Prozess um Verkehrsblockade:Klimaaktivist sagt sich von der "Letzten Generation" los

Lesezeit: 2 min

Auf einen Fußgängerübergang auf der Südallee hatte sich der Angeklagte mit anderen Mitgliedern der "Letzten Generation" angeklebt. (Foto: Matthias Balk/dpa)

Ein damals 20-Jähriger klebt sich mit weiteren Aktivisten auf einem Fußgängerüberweg am Münchner Flughafen fest. Vor Gericht kommt er glimpflich davon - auch, weil er dieses "nicht so schöne Leben" hinter sich gelassen hat.

Von Gerhard Wilhelm, Flughafen

Der Vorwurf, den die Staatsanwaltschaft gegen den heute 21-jährigen Angeklagten erhoben hatte, war kurz: Nötigung. Eigentlich eher ein Vorwurf, der öfters am Amtsgericht Erding verhandelt wird. Dass es sich um keine "normale" Nötigung handelt, wurde spätestens vor dem Sitzungssaal sichtbar. Es wurde doppelt vom Sicherheitspersonal kontrolliert, jeder wurde abgetastet wie am Flughafen.

Dort hatte sich die Nötigung auch am 23. Februar 2022 abgespielt. Der damals 20-Jährige hatte sich auf einem Fußgängerüberweg festgeklebt. Da mehrere Autofahrer darum nicht weiterfahren konnten, erfüllt dies den Straftatbestand der Nötigung. Der Angeklagte kam aber glimpflich davon. Richter Michael Lefkaditis stellte das Verfahren ein - mit dem Hinweis auf ein Urteil am Landgericht Kempten gegen den jungen Mann.

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23. Februar, 7.30 Uhr: Der Angeklagte und weitere Klimaaktivisten von der "Letzten Generation" kleben ihre Hände auf den Fußgängerübergang in der Nähe der Südallee fest. Autofahrer müssen anhalten, es geht nicht weiter. Um 7.50 Uhr erklären Polizeibeamte den Aktivisten, dass diese Blockade einer nicht angemeldeten Versammlung entspricht.

Um 9 Uhr beginnen Feuerwehrleute damit, die Hände der Aktivisten vom Asphalt zu lösen, um 9.52 Uhr kann der Verkehr wieder fließen. Die ganze Aktion, so die Staatsanwältin, habe bewusst stattgefunden, um in den Berufsverkehr einzugreifen und ihn zu behindern. Das sei "sozial nicht adäquat" und erfülle den Straftatbestand der Nötigung.

Sein Mandant habe sich komplett von der "Letzten Generation" verabschiedet

Da man befürchtete, dass auch die Verhandlung in Erding von Mitgliedern der "Letzten Generation" missbraucht würde, um eine Bühne für ihren Protest zu schaffen, sollten "Flugblätter, Transparente, Spruchbänder oder vergleichbare Gegenstände" am Eingang abgenommen und sichergestellt werden. Ein besonderes Augenmerk legte das Sicherheitspersonal auf Utensilien, die zum Festkleben von Personen auf Fußböden, Wänden oder sonstigen Raunbestandteilen geeignet sind.

Doch es passierte nichts. Wahrscheinlich auch deshalb, weil sich der Angeklagte mittlerweile losgesagt hatte, wie sein Verteidiger sagte. Sein Mandant habe sich komplett von der "Letzten Generation" verabschiedet, er sei sogar inzwischen umgezogen. Mit der Verhandlung in Erding gehe für ihn ein nicht so schönes Leben zu Ende, er habe unter anderem psychische Probleme.

Sozusagen seine Rettung war, dass er bereits zuvor am Landgericht Kempten verurteilt worden war, ebenfalls wegen Nötigung. Dort hatte er sich mit anderen Aktivisten auf einer Bundesstraße festgeklebt. Am Landgericht wurde er nach Jugendstrafrecht zu zwei Freizeitarresten und 200 Sozialstunden verurteilt. Ein Urteil, das auch der dortigen Jugendgerichtshilfe zu verdanken sei, wie der Anwalt sagte. Diese habe sich sehr für seinen Mandanten eingesetzt und eine Verurteilung nach Erwachsenenstrafrecht mit Dauerarrest verhindert. Leider, so Amtsrichter Lefkaditis, habe er das schriftliche Urteil vom Landgericht Kempten erst am Tag der Verhandlung in Erding erhalten.

Zwei Freizeitarreste und 200 Sozialstunden seien schon ein "ordentliches Maß"

"Die Einstellung des Verfahrens ist für meinen Mandanten ein tragbares Ergebnis", sagte der Anwalt. Lefkaditis blieb auch fast kein anderer Beschluss übrig. Im Jugendstrafrecht steht der Erziehungsgedanke im Vordergrund. In Deutschland ist man ab einem Alter von 14 Jahren strafmündig, aber auch im Alter vom 18. bis zum 21. Lebensjahr kann noch Jugendstrafrecht angewandt werden. Zwei Freizeitarreste und 200 Sozialstunden seien schon ein "ordentliches Maß". Die Verhängung eines weiteren Freizeitarrestes oder weiterer 20 Sozialstunden spiele beim Erziehungsgedanken keine große Rolle mehr. "Noch was drauf zu setzen, macht keinen Sinn", sagte der Amtsrichter.

Offen blieb die Frage, wer für die Kosten des Verfahrens am Amtsgericht Erding aufkommen muss. Der Anwalt plädierte dafür, die Kosten der Staatskasse aufzuerlegen, darüber muss Amtsrichter Michael Lefkaditis aber "erst mal eine Nacht schlafen".

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