter ihnen ist auch der 72-jährige Ernst Hörmann, das älteste Mitglied der Gruppierung. Sein Alter halte ihn nicht davon ab, für seine politischen Forderungen in den zivilen Widerstand zu treten, betont Ernst Hörmann. Vor wenigen Tagen habe er sogar seinen Geburtstag in Polizeigewahrsam verbracht, nach einer Aktion war er festgenommen worden. Er kämpfe für eine bessere Zukunft für alle nachfolgenden Generationen, begründet er seinen politischen Einsatz.

Auch bei der Aktion vom Mittwochmorgen, bei der sich Aktivisten in der Nähe der Frachtgebäude am Münchner Flughafen auf den Straßen festklebten, war er beteiligt, ebenso wie bei den Ereignissen vom Freitag. Die Verkehrsteilnehmer, die von derartigen Blockaden betroffen seien, würden ihm leid tun, erklärt Ernst. Doch um die Regierung zu konsequenterem Handeln im Umgang mit der Klimakrise zu bewegen, sehe er keinen anderen Weg.

Ernst Hörmann ist das älteste Mitglied der Gruppierung. Der 72-Jährige kämpft für die Zukunft seiner acht Enkel. (Foto: Stefan Müller)

Als gläubiger Christ wünscht er sich auch von der Kirche ein stärkeres Engagement im Klimaaktivismus, den er als gelebte Nächstenliebe verstehe: "Was auf uns zukommt, ist extrem schlimm. Die Kirchen müssten das eigentlich längst verstanden haben und mit uns kämpfen."

Menschen seiner Altersgruppe, die nicht Teil der "Letzten Generation" sind, würden sein Handeln meist befürworten, sagt Ernst Hörmann. Allerdings umgebe er sich gezielt mit Gleichgesinnten. "Mit einem Menschen, der kein Gefühl für Notwendigkeiten hat, könnte ich nicht befreundet sein". Seine Enkel unterstützen ihn in seinem Vorhaben.

Ernst Hörmann will auch in Zukunft weiter auf die Straße gehen. Repressionen durch die Polizei oder den Staat würden ihn nicht aufhalten. Nichts gegen den Klimawandel zu unternehmen sei das eigentliche Verbrechen, verteidigt er sein Handeln: "Wir begehen keine Straftaten. Ich tue lediglich, was getan werden muss."

© SZ vom 26.02.2022 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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